Bereits 2013 machte Yitang Zhang mit einer wichtigen Arbeit über Primzahlen von sich reden. Nun gelang ihm ein weiterer spektakulärer Durchbruch.
Foto: Sonja Fernandez

Sie sind die Stars unter den Zahlen, voller Geheimnisse und spektakulärer Anwendungen. Primzahlen sind natürliche Zahlen mit einer besonderen Eigenschaft. Die gängige Definition spricht davon, dass sich Primzahlen nur durch sich selbst und durch eins teilen lassen (was von der etwas seltsamen Idee Gebrauch macht, dass sich etwas in einen einzigen Teil "teilen" lässt). Diese im Grunde einfache Voraussetzung macht Primzahlen nicht nur zur Grundlage der wichtigsten Verschlüsselungsverfahren, sondern auch zu einer Art Arbeitstier der Zahlentheorie. Viele mathematische Verfahren zu natürlichen Zahlen beginnen damit, die betreffende Zahl erst einmal in Primzahlen zu zerlegen.

Dementsprechend wertvoll sind starke mathematische Aussagen über die Natur von Primzahlen. Dass es unendlich viele von ihnen gibt, stammt von dem antiken Mathematiker Euklid von Alexandria und lässt sich innerhalb weniger Minuten auf einer Serviette oder einem Bierdeckel beweisen. Doch was mit der Folge der Primzahlen geschieht, wenn sie ins Unendliche strebt, ist ein Mysterium. Bekannt ist inzwischen, dass ihr Abstand tendenziell immer größer wird. Doch eine Vermutung, die den Namen Euklids trägt, aber nicht auf ihn zurückgeht, legt nahe, dass es eine unendliche Anzahl von Primzahlen-Paaren gibt, zwischen denen nur eine einzige Zahl liegt – wie etwa drei und fünf. Die Vermutung ist bislang unbewiesen.

Doch 2013 schockierte der Mathematiker Yitang Zhang, der an der Universität Santa Barbara forscht, die Welt mit einem bizarren Ergebnis. Er konnte zeigen, dass eine unendliche Anzahl von Paaren von Primzahlen gibt, die einen bestimmten Abstand zueinander nicht überschreiten. Diesen Abstand ermittelte er mit 70 Millionen. Inzwischen konnte der Wert auf 246 gesenkt werden, doch Zhangs Ergebnis war das Erste, das nicht auf Zusatzannahmen zurückgreifen musste.

Nun, fast zehn Jahre später, lässt der Mathematiker mit einem neuen Ergebnis aufhorchen. Er hat einen Satz bewiesen, der als kleiner Bruder eines der wichtigsten Probleme der Mathematik gilt. Die Riemannsche Vermutung ist eines von zehn Problemen, auf deren Lösung ein Preisgeld von zehn Millionen Dollar ausgesetzt ist. Es geht dabei um die Bestimmung der Nullstellen einer Funktion, die auf den Mathematiker Bernhard Riemann zurückgeht. Sie handelt zwar nicht direkt von Primzahlen, sondern von komplexen Zahlen, doch ein Beweis würde wichtige Informationen über die Verteilung von Primzahlen zu immer größeren Zahlen hin bringen.

Das nun von Zhang gelöste Problem ist einfacher und nicht mit einem Preisgeld von einer Million Dollar verbunden, macht aber ebenfalls Aussagen über die Verteilung von Primzahlen. Erweist sich der Beweis als richtig, würde das bedeuten, dass die Verteilung in gewisser Hinsicht gleichmäßig ist, also keinen großen Schwankungen unterworfen ist. Ein Ergebnis mit "massiven Auswirkungen", wie ihm ein Fachkollege von der Universität Montreal bestätigt.

Privates über den Mathematiker

Zhang, der im Zuge der Kulturrevolution mit seinen Eltern aufs Land geschickt wurde und dort aufwuchs, bevor er in Peking studierte, nutzte die Gelegenheit, um der chinesischen Website Zhihu von seinem Leben zu erzählen, das nun viele Menschen interessiere, wie er meint. Er erklärt darin, dass er seit 2007 an der Landau-Siegel-Vermutung forschte und ihn diese Frage seither immer wieder beschäftigt habe, dass er aber durch seine Arbeit an den Primzahlen-Zwillingen davon abgelenkt wurde. "Normalerweise denke ich über mehrere Probleme gleichzeitig nach, wobei ich mich eine Zeitlang mit diesem und eine Zeitlang mit jenem beschäftige", beschreibt er seinen Zugang kürzlich in einem Interview.

