Von Angst über Schuldgefühle bis hin zu Hoffnungslosigkeit: Die globale Erwärmung ist für viele Menschen ein emotionales Thema, das zum Gefühlschaos führt.
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Als ökologische Krise bedroht der globale Klimawandel mit Hitzewellen und anderen Extremwetterereignissen die Gesundheit des Menschen. Neben körperlichen kann er aber auch psychische Krisen auslösen. In jüngster Zeit beschäftigt sich die Wissenschaft zunehmend mit Gefühlen wie der Klimaangst. Diese wird als psychische Belastung oder Gefühl der Verzweiflung angesichts des fragilen Zustands des Planeten definiert.

Seit zwei Jahren widmet sich der klinische Psychologe Tobias Schabetsberger dem Phänomen der Klimagefühle. Im STANDARD-Gespräch erzählt Schabetsberger, der als Mitglied von Psychologists for Future dieses Wissen auch in Fachvorträgen weitergibt, welche Gefühle die häufigsten Begleiter in der Wahrnehmung der Klimakrise sind. Auch zeigt er Strategien auf, um handlungsfähig zu bleiben und Klimaresilienz zu entwickeln.

Klimaangst

Eine der meistzitierten Studien zu Klimaangst, auch Climate-Anxiety oder Ökoangst genannt, stammt von einem international besetzten Wissenschaftsteam, das eine groß angelegte, globale Umfrage zum Thema durchführte. Im Fokus standen Kinder und Jugendliche, deren "Gesundheit und Zukunft maßgeblich durch den Klimawandel beeinträchtigt wird", schrieb das Team im Dezember 2021 im Fachjournal "The Lancet Planetary Health". Gleichzeitig habe diese Gruppe wenig Macht, mit der Klimakrise einhergehende Schäden zu begrenzen, was sie anfällig für Klimaangst mache. Die Forschenden befragten 10.000 Kinder und Jugendliche aus zehn Ländern – darunter Australien, Indien, Nigeria, Finnland und die USA – zum Thema Klimaangst. Drei Viertel der Befragten sehen die Zukunft als beängstigend, 59 Prozent sagten, sehr oder extrem besorgt zu sein. Mehr als 45 Prozent der Befragten gaben an, dass diese Emotionen ihr tägliches Leben auf belastende Weise beeinflussen und ihnen ihr Handeln im Alltag vielfach erschweren.

Was hilft? "Beeinflusst die Angst das eigene Leben negativ, hilft der Austausch mit anderen", rät der klinische Psychologe. Solche Gespräche dienen auch dazu, wieder Handlungsmöglichkeiten zu erkennen. Bei Angststörungen oder Depressionen brauche es jedoch psychologische oder psychotherapeutische Hilfe.

Schuldgefühle

In der eingangs zitierten Umfrage mit 10.000 Teilnehmenden sagte mehr als die Hälfte, dass sie wegen der Klimaveränderung mit Schuldgefühlen zu kämpfen haben. Ursächlich dafür ist der Umstand, dass die globale Erwärmung auf menschliche Aktivitäten zurückgeht und wenig durchschlagende Aktionen gesetzt wurden, um die globalen Emissionen wirksam zu beschränken. Erschwerend kommt hinzu, dass Handlungen auf individueller Ebene einerseits ebenfalls zur Verschlechterung der Situation beitragen, andererseits klimafreundliches Verhalten einzelner Personen wenig globale Verbesserungen zur Folge hat.

Was hilft? "Es geht nicht darum, dass eine Person das Klima zu 100 Prozent schützt", spricht Schabetsberger einen unerreichbaren Vorsatz an. Und: "Niemand trägt die alleinige Verantwortung für den Klimawandel."

Öko-Wut

Während klimabedingten Angstzuständen bereits wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteilwird, vermisste ein Team australischer Forschender eine genauere Betrachtung der Wut. Unter Verwendung nationaler Umfragedaten widmeten sie sich der Frage, wie sich diese Emotion auf die Psyche und das individuelle Handeln auswirkt. Die 2021 publizierten Ergebnisse legen nahe, dass Öko-Wut zu mehr Engagement im Klimaaktivismus und eher zu einer Anpassung des persönlichen Verhaltens führt als andere durch den Klimawandel hervorgerufene Emotionen. Zudem sei Wut psychisch weniger belastend als etwa Klimaangst. Dennoch weist konstant hochkochende Wut auf ein nicht erfülltes oder unbefriedigtes Bedürfnis hin.

Was hilft? Wut erzeugt große Kraft, Missstände zu beenden. "Eine 100 Grad heiße Suppe kann ich aber nicht essen, es ist sinnvoll, sie abkühlen zu lassen", sagt Schabetsberger. Ein gutes Ventil sei etwa Sport. Sei die erste anfängliche Welle der Wut abgeklungen, "kann ich überlegen, wie ich die Energie der Wut konstruktiv nutzen kann".

Solastalgie

Der Terminus Solastalgie bezeichnet ein Verlustgefühl, das Menschen empfinden, wenn sie mit der Veränderung oder Zerstörung ihrer Heimat konfrontiert sind. Dieses oft von Traurigkeit begleitete Gefühl entsteht, wenn Dinge verlorengehen, die einen wichtigen Stellenwert im eigenen Leben einnehmen. Geprägt wurde der Begriff vom australischen Naturphilosophen Glenn Albrecht, der das Gefühl als eine Art Heimweh beschreibt, die sich einstellt, "wenn man noch zu Hause ist", da sich das eigene Heim auf belastende Weise verändert. Auslöser können neben dem Klimawandel Extremereignisse wie Hurrikans oder Dürren sein.

Was hilft? "Dinge an- und wahrzunehmen, wie sie sind, eröffnet nach einer ersten, oft schmerzlichen Phase neue Handlungsmöglichkeiten und Sichtweisen", sagt Schabetsberger. Gerade beim Gefühl von Traurigkeit sei Einsamkeit kein guter Begleiter. "Besser ist es, sich mit Menschen zu umgeben, die man mag."

Hoffnungslosigkeit

In wissenschaftlichen Arbeiten wird angenommen, dass Hoffnung im Kontext der Klimakrise eine Schlüsselemotion ist: Ohne Hoffnung kann es schwierig sein, einen Grund zum Handeln zu finden. Ein Übermaß an Hoffnungslosigkeit kann nahezu lähmen: Wie frühere Studien zeigen, kann das Gefühl der Hoffnungslosigkeit zu Resignation und zum Rückzug aus dem sozialen Umfeld führen. Untersuchungen zufolge begünstigt Hoffnungslosigkeit bei jungen Menschen auch gewalttätiges Verhalten und Drogenmissbrauch.

Was hilft? "Hoffnungslosigkeit engt die Wahrnehmung ein", sagt Schabetsberger. Gespräche seien hier wichtig, um neue Handlungsoptionen und Perspektiven zu sehen. So könne man etwa erkennen, "dass weltweit Millionen Menschen demonstriert und den politischen Diskurs schon verschoben haben". (Marlene Erhart, 19.11.2022)