Die Corrida sei nur etwas für "echte Fossilien", findet die Tierschutzorganisation Peta.

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Im Südwesten Frankreichs, hier Dax, findet sie allerdings weiter viele Anhänger.

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Für die meisten Franzosen ist der Stierkampf ein rotes Tuch: 77 Prozent sind laut Umfragen dagegen. Doch in Südfrankreich und der Gascogne-Region ist die Corrida noch sehr verwurzelt und populär. In Nîmes zieht die mehrtägige "Feria"-Feier einmal im Jahr Hunderttausende an. Insgesamt 60 Städte von Arles in der Camargue über Béziers bis nach Bayonne organisieren in ihren Arenen noch Stierkämpfe. Nicht alle enden mit dem Tod des Stiers: Bei der "course landaise" am Atlantik oder der "course camarguaise" geht es darum, eine Kokarde – ein Abzeichen – zwischen den Hörnern zu schnappen, und der Bulle kann durchaus gewinnen und überlebt im Normalfall. Andernorts gelten hingegen die gleichen Regeln wie in Spanien: Die Corrida endet mit dem Tod des Tieres.

Das soll sich nun ändern. Der bekannte Linksabgeordnete Aymeric Caron verlangt in einer Parlamentseingabe ein Verbot des Stierkampfes in Frankreich. In der Nationalversammlung ab Mittwoch verhandelt, lässt der Vorstoß bereits die Leidenschaften hochkochen. Bisher untersagt das französische Strafrecht bei hoher Strafe jede Grausamkeit gegen Tiere – nimmt davon aber "dauerhafte lokale Traditionen" wie eben die Corrida aus. Caron will diese Ausnahme aufheben.

Kunst oder Folter?

Seinen Vorstoß begründet er so: "Im ersten Drittel (der Corrida, Anm. d. Red.) verwenden die berittenen Picadore eine lange Lanze, die die Halsmuskeln und Nackenbänder des Stiers zerschneidet, sodass er den Kopf nicht mehr heben kann. Im zweiten Drittel werden sechs Banderillas mit mehreren Zentimeter langen Widerhaken in den Rücken des Tieres getrieben." Im Schlussgang werde sein Körper bis zum Brustkorb durchstoßen, wobei der Matador mehrmals ansetzen müsse. Dann erfolge der Messerstich ins verlängerte Rückenmark, oft ebenfalls wiederholt.

"Ist das nun Kunst oder Folter?", fragt Caron an die Adresse der Aficionados, die den Stierkampf als kulturelles Brauchtum verteidigen. Er zitiert ein Gutachten des Nationalen Veterinärrates von 2016, laut dem die Schmerzen des Stiers "unbestreitbar" seien, da sie ihn erst zum Kämpfen anstacheln.

Carons Eingabe bringt die Stierkampffans in Südfrankreich auf, noch bevor die Parlamentsdebatte begonnen hat. Vincent Bouget, Stadtrat der Kommunistischen Partei in Nîmes, konterte im Lokalradio: "Die Corrida besteht nicht darin, ein Tier ohne Verteidigung zu peinigen; sie lanciert einen von Natur aus kampfgewillten Stier, der auf eine Verletzung nicht durch Flucht reagiert, sondern durch Angriff. Der Torero riskiert sein Leben, denn er darf nur über die Hörner, also von vorne zustechen."

Der Tod gehört dazu

Und dieses Duell zwischen Tier und Mensch sei etwas anderes als der tausendfache industrielle Tod in den Schlachthöfen, fügt Bouget an, um den Corrida-Gegnern Heuchelei vorzuwerfen: "Der Tod in den Schlachthöfen wird akzeptiert, nur weil er versteckt abläuft."

Länder wie Chile, Argentinien, Uruguay oder Mexiko, dazu auch die spanische Region Katalonien haben die Corrida zumindest suspendiert, wenn nicht untersagt. Und auch in Frankreich enden die "courses landaises" am Atlantik oder die "course camarguaise" ohne Tötung. Bouget entgegnet, solcherlei sei nur mit Camargue-Stieren möglich, die weniger groß und weniger aggressiv seien. Er bleibt dabei: "Das Töten gehört zum Stierkampf. Der Bulle kann nicht mehrere Corridas absolvieren, denn er hat das erste Mal zu viel gelernt und würde dem Torero zu gefährlich werden."

Macron gegen "weitere Verbote"

Das geharnischte Fernduell zwischen Caron und Bouget lässt erahnen, wie hitzig die Parlamentsdebatte ausfallen wird. Die Meinungen gehen quer durch die Parteien. Die Befürworter der Corrida finden sich meist im Süden. Bei den Rechtspopulisten und den konservativen Republikanern sind nur einzelne Abgeordnete für das Verbot – männliche Mitglieder aber fast geschlossen dagegen. Die Grünen sind unisono für das Verbot, die Sozialisten und Kommunisten zaudern dagegen. Denn lokale Traditionen sind in Frankreich nun einmal sakrosankt, auch wenn Caron behauptet, der Stierkampf sei eine spanische, aber "keine französische Tradition"; Napoleon III. habe sie 1853 nach Südfrankreich gebracht, um seiner andalusischen Gattin Eugénie de Montijo zu gefallen.

Ausschlaggebend für den Ausgang der Parlamentsdebatte wird das Verhalten der Regierungspartei "Renaissance" von Präsident Emmanuel Macron sein. Sie hat Stimmfreigabe beschlossen; doch der Staatschef hat durch seinen Sprecher verlauten lassen, er wolle Frankreich nach allen Covid- und anderen Einschränkungen kein weiteres Verbot auferlegen. Vor Jahren schon hatte er sich für das Weiterbestehen der Corrida-Tradition ausgesprochen.

Wie gespalten die Nation ist, zeigt sich in der Corrida-Stadt Bayonne: Parallel zur Parlamentsdebatte gehen am Samstagmorgen die Befürworter des Stierkampfes auf die Straße; zwei Stunden später demonstrieren dann die Gegner. (Stefan Brändle, 16.11.2022)