Das mache sich auch im Privatleben bemerkbar: "Meine Frau denkt, dass ich nicht viel spreche", erklärt er. Er ziehe sich nach dem Abendessen gern zurück und höre Musik mit seinen Kopfhörern, was seine Frau zu Scherzen animiere, dass er geistig abbauen könnte und sie in bald mit einem Rollstuhl schieben müsse. Er erzählt davon, dass sie ihn auch zum Kochen zwinge, obwohl er ein schrecklicher Koch sei, mit dem Ziel, es ihm beizubringen.

Zhang hat auch einen Bezug zu Wien, das er mit seiner Frau der klassischen Musik wegen besucht habe. Zuallererst sei er aber zur Universität Wien gegangen, "weil ich die Statue von Kurt Friedrich Gödel sehen wollte." Als er sie nach langem Suchen nicht finden konnte, klärte ihn ein zufällig vorbeikommender Professor über die kuriose Tatsache auf, dass es in Wien kein Denkmal für den bedeutenden Forscher gibt.

In Wien wollte Zhang das Denkmal zu Ehren einer seiner berühmtesten Söhne besuchen: des Mathematikers und Logikers Kurt Gödel. Allerdings gibt es ein solches in Wien nicht.
Foto: Departement of Rare Books and Special Collections, Princeton University Library

Ein Grund, warum das Genie mit diesen intimen und nicht ganz ohne Ironie dargebrachten Einblicken nach außen geht, mag sich in der Art und Weise finden, wie er von einem Nachwuchsmathematiker aus London spricht, der seine Arbeit gelesen hatte und den er ermutigt.

"Ich hoffe, dass junge Leute wie er ihre Fantasie benutzen und nicht die Dinge ihrer Vorgänger als überlegen ansehen", sagt Zhang. Sie sollten sich vielmehr fragen, wie sie Dinge anders machen und alte Muster durchbrechen könnten. "Ihr jungen Leute habt eine große Zukunft, wenn ihr ständig Fragen stellt und versucht, neue Wege zu finden", ermuntert er die Angesprochenen. Jugendförderung betreibt er aber auch auf anderer Ebene: Er hilft seiner kleinen Enkelin bei ihren Mathematik-Arbeiten. Sie habe vor, die Fields-Medaille zu gewinnen, wie er erklärt.

Ihm selbst sei diese Auszeichnung nicht wichtig, weil er solche Dinge nicht so ernst nehme – eine Eigenschaft, die er mit dem russischen Mathematiker Grigori Perelman teilt, der die höchste Auszeichnung in der Welt der Mathematik 2006 prompt ablehnte. Zhang nahm hingegen mehrere Preise entgegen, darunter den mit 100.000 Schweizer Franken dotierten Ostrowski-Preis, der allerdings, trotz des vertrauten Namens, keinen weiteren Österreichbezug mit sich bringt.

Altes Genie

Zhang ist in mancher Hinsicht ungewöhnlich in der an ungewöhnlichen Charakteren nicht armen Welt der Mathematik. So gelang ihm der Durchbruch mit fast 60 Jahren erst sehr spät. Gerade in Mathematik und Physik haben die Forschenden ihre beste Zeit oft in ihren Zwanzigern. Einstein war 26, als er die bahnbrechenden Arbeiten zu Quantenphysik und Relativitätstheorie veröffentlichte, Kurt Gödel 25, als er seinen ersten Unvollständigkeitssatz publizierte, der die damalige Mathematik aus den Angeln hob.

Streng genommen ist Zhangs zweiter Durchbruch noch nicht in Stein gemeißelt. Eine Prüfung seiner Arbeit durch ein Fachjournal steht noch aus. Wer nicht darauf warten und den Beweis selbst prüfen will, kann das unter dem untenstehenden Link versuchen. (Reinhard Kleindl, 16.11.2022)