Gerlinde Mock in ihrem Schulungsraum in Fohnsdorf in der Obersteiermark. Neutral schmeckt und riecht Wasser selten, das weiß die Wassersommelière nur zu gut.
J. J. Kucek

Sechs Wässer sind in grüne, durchsichtige Flaschen abgefüllt und auf dem Tisch aufgefädelt. Glas wechselt sich mit Plastik ab, sprudeliges Wasser mit stillem. Ihre Weingläser hat Gerlinde Mock für unsere Remote-Wasserverkostung vorbereitet, auf der anderen Seite des Bildschirms, vor mir nämlich, stehen Ikea-Gläser: leicht vergilbt, manche grau, die Jahre des Gebrauchs deutlich zu sehen. Ich werde nicht getadelt, aber ideal sind meine alten Trinkgläser für eine Verkostung natürlich nicht. Mock gibt mir einen Tipp: Man sollte das Glas – ähnlich wie beim Anvinieren des Weins – vorher klären, indem man es mit etwas Wasser ausspült. Wir verkosten Mineral- und Heilwässer auf Geruch und Geschmack hin. Eines werde auch nach Blut schmecken, teasert Mock an. Na, mal schauen.

Seit 2017 beschäftigt sich die Steirerin mit verschiedensten Mineral-, Heil- und Leitungswässern. Bei Letzterem wisse man aber nie, welche Inhaltsstoffe sie haben und wie sie schmecken werden, das sei bei den anderen Wässern anders. Die Mineralienmenge von Mineralwasser ist nämlich gesetzlich reglementiert.

Über die Weinakademie ist Gerlinde Mock auf das Fachgebiet gestoßen, mehrere spezifische Schulungen und Prüfungen musste sie für die Berufsbezeichnung Wassersommelière im In- und Ausland absolvieren. Da in der Gastronomie oft der Weinsommelier Mocks Job übernimmt, setzt sie ihr Know-how in Schulungen auch im Handel ein und berät dort Kunden, welches Wasser zu ihrem Geschmack und ihren Anforderungen passt. So empfiehlt sie Sportlern Wässer mit Magnesium und Kalzium, andere sollen positiv auf Haare und Nägel wirken.

Geschmacksfrage?

Mock ist auch Sommelière für Fruchtsäfte, Kaffee, Tee und Milch, ein richtiger Geschmackstausendsassa. Bei all den Getränken ist Wasser der gemeinsame Nenner, erklärt Mock die wilde Mischung. Um Wassersommelière zu werden, muss man Nase und Geschmackssinn trainieren, um die diversen Geruchsstoffe unterscheiden zu können. Die meisten, so die Wasserexpertin, die in diesem Bereich arbeiten, sind keine Supertaster, also Geschmacksvirtuosen, sondern durchschnittliche Riecher und Schmecker.

Wenn man sich mit Wasser auseinandersetzt, ist es wichtig, "zuerst den Inhalt zu analysieren und dann erst nach dem persönlichen Geschmack vorzugehen". Obwohl, "schmecken tut man relativ wenig", lacht die Wasserspezialistin. Nur etwa zehn bis 20 Prozent des Geschmackserlebnisses lassen sich auf das Schmecken selbst zurückführen, den beträchtlichen Rest übernimmt unsere Nase. Über das Schnüffeln gelangen die ersten Aromen sofort auf den Riechkolben, sobald man das Wasser im Mund bewegt, kaut und dann ausatmet, wie die Wasserspezialistin den Vorgang beschreibt, stoßen weitere olfaktorische Sinneseindrücke dazu.

Seit 2017 beschäftigt sich die Steirerin mit verschiedensten Mineral-, Heil- und Leitungswässern.
J. J. Kucek

Wasser ist weder geruchs- noch geschmacksneutral, auch wenn das so noch in Schulbüchern gelehrt wird, sagt Mock. Und ja, es gibt Wässer, die sehr neutral sind, bei denen man nicht genau sagen könne, ob sie "schwefelig oder eine Spur salzig oder mineralisch" schmecken. Manche seien hingegen sehr intensiv, etwa das Sicheldorfer Heilwasser aus Bad Radkersburg: Die Wassersommelière erschnüffelt da "Meeresgischt oder Zahnarztpraxis. Das hört sich zwar wild an, aber es kommt geruchstechnisch dorthin. Ich roch auch Zitronenzeste oder einen Hauch Ananas heraus."

Onlinetasting

Diese geschmackliche Komplexität des Wassers, die wie beim Wein durch das Terroir, die Gesteinsschichten beeinflusst wird, will ich nun selbst probieren. Für das Onlinetasting schickt mir die Sommelière eine Auswahl von sechs Wässern, drei Mineral- und drei Heilwässer: Waldquelle still, Peterquelle und Longlife prickelnd, Thalheim still, Johannisbrunnen und das ominöse Sicheldorfer, ebenso in prickelnder Ausführung. Alle Wässer befinden sich in einer Preisspanne von 55 Cent bis 1,70 Euro. Luxuswasser sieht Mock per se nicht problematisch, aber "teures Wasser ist nicht automatisch besser".

