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Im menschlichen Darm tummeln sich Unmengen von Mikroorganismen, die in stetem Austausch stehen, darunter auch Escherichia coli.
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Über die Darmtätigkeit spricht man nicht gern, doch gerade auf diesem Gebiet hat die Wissenschaft in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. In unserem Darm lebt eine Vielzahl an Bakterien, die wesentlich für die Gesundheit sind. Alle Mikroben in unserem Darm stehen untereinander, aber auch mit dem Immunsystem in ständiger Wechselwirkung.

Bakterien als Datenträger

Durch den Kontakt mit unserer Darmschleimhaut, Zellen der Immunabwehr, Krebszellen und Krankheiten verursachenden Keimen nehmen Bakterien Informationen auf. In unserem rund sechs bis acht Meter langen Darm kommt es zu zahlreichen Interaktionen, die uns bisher verborgen blieben. Dies versucht man sich in der Früherkennung von Krankheiten in Zukunft zunutze zu machen. Bakterien können biotechnologisch so verändert werden, dass sie verschiedene Signale des Körpers aufnehmen und in ihrem Erbgut speichern können.

Im Organismus können diese Bakterien mit Biomolekülen interagieren und so Aufschluss über biochemische Vorgänge geben. Durch den Einsatz der Genschere Crispr ist es diesen Bakterien möglich, jene Genabschnitte, die exprimiert – also abgelesen und als Produktbauplan verwendet – wurden, in die eigene DNA zu integrieren. So dokumentieren sie ihre eigene Geschichte.

Konstante Interaktion

Das bisher häufigste in Tierversuchen eingesetzte Bakterium ist Escherichia coli, kurz E. coli, das in jeder und jedem von uns natürlich vorkommt. Während es den Darm passiert, zeigt es charakteristische Veränderungen, je nachdem, mit welcher Ernährung oder welchen anderen Bakterien es in Berührung kommt und in welchem Darmabschnitt es sich gerade befindet. In ersten Tierexperimenten konnte gezeigt werden, wie Ernährung, Entzündungen und mikrobiologische Interaktionen die Gesundheit beeinflussen.

Einer der Forschenden, der sich umfassend mit diesem Thema befassen, ist der Bioingenieur Randall Platt. Für seine Arbeit wurde er bereits mehrfach ausgezeichnet. So erhielt er 2020 den Eppendorf Award for Young European Investigators und im Jahr darauf als erster Forscher den Latsis-Preis, der junge Forschende unter 40 Jahren für neue Entdeckungen oder herausragende Leistungen ehrt. Auch beim diesjährigen Falling Walls Science Summit in Berlin war er vertreten. Bei dieser Veranstaltung werden anlässlich des Mauerfalls am 9. November 1989 jährlich beeindruckende Forschende ausgezeichnet.

Tierversuche und klinische Anwendungen

Platt errang einen Sieg in der Kategorie Life-Sciences für seine Arbeit mit biotechnologisch veränderten Bakterien. Der Bioingenieur, der an der ETH Zürich forscht, sieht in diesem Gebiet großes Potenzial für künftige diagnostische Verfahren. Zwar ist seine Arbeit und die seines Teams bisher auf Tierversuche beschränkt, doch gibt es bereits zahlreiche Ideen für mögliche klinische Anwendungen. So wurden erste Versuche durchgeführt, bei denen mittels der Bakterien Mäuse, die an einer Darmentzündung erkrankt sind, von gesunden Individuen unterschieden werden können.

In der klinischen Anwendung könnte dieses Verfahren somit die Endoskopie, also die Untersuchung des Darms mittels einer flexiblen Kamera, ergänzen oder gar ersetzen. Platt ist bewusst, dass vorher noch einige Hürden überwunden werden müssen. So betont der Forscher, dass das Bakterium E. coli vor allem zu Beginn unserer Entwicklung im Darm prominent ist. Doch im Laufe des Lebens spielen eher andere – wie Bacteroides oder Lactobacillus – eine große Rolle. Daher ist sein Team bestrebt, auch bei diesen Bakterienfamilien Crispr anzuwenden und zu sehen, welche Informationen diese speichern.

Chancen und Hürden

Außerdem ist das Mikrobiom des Menschen sehr komplex. In den Tierversuchen nutzen Platt und sein Team daher "keimfreie" Mäuse, um verlässliche Ergebnisse zu erzielen. Umso spannender ist es, welche Ergebnisse erste Versuche bei Menschen bringen würden. Dafür ist jedoch die Zulassung durch die US-amerikanische Food and Drug Administration notwendig. Diese hat noch einige Bedenken, die es auszuräumen gilt.

Eine Befürchtung ist eine Ausscheidung der biotechnologisch veränderten Bakterien über den Stuhl in die Umwelt – beziehungsweise eine unkontrollierte Vermehrung dieser Mikroorganismen. Außerdem muss verhindert werden, dass diese resistent gegenüber Antibiotika werden und so weiter zu einem bereits bestehenden Problem beitragen. Um dies zu sichern, schalten die Forscherinnen und Forscher ganz bewusst jene Genabschnitte aus, die zu solch einer Resistenz beitragen könnten.

Nichtinvasive Diagnose

Auch gibt es Stimmen, die eine Speicherung der genetischen Informationen im Chromosom im Zellkern der Bakterien verlangen, um einen leichten Austausch mit Zellen des menschlichen Darms zu verhindern. Platt betont, dass diese Verfahren sehr sicher und außerdem sehr vielversprechend seien, um als nichtinvasive diagnostische Mittel für Reizdarmsyndrom, Darmentzündungen und auch Karzinome eingesetzt zu werden.

Der Forscher geht noch einen Schritt weiter: Er ist davon überzeugt, dass es langfristig möglich sein wird, mithilfe dieser Methode auch individuell angepasste Ernährungsstile passend zum eigenen Mikrobiom zu erarbeiten. (Veronika Sperl, 27.11.2022)