Elon Musk gibt die Richtung bei Twitter vor. Wo sie hinführt, weiß allerdings niemand so recht.

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Eines muss man Elon Musk schon lassen: Er weiß, wie man öffentliche Aufmerksamkeit generiert – für die eigenen Projekte, aber vor allem für sich selbst. Zudem dürfte sich auch die Unterhaltungsindustrie über das aktuelle Chaos bei Twitter freuen, gibt dies doch einen hervorragenden Stoff für die nächste Serie über die absurde Welt der Tech-CEOs her – also wenn die FTX-Saga einmal abgedreht ist.

Rückzug

Bei den Werbekunden des sozialen Netzwerks sorgen die fast schon im stündlichen Rhythmus daherkommenden Richtungsänderungen und Massenkündigungen hingegen für deutlich weniger Begeisterung. Die Group M, und damit ein Teil der WPP und so der größten Werbefirma der Welt, rät ihren Kunden dazu, Werbeeinschaltungen auf Twitter aufgrund des "hohen Risikos" vorerst auszusetzen.

Die Group M arbeitet unter anderem mit großen Marken wie Google, Nestlé, Unilever oder auch Coca-Cola und Bayer zusammen. Sie ist auch nicht die erste große Werbeagentur, die sich angesichts der aktuellen Situation zu einem solchen Schritt entscheidet. Zuvor hatten bereits IPG und die Omnicron Media Group ihre Werbung auf Twitter pausiert sowie anderen dazu geraten, es ihnen gleichzutun.

Werbung mag kein Chaos

Die vorgebrachten Gründe sind dabei immer wieder sehr ähnlich. In einem internen Dokument heißt es bei der Group M nun etwa, dass die große Zahl an Abgängen bei der Firmenleitung – und da gerade bei jenen, die für Sicherheit, Datenschutz und Compliance zuständig sind – ein schweres Problem ist. Zudem verweist man auch auf das Chaos rund um das neue Verifizierungssystem, das dazu geführt hat, dass viele gefälschte Firmenkonten als "echt" markiert wurden.

Des Weiteren würde die aktuelle Situation zunehmend rechtliche Fragen aufwerfen, etwa ob Twitter sich überhaupt noch an die vor mehr als zehn Jahren getroffenen Auflagen der US-Handelskommission FTC hält. Diese geben strikte Vorgaben für die Veröffentlichung neuer Funktionen – etwa eine eingängige Prüfung von Sicherheits- und Datenschutzfragen – und könnten Twitter Milliardenstrafen bei Nichteinhaltung einbringen.

Auch sonst klingen die internen Dokumente, die Casey Newton von "Platformer" zugespielt wurden, nicht unbedingt so, als würde die Group M eine baldige Rückkehr planen – werden darin doch Mindestanforderungen für solch ein Szenario gestellt. Dazu gehören neben dem Aufräumen der aktuellen Situation und der Etablierung neuer Verantwortlicher für zentrale Datenschutz- und Sicherheitsbereiche auch eine generelle Transparenz rund um alle Pläne, die die Sicherheit von Marken oder von Nutzern betreffen könnten. Außerdem müsse sich Twitter – wieder – zu einer klaren Moderationspolitik verpflichten – und diese auch durchsetzen.

Musk hilft Musk

Zumindest einer hält Musk aber weiterhin die Stange: Musk selbst. So berichtet CNBC, dass Space X – und damit ein weiteres, unter der Verantwortung des Tesla-Chefs stehendes Unternehmen – Werbung auf Twitter gekauft hat. Und zwar gleich ein Premiumpaket, in dessen Rahmen fast eine Viertelmillion US-Dollar investiert werden soll. Damit soll übrigens der Satelliteninternetservice Starlink in Spanien und Australien beworben werden.

Musk hat Warnungen ignoriert

Unterdessen wird ein internes Twitter-Dokument öffentlich, das klarmacht: Das aktuelle Chaos hat sich Musk ganz allein selbst zuzuschreiben – handelt es sich dabei doch um eine Risikoabschätzung des "Trust and Safety"-Teams für das neue Verifizierungssystem, die wenige Tage vor dessen Launch verfasst wurde. In dieser werden all die Probleme prognostiziert, die schlussendlich auch eingetreten sind.

So heißt es darin etwa, dass ein solches Bezahlsystem – die einzige Form der Verifizierung ist eine Überweisung von acht US-Dollar – Scammer und andere "böse Akteure" anziehen würde. Das damit einhergehende Risiko ist mit dem Label "P0" versehen – der höchsten intern vergebenen Risikostufe. Gleichzeitig prophezeit das Sicherheitsteam, dass es zu einer Imitation von berühmten Personen und Marken kommen würde.

Realität

Genau das ist wenige Tage später passiert. So hatten sich etwa Unbekannte als der Pharmahersteller Eli Lilly ausgegeben und behauptet, dass Insulin ab sofort kostenlos ist – was einen Absturz des Aktienkurses des Unternehmens auslöste. Twitter benötigte sechs Stunden, um diesen Tweet zu entfernen.

Ein gefälschtes – aber offiziell "verifiziertes" – Nintendo-Konto, über das eine Grafik der Videospielfigur Mario, die den Nutzern den Mittelfinger zeigt, verbreitet wurde, mag zwar amüsanter sein, das Vertrauen von Werbekunden stärkt aber auch so etwas nicht gerade. (apo, 15.11.2022)