Zuerst soll ich die Perlage, also den Sprudel der Wasser, beachten, ob es lange oder kurz perlt, ob die Bläschen fein oder größer ausfallen. Selbst fünf Minuten nach dem Einschenken blubbert das Longlife-Wasser munter vor sich hin. "Wie bei einem guten Champagner", scherzt Mock. Das Tasting ist kompetenzorientiert, heißt: Learning by Doing. Auch die Temperatur sei nicht unwesentlich, zwei Grad Unterschied, und das Wasser schmecke anders. Bei der Verkostung werden Optik, Geruch und Geschmack beurteilt. Bei der Optik analysieren wir bereits das CO2, klar und glänzend, so die Beschreibung Mocks, sind alle Wässer. Theoretisch könnte man auch die Farbe bestimmen, dazu bräuchte man aber lupenreine Gläser und Tageslicht.

Jetzt geht es an den Geruch: Wie beim Wein schwenken wir die Wässer, schnuppern daran, versuchen, feine Unterschiede wahrzunehmen. Einige sondern für mich keinen Geruch aus, andere duften frisch, sogar intensiv. Bei der Peterquelle steigen Salz und Schwefel in die Nase. Bei Longlife fehlt das Salzige. "Im Wasser vom Johannisbrunnen ist etwas drinnen, das wir im Normalfall nicht benennen können", merkt die Expertin neugierig machend an. Salzig, kalkig, ein Hauch Schwefel und eine Note von Mysterium riecht man heraus. "Es ist Eisen", löst die Wassersommelière auf. Beim Kosten wird deutlich: Das Wasser schmeckt nach Blut.

Über die Weinakademie ist Gerlinde Mock auf das Fachgebiet gestoßen, mehrere spezifische Schulungen und Prüfungen musste sie für die Berufsbezeichnung Wassersommelière im In- und Ausland absolvieren.
J. J. Kucek

Gipsig, süß, salzig

Wir nehmen von jedem Wasser einen kräftigen Schluck, spülen unseren Mund. Wie angenehm ist das CO2? Sticht es, oder fühlt es sich schmeichelnd an? Das soll ich Mock beantworten. Beim Schlucken soll ich durch die Nase ausatmen, das sei ganz wichtig. Das Wasser von Waldquelle schmeckt für mich sehr neutral. "Das ist vielen Kunden wichtig", sagt die Wasserexpertin. Ob es am Gaumen stahlig, auskleidend oder hart ist, will Mock wissen, beim Geschmack fragt sie, ob es in die bittersüße, seifige oder gipsige Richtung geht. Damit will sie mir die verschiedenen geschmacklichen Facetten des Wassers zutragen, die für mich als Schmecknovize so unbeschreiblich sind. Seife und Stahl nenne ich und liege richtig. "Das Kalzium bringt das Gipsige hinein, der Hauch Bittersüße stammt vom Magnesium", erklärt die Expertin.

Wir testen uns weiter durch die verschiedensten Wässer: Peterquelle schmeckt mir gar nicht, es ist intensiv am Gaumen, erinnert an eine Magnesiumtablette, die man bei einem Kater einnimmt. Diesen kann man übrigens laut Mock beeinflussen: Wässer trinken, die reich an Kalzium, Magnesium und Natrium sind, so ihr Tipp. Mit Blick auf die Flaschenbeschreibung lässt sich feststellen, wie viel Mineralien sich im Wasser befinden und welche. Die Süße schmecke ich aus dem Longlife-Wasser raus, bei Thalheim das Austrocknende. "Deine Geschmacksknospen sind in Form", lobt mich die Wassersommelière.

Komplexe Aromen

Verblüffend schmeckt das letzte Wasser von Sicheldorfer. Süße Noten, bitterer Geschmack, salzige Aromen, so gar nicht nach Wasser schmeckt es. Mit der Beschreibung "komplex" treffe ich bei Mock einen Nerv. "Beim Wein ist es bekannt, dass er komplex sein kann. Beim Wasser ist das auch so", sagt sie freudig. Sie vergleicht das Heilwasser mit einem Barrique-Wein. Nun würden die Wässer mit Säften, Wein und Essen kombiniert werden, um die verändernden Aromen zu erfahren. Das lassen wir an diesem Abend allerdings aus. Beim Wein, seinen vielen Jahrgängen und Terroirs "würden wir nie fertig werden", sagt Gerlinde Mock. Mit Wasser verhält es sich ähnlich.

Gerlinde Mock in ihrem Schulungsraum in Fohnsdorf in der Obersteiermark. Neutral schmeckt und riecht Wasser selten, das weiß die Wassersommelière nur zu gut. (Kevin Recher, 16.11.2022)