Auch rund drei Wochen nach Musks Start als Twitter-Chef sieht es nicht so aus, als würde schnell wieder Ruhe einkehren.

(Dieses Symbolbild wurde mit der Bilder-KI Midjourney unter dem Prompt "a bluebird in front of a scorched forest, close-up" generiert)

Foto: DER STANDARD/Pichler/Midjourney

Wer dachte, dass nach einer zweiten Entlassungswelle – rund 5.000 Leiharbeiter mussten zu Wochenbeginn gehen – langsam Ruhe bei Twitter unter Elon Musk einkehren würde, wurde schnell eines Besseren belehrt. Nun musste ein Mitarbeiter aus der Entwicklungsabteilung seinen Posten räumen, er wurde von seinem neuen Chef öffentlich gefeuert.

Begonnen hatte das Drama mit einem Tweet von Musk, in dem er sich öffentlich dafür entschuldigte, dass die Twitter-App "in vielen Ländern" so langsam sei. Er schob das auf "mehr als schlecht zusammengefasste 1.000 RPCs (Anm.: Remote Procedure Calls), nur um die Timeline anzuzeigen". Diese Kritik am Entwicklerteam wollte der Programmierer Eric Frohnhoefer so nicht stehenlassen.

Widerspruch

"Ich habe circa sechs Jahre an Twitter für Android gearbeitet und kann sagen, dass das nicht stimmt", schrieb er als Replik. "Dann korrigiere mich bitte. Welche Zahl stimmt?", so Musk darauf. "Twitter ist super langsam auf Android. Was hast du getan, um das zu beheben?"

Frohnhoefer reagierte darauf mit einer ausführlichen Erklärung. So erklärte er, dass man "einen Haufen Arbeit" in die Verbesserung der Performance der App gesteckt habe, was sich auch in den Nutzeraktivitäten und Werbeausgaben abbilde. Für die Abfrage der Timeline, inklusive Bildern, Einstellungen und anderer Informationen, fänden nur rund 20 Abfragen statt.

Er sieht drei Gründe dafür, warum die App langsam ist. Als ersten nennt er die Existenz von zahlreichen Features, die aber kaum verwendet würden. Zudem habe man jahrelang Features und Wachstum vor die Performance gestellt und dementsprechenden Ballast in der Codebasis. Und das Warten auf Antworten seitens der Twitter-Server dauere ebenfalls sehr lange. Er schlug vor, dass man sich größeren Überholungen des Codes widmen und überlegen sollte, die Anzahl der Features deutlich zu reduzieren. Gegenüber der Frage eines anderen Nutzers erklärte er weiters, dass die Twitter-Apps gar keine RPCs vornehmen.

Foto: Screenshot/Twitter

Abgang

Bei Musk kam der öffentliche Widerspruch offenbar nicht gut an. Zunächst erklärte er, dass ihm "mehrere Twitter-Entwickler" bestätigt hätten, dass seine Begründung für die schlechte App-Performance stimme. Wenige Stunden später antwortete er auf eine Nachfrage zur Causa in einem später wieder gelöschten Tweet, dass Frohnhoefer entlassen worden sei.

Dieser bestätigte dies kurz darauf und änderte sein Profil, in dem nun steht, dass er auf Arbeitssuche ist. Der Vorgang wurde von zahlreichen Beobachtern kritisch kommentiert. Manche verteidigten Musks Entscheidung und vertraten die Ansicht, dass Frohnhoefer seinen Chef nicht öffentlich hätte korrigieren, sondern ihn auf internem Wege hätte kontaktieren sollen. Andere wiederum warfen dem Twitter-Chef vor, mit seinem Mitarbeiter abschätzig umgegangen und nicht kritikfähig zu sein.

Screenshot: Twitter

Authentifizierungsdienst fiel aus

Aber auch auf technischer Ebene sieht man Zerfallserscheinungen. In den Abend- und Nachtstunden mitteleuropäischer Zeit klagten zahlreiche Twitter-Nutzer, dass sie sich nicht in ihre Konten einloggen konnten oder aus diesen ausgesperrt wurden. Die Ursache, so stellte sich heraus, war ein Ausfall jenes Services, der für den Versand der Verifikationscodes der Zweifaktorauthentifizierung per SMS verantwortlich ist.

Die Codes kamen häufig gar nicht oder mit großer Verzögerung an, aufgrund derer sie nicht mehr gültig waren. Der Dienst gehört zur Infrastrukturabteilung von Twitter, die von den jüngsten Entlassungen unter Leiharbeitern stark betroffen sein soll. Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass es zu Problemen beim Versand der SMS-Codes kommt, auch im Sommer 2020 kämpfte man temporär mit Problemen. Generell wird ohnehin aus Sicherheitsgründen empfohlen, entweder auf eine Authentifikations-App oder ein physisches Security-Token umzusteigen.

Steinige Straße in ruhigere Gefilde

Während Werbekunden offenbar in Scharen abspringen und Musk behördlicher Ärger droht, könnten auch weitere Schwierigkeiten auf technischer Ebene folgen. Gergely Orosz, Branchenexperte und Autor bei "The Pragmatic Engineer", schreibt, dass ihm von Twitter-Mitarbeitern berichtet werde, dass zunehmend "kleine Dinge" aufhörten zu funktionieren und es an Entwicklern fehle, um sie zu reparieren. Das sei auch zu erwarten, wenn ein großer Teil der Belegschaft entlassen wird, ein anderer Teil aus freien Stücken kündigt und die Verbliebenen sich auf die Entwicklung neuer Features konzentrieren müssen.

Die Abgänge sorgten auch deswegen dafür, dass Behebungen länger dauern, weil nun weniger Leute an Bord sind, die sich mit den jeweiligen Diensten oder Features auskennen, die repariert werden müssen. Beim "alten Twitter", also vor Musks Übernahme, wäre so eine Situation undenkbar gewesen, da man genügend personelle Ressourcen zur Verfügung hatte. Mit weiteren erwartbaren Abgängen aufgrund der Limitierung der Homeoffice-Gelegenheiten und des Beginns der Fußball-WM in Katar in einer Woche, die für mehr Last bei Twitter sorgen wird, drohen weitere Probleme.

Dementsprechend vernichtend fällt Oroszs Fazit aus. Er habe noch nie eine in so kurzer Zeit und so schlecht durchgeführte Übernahme eines Tech-Unternehmens mitverfolgt und warnt: "Versuchen Sie das nicht bei Ihrer Firma, es sei denn, Sie wollen ähnliche Resultate sehen."

Allerdings betont er auch, dass Twitter dadurch nicht unbedingt erledigt sei. Das Unternehmen gehe aber jetzt durch eine "steinige Phase" und werde sich idealerweise schnell stabilisieren. Mit großen Ausfällen rechnet er gegenwärtig nicht. Er sieht aber die Notwendigkeit, dass der Konzern neue Entwickler an Bord holt, um wieder in ruhigere Gewässer zu kommen. Notfalls müsse man auch bereit sein, ehemaligen Angestellten sehr gut dotierte Kurzzeitverträge anzubieten. (gpi, 15.11.2022)