Weltweit beliebt: der ukrainische Minenspürhund Patron.

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Es gibt zwei große Erzählungen über Tiere in diesem Krieg in der Ukraine. Da ist die eine, wie das unfassbare Leid der Menschen natürlich auch Leid auf Tiere überträgt. Weil sie ebenfalls von Raketenhagel getroffen werden, auf Minen treten oder von Soldaten mutwillig erschossen werden. Weil sogar Kleintiere wie Hamster von russischen Soldaten grundlos gehängt werden, wie Bilder aus zurückeroberten Städten zeigen. Viele Haustiere wurden bei der Flucht aus der Ukraine zurückgelassen, andere wurden ausgesetzt, weil das Essen nicht einmal mehr für die menschliche Familie ausreicht. Und zahlreiche exotische Tiere mussten teils unter schwierigsten Bedingungen aus Zoos in der Ukraine in andere Zoos im grenznahen Gebiet gebracht werden. Viele Menschen macht das verständlicherweise betroffen. Und die Ukraine wirft dies der russischen Seite auch immer wieder unmissverständlich vor.

Russland betreibe einen regelrechten Ökozid, sagt die Ukraine.

Die zweite Erzählung ist eine andere. Nämlich jene, wie es die Ukraine geschickt versteht, die Geschichten und das Schicksal vieler Tiere auch für ihre Zwecke zu nutzen – um das Interesse der Menschen im Westen an diesem Krieg etwa weiterhin hochzuhalten. Oder aber auch der eigenen Bevölkerung da und dort einen Hoffnungsschimmer zu geben, wo Hoffnung und ein Lächeln teils bitter gebraucht werden.

Patron, die Supernase

Fast jeder Mensch würde etwa behaupten, dass Entminungstrupps wichtige Arbeit leisten. Wenn sie dabei allerdings noch die Hilfe eines kleinen, niedlichen Jack Russell Terriers bekommen, fliegen ihnen vielerorts regelrecht die Herzen zu. Patron, der Sprengstoffspürhund, der sich vor allem im Raum Tschernihiw auf die Suche nach nichtexplodierter Munition und Minen macht, wurde in den vergangenen Monaten zu einem regelrechten Maskottchen – nicht nur der Minenentschärfer, sondern der gesamten Ukraine. Tausende gefährliche Minen habe Patron bereits erschnüffelt, hunderte Kinder bei Besuchen in Schulen und auf Festen erfreut.

Eine Entschuldigung fürs Bellen gab es auch auf Twitter.

In den sozialen Medien wird Patron dafür gefeiert, von Präsident Wolodymyr Selenskyj wurde er bereits mit Ehrenmedaillen geehrt. Wenn Staatsgäste wie der kanadische Premierminister Justin Trudeau der Ukraine Unterstützung bei der Entminung zusichern, ist selbstverständlich auch Patron zugegen.

Patron als beliebte Postkarte und Briefmarke.
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Mittlerweile findet sich der drei Jahre alte Schnüffler auch auf Postkarten, Briefmarken und Shirts. Mit den Einnahmen und Spenden werden wiederum wohltätige Zwecke unterstützt. Neben seiner Tätigkeit als Minenschnüffler und nationaler Ankerpunkt ist Patron mittlerweile also auch eine Einnahmequelle für die Ukraine.

Fotos von Soldaten mit Katzen und Hunden werden regelmäßig über die Agenturen eingespielt.
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Im patriotischen Zoo der Ukraine findet sich neben Patron und etlichen Katzen und Hunden, die immer wieder für Fotos mit Streitkräften posieren, neuerdings auch ein Waschbär. Als die russischen Besatzer beim erzwungenen Rückzug aus der südlichen Großstadt Cherson wieder einmal ukrainisches Hab und Gut plünderten, sollen sie diesmal auch Tiere aus einem Zoo in Cherson mitgenommen haben.

Das Video eines Waschbärs, der sich gegen die Mitnahme vehement weigerte, wurde daraufhin wieder einmal zu einer kleinen Internetsensation – und der Waschbär zum Zeichen des ukrainischen Verteidigungskampfs. Ein gestohlener Waschbär sei das Einzige, was die Russen in Cherson erreicht hätten, scherzten viele.

Ein Waschbär wehrt sich.

Binnen Stunden waren etliche Memes geboren, die den Waschbären als geheimen Agenten darstellten, der Wladimir Putin nach seiner "Entführung" ein Messer an die Kehle ansetzt, aber auch zahlreiche Aufrufe zur Rückeroberung des Waschbären enthielten. Er werde mit all den entführten Kindern, die auf russisch besetztes Gebiet gebracht wurden, zurückkehren, hieß es in anderen Memes. In Anlehnung an den US-Kriegsfilm "Saving Private Ryan", in dem während des Zweiten Weltkriegs ein Fallschirmjäger vom US-Militär aus einer misslichen Lage in der Normandie gerettet wird, wurden auch Plakate mit "Saving Private Raccoon" entworfen.

Auch "Soldat Hamster" wurde gerettet.

Social-Media-Schlacht

Als am Dienstag der Besitzer des Zoos auf der von Russland besetzten Krim, Oleg Subkow, davon sprach, dass man bereit sei, den Waschbären sowie alle weiteren entwendeten Tiere aus dem Chersoner Zoo zurückzugeben, twitterte der ukrainische Präsidentenberater Anton Geraschtschenko, dass man den Worten erst einmal Taten folgen lassen wolle. "Oder haben Sie gar Angst davor, dass die ukrainischen Streitkräfte bis auf die Krim vorrücken?", fragte er hämisch. Die Befreiung eines Hamsters wurde vom Ex-Ukraine-Botschafter in Österreich auf Twitter bejubelt.

Klar ist, dass die Ukraine, aber auch viele Freunde der Ukraine im Westen seit Beginn des Kriegs große Ressourcen in die Aufrechterhaltung der Deutungshoheit in sozialen wie klassischen Medien stecken – gerade auch, weil sie aus der Erfahrung wissen, welch manipulativen Fähigkeiten die russische Propagandamaschinerie aus St. Petersburg und Moskau besitzt. Ob mit der Gründung der Nafo, jenes losen Zusammenschlusses an Freiwilligen, die versuchen, mit Witz, Ironie und einem verbindenden Selbsterkennungsmerkmal in Form von Social-Media-Avataren einer japanischen Hunderasse russische Desinformation zu kontern, oder mit süßen Tierbildchen – eine Schlacht um die Deutungshoheit in einem modernen Krieg wird auf verschiedenste Arten geschlagen. Und wie bei der ukrainischen Gegenoffensive auf dem realen Schlachtfeld sind die Russen dabei längst in die Defensive geraten. (Fabian Sommavilla, 17.11.2022)