Foto: Nintendo
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Es ist schon ärgerlich, was sich Gamefreak und Nintendo leisten. Es ist auch verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Pokémon ein Multimillionenfranchise ist. Aber die Qualität der Spiele, besonders auf grafischer Ebene, ist eines AAA-Games nicht würdig. Der Vorgängerteil, Pokemon-Legenden: Arceus hatte schon mit Grafikproblemen zu kämpfen, die ein sonst herausragendes Gameplay ins Mittelmaß hinabzogen. Man müsste ja meinen, dass die Entwickler sich die Kritik zu Herzen und sich selbst an der Nase nehmen, um den Spielerinnen und Spielern nicht nur ein atmosphärisch wie strategisch beeindruckendes Produkt anzubieten, sondern auch optische Finesse zu beweisen. Aber genau das ist nicht passiert. Die Editionen Karmesin und Purpur enttäuschen zumindest in diesem Bereich erneut.

Warum man Pokémon grafisch so stiefmütterlich behandelt, lässt sich schwer nachvollziehen. Zelda, ein anderes Nintendo-Schatzi, braucht Jahre und wird immer weiter nach hinten verschoben, um es bis zur Perfektion zu polieren und herauszuputzen. Liegt es daran, dass erst im Jänner mit Arceus ein neuer Hauptteil der Reihe bereits erschienen ist und man die Ressourcen geteilt hat oder teilen musste? Dass zwei solche Kaliber eines Franchise innerhalb eines Jahres erscheinen, ist auch eher ungewöhnlich. Beide Produkte wirken hastig fertiggestellt. Oder ist es, im Gegensatz zu der Meinung von Zelda-Fans, einfach wurscht, wie ein Pokémon-Spiel aussieht?

Die Darstellung der Region Paldea basiert auf Landstrichen in Spanien und Portugal. Anleihen findet man im Design mancher Pokémon selbst und in den Ortsnamen.
Foto: Nintendo

Drei Wege zum Sieg

Karmesin und Purpur setzten dort an, wo Arceus die ersten Steps gemacht hat: Paldea, die neue Region, die Anleihen an die Iberische Halbinsel nimmt, ist eine Open World. Das heißt, jede Stadt, jedes Territorium lässt sich nach Belieben erkunden, es gibt auch keine lineare Storyline mehr, es gibt sogar drei. Hat man sein Starter-Pokémon (die Graskatze Felori, das Feuerkrokodil Krokel und die Wasserente Kwaks) gewählt, führt der erste Weg zur Akademie in Mesalona City. Dort lernt man die weiteren Protagonisten des Games kennen, und die drei Abenteuer werden präsentiert, denen man nachgehen kann. "Der Weg des Champs" folgt dem klassischen Pokémon-Schema, acht Arenaleiter zu besiegen, um zuletzt gegen die top vier und den Champion anzutreten. "Die Straße der Sterne" führt zu den Bösewichtern des Teams Star, die man in die Schranken weisen muss. Und auf dem "Pfad der Legenden" unterstützt man seinen Schulkollegen Pepper dabei, sogenannte Geheimgewürze ausfindig zu machen, die von gigantischen Monstern, den Herrscher-Pokémon, bewacht werden.

Welchem Weg man folgt, ist jedem selbst überlassen, ich habe zum Beispiel mit der ersten Arena begonnen, mich danach zur ersten Herausforderung mit einem Herrscher-Pokémon gemacht, um danach meine trainierten Pokémon im Kampf gegen das Team Star einzusetzen. Man kann auch völlig linear die Geschichten abschließen, die Handlungsorte liegen aber zum großen Teil so nah beieinander, dass sich die Aufgabenwege praktischerweise kreuzen.

Die drei Starter-Pokémon.
Foto: Nintendo

Die offene Welt Paldeas ist facettenreich und frisch: Windmühlendörfer, Bergbauhöhlen und Küstenörtchen sind liebevoll und abwechslungsreich gestaltet. Die Städte sind überdimensioniert, die sich darin bewegenden Figuren wirken verloren, die Ortschaften leer und leblos. Auch gibt es dort wenig zu tun, außer sich mit der Arenaleitern zu messen oder seine Pokémon zu heilen. Wäre Legenden: Arceus zu Beginn des Jahres nicht auf den Markt gekommen, wäre die Open World eine spannende Neuerung, ein frischer Wind. So sticht diesmal hervor, dass sie zumindest nicht mehr in Segmente geteilt ist.

Neuerungen müssen sein

Um von Ort zu Ort schnellstmöglich zu vorankommen, bekommt man schon zu Beginn die legendären Drachen-Pokémon Koraidon und Miraidon – je nach Edition – an die Seite gestellt. Auf deren Rücken wird Paldea schnellstmöglich durchquert, im Laufe des Spiels erhalten die Reittiere neue Fähigkeiten hinzu, um mehr Regionalabschnitte erschließen zu können. Dort tummeln sich dann neue Pokémon, darunter zig neue Monster, die ihren ersten Auftritt haben. Das Feen-Pokémon Hefel ist ein Hund mit Prinzessin-Leia-Gedächtnis-Dutt, Azugladis ein mächtiges Geist-Krieger-Pokémon mit Schwertarmen. Kreative Monsterkonzeptionen, überdesignte Monstrositäten, aber auch plump gestaltete Pokémon stoßen in die mittlerweile über 1.000 virtuelle Viecher fassende Liste an Monstern dazu.

Reitend beim Pokémon-Center.
Foto: Nintendo

Auch am Gameplay hat man geschraubt. Die Pokémon folgen dem Protagonisten auf Schritt und Tritt, attackieren aber auch wilde Monster automatisch und sammeln dadurch eine kleine Menge an EPs für sich und sein Team. Mit einem Pokéballwurf initiiert man einen Kampf, die intuitive Möglichkeit, Pokémon so auch fangen zu können, wie es in Legenden: Arceus der Fall war, hat man leider nicht übernommen. Pokémon fängt man nur in Kämpfen, und auch diese haben im Vergleich zu Legenden: Arceus einen gewaltigen Rückschritt gemacht. Dort konnte man seine Spielfigur während des Gefechts frei bewegen, die Attacken der Pokémon waren interaktiver und punktuell annähernd das, was man aus der TV-Serie kennt. In Karmesin und Purpur sind die Kämpfe wieder klassische gestaltet – wirken nun vergleichsweise statisch. Auch die Trainerkämpfe laufen anders ab: Nun muss man Pokémon-Trainer direkt ansprechen, um einen Kampf vom Zaun zu brechen, das bloße Ins-Blickfeld-Geraten, ist passé. TMs sind wieder nur einmalig einsetzbar, bei speziellen TM-Maschinen lassen sich diese mit Sammel-Items aber neu erzeugen.

Kämpfe müssen neuerdings aktiv initiiert werden.
Foto: Nintendo

Gimme, gimme, Gimmick

Natürlich kam Entwickler Gamefreak nicht umhin, erneut ein Gimmick einzubauen. Gab es bereits Z-Attacken, Mega-Evolutionen und Dynamaximierung, setzt man in dieser Pokémon-Generation auf die Terakristallierung, ein weiteres, leicht von der Zunge gehendes Wort. Der neue Kniff soll noch mehr Taktik in die Pokémon-Formel bringen: Jedes Monster besitzt jetzt einen extra Tera-Typ, der im Kampf eingesetzt werden kann. Das Drache-Normal-Pokémon Mopex kann zum Beispiel den Tera-Typ Normal oder Drache oder in seltenen Fällen einen komplett anderen haben. Wird die Terakristallisierung eingesetzt, wechselt das Pokémon seinen