Am Dienstag schütteten Aktivisten im Leopold-Museum in Wien Öl über das Glas vor einem Klimt-Gemälde. Ein Aktivist wurde sofort vom Ort des Geschehens weggeführt, der andere klebte seine Hand an das Schutzglas.
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"Tod und Leben" lautet der Titel des Gemäldes von Gustav Klimt, vor dem am Dienstagvormittag im Wiener Leopold-Museum ein Klimaprotest stattfand. Zwei Aktivisten der Gruppe Die letzte Generation hatten das Schutzglas vor dem Bild mit Erdöl übergossen. Damit machten sie auf den Ausstellungssponsor OMV aufmerksam, der als Teil der fossilen Industrie zur "fossilen Zerstörung" des Planeten beitrage. Um "Tod und Leben" gehe es auch in der Klimakrise, machen die Protestierenden deutlich: "Wir rasen in eine Klimahölle", rief einer von ihnen. Weiterhin hohe Emissionen sorgen künftig für häufigere und heftigere Extremwetterereignisse, die nicht nur Menschenleben kosten werden, sondern in der Folge durch Hungersnöte und Revolten auch eine Bedrohung für die gesamte Menschheit darstellen.

Dies haben Wissenschafterinnen und Wissenschafter in den vergangenen Jahren klargemacht, selbst in den eher vorsichtigen Schätzungen des Weltklimarats. Sind die Proteste angesichts dieser düsteren Prognosen angemessen – und können sie ihre Ziele erreichen? Beobachten wir mit den Farb- und Klebeaktionen in Museen und auf Straßen eine Radikalisierung der Klimabewegung? Dies werden Sozial- und Protestforschende erst in Zukunft in vollem Umfang auswerten können. Einige geben bereits jetzt erste Einschätzungen.

Eingeschränkte Sachschäden

"Jedes Jahr nehmen Millionen von Menschen an den friedlichen Klimastreiks teil, aber die Klimapolitik und der Übergang zu einem Netto-Null-Emissionssystem stehen noch nicht ganz oben auf der Tagesordnung von Politik und Wirtschaft", sagt Ilona Otto, Professorin für Gesellschaftliche Auswirkungen des Klimawandels an der Karl-Franzens-Universität Graz. "Ich verstehe die Enttäuschung der jungen Aktivist:innen, die sie zur Radikalisierung treibt." Doch dürften gezieltere Aktionen gegen Ölkonzerne und ähnliche Protagonisten der Klimakrise ihrer Ansicht nach erfolgreicher sein und weniger als störend empfunden werden.

Im Zuge der Aktion vom Dienstag kam es zu keinen Schäden am Bild selbst.
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Viele kritisieren aber auch die Wortwahl angesichts der neuen Klimaproteste. "Tatsächlich ist es aus mindestens drei Gründen übertrieben, von einer Radikalisierung der Klimaproteste zu reden", sagt Sebastian Haunss, der sich an der Universität Bremen der Analyse sozialer Konflikte widmet. So gebe es in der Klimabewegung derzeit weder radikalere Forderungen noch eine generelle Tendenz zu stärker konfrontativen Protestformen. Die Demonstrationen von Fridays for Future gehen weiterhin in dieser Form über die Bühne, die große Bewegung verfolgt aber grundlegend andere Methoden als die Letzte Generation, die aktuell eine kleine Gruppierung ist.

Selbst bei den bisherigen Protesten dieser Aktivistinnen und Aktivisten seien die Regelüberschreitungen begrenzt, da es maximal zu Sachbeschädigungen in einem geringen Rahmen komme. "Angriffe auf Personen finden nicht statt. Das Gewaltniveau und vermutlich auch die Summe der Sachschäden jedes Fußballbundesliga-Samstags dürften deutlich höher liegen", sagt der deutsche Forscher.

Problematische Vergleiche

Angesichts dessen bewerten Fachleute auch Vergleiche mit der linksextremen Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF), wie sie CSU-Politiker Alexander Dobrindt formulierte, als völlig unangemessen. Die RAF war in den 1970er-Jahren bekannt für Sprengstoffattentate, Geiselnahmen und Entführungen wie jene des Managers Hanns Martin Schleyer, der während des Deutschen Herbstes ermordet wurde.

"Die Schreckgespenste eines neuen Ökoterrorismus oder einer 'grünen RAF' sind in der momentanen Situation völlig überzogene Diskreditierungsversuche, mit denen grundsätzlich legitimer – wenn auch im Einzelfall natürlich nicht immer gerechtfertigter – Protest kriminalisiert werden soll", sagt Sozialphilosoph Robin Celikates von der Freien Universität Berlin. Die oft aggressiven Reaktionen aus Politik, einigen Medien und der Öffentlichkeit könnten zu verhärteten Fronten führen.

Besonders hartes Vorgehen gegen Klimaaktivistinnen und -aktivisten wurde nicht nur gefordert – in Deutschland sogar die Beobachtung durch den Verfassungsschutz –, sondern schon durch hohe Strafen gezeigt. "Hier werden gerade Grenzen verwischt. Und das kann gefährliche Folgen haben", warnt der Soziologe Simon Teune, der an der Freien Universität Berlin das Institut für Protest- und Bewegungsforschung mitbegründete. "Bislang zeichnet sich die Klimagerechtigkeitsbewegung durch ein hohes Vertrauen in die demokratischen Institutionen aus. Dieses Vertrauen droht durch unverhältnismäßige Maßnahmen zu bröckeln."

Diskussion über Protest statt Klimakrise

So sei es denkbar, dass nicht nur besonders strikte Strafen, sondern auch mangelnde politische Strategien gegen die Klimakrise zu noch höherer Frustration und Angst führen. Womöglich könnten dann auch einzelne Protestgruppen den Konsens der Gewaltfreiheit aufkündigen, der nach wie vor selbstverständlich für die Bewegungen ist. "Bislang zeichnet sich das aber nicht ab", sagt Teune. Trotz der bedrohlichen Situation sei die Lage weit entfernt vom Konfliktniveau früherer Auseinandersetzungen mit Beteiligung von Aktivistinnen und Aktivisten, die sich etwa um die Bauplätze von Atomkraftwerken zeigten.

DER STANDARD

Dass die notwendige rasche Senkung der Emissionen und das Aus für fossile Energien angesichts akuter Krisen von der Politik auf Eis gelegt werden, weist aber eher auf die Berechtigung der Proteste hin, wie die Fachleute betonen. Problematisch sei, dass viel stärker über die extremeren Protestarten diskutiert und berichtet würde – und weniger über das immense Problem, auf das sie aufmerksam machen sollen. "Die Verknappung von Wasser und Nahrungsmitteln sowie die zunehmenden Klimaextreme werden an vielen Orten der Welt gewaltsame Konflikte und Migrationsbewegungen auslösen", sagt Teune. "Zumindest dieser Trend ist mit großer Wahrscheinlichkeit vorhersagbar."

Selbstkritik und Legitimität

"Die jungen Demonstrant:innen kämpfen für ihre Zukunft", unterstreicht die in Graz tätige Forscherin Ilona Otto. Viele von ihnen würden bereits durch ihren Lebensstil – mit vegetarischer Ernährung und dem Vermeiden von Auto und Flugzeug – versuchen, wenig zum Emissionsausstoß beizutragen, aber an die Grenzen ihrer individuellen Möglichkeiten stoßen. "Anstatt uns über die radikalen Demonstrant:innen zu ärgern, sollten wir über die Gründe für ihre Aktionen nachdenken" – wozu die Diskussion über Wege gehöre, die notwendigen großen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen herbeizuführen und im kleinen wie im großen Kreis Kohlenstoffemissionen zu senken.

Dafür, dass es zu keiner Eskalation der Proteste komme, sei die Politik verantwortlich, sagt Philosoph Celikates. "Dennoch sollte auch der Klimaaktivismus selbstkritisch, für Lernprozesse offen und auf die Prinzipien der Demokratie verpflichtet bleiben. Und er muss seine Mittel im Lichte sich verändernder Bedingungen und öffentlicher Reaktionen – auch angesichts tragischer Unfälle, an denen die Protestaktionen eventuell gar nicht schuld sind – überdenken und weiterentwickeln."

Im Potsdamer Museum Barberini zog die "Letzte Generation" mit Kartoffelbrei auf Monets Darstellung von Heuschobern die Aufmerksamkeit auf sich.
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Im Sinne des zivilen Ungehorsams betont Celikates zudem: "Dass die konkreten Protestaktionen illegal sind, heißt nicht, dass sie deswegen auch illegitim sind." Die sich ausdifferenzierenden Protestformen zeigen unter anderem, dass vor allem bei den Aktionen gegen Gemälde – wenngleich durch Glas geschützt – der fehlende Bezug zum Ziel der Bewegung öffentlich kritisiert wird.

Symbolische Taten

Das kann undifferenziert auch zu einer Verteufelung der ganzen Klimabewegung führen. Während symbolische Aktionen durchaus zweckdienlich sein können, sei die Beschädigung von Bildern für die meisten Menschen unbegreiflich, weil die Symbolik mental nicht mit dem Anliegen verbunden werde: "Die potenzielle Beschädigung von Gegenständen des Weltkulturerbes in Form von Gemälden scheint in keiner Beziehung zum Zweck der Klimaschutzpolitik zu stehen", sagt Ortwin Renn vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam.

Auch dort – im Museum Barberini – wurde ein Gemälde von Claude Monet mit Kartoffelpüree beworfen. Das Beispiel zeigt, dass nicht alle aktivistischen Interventionen in Kunstausstellungen ganz glimpflich ablaufen dürften: Dort wurde der Schaden am Goldrahmen auf einen fünfstelligen Betrag geschätzt. Im Leopold-Museum wurde Klimts "Tod und Leben" nach Angaben des Direktors nicht beschädigt. Das Öl, das auf dem schützenden Glas gelandet ist, war rasch wieder weggewischt. (Julia Sica, 15.11.2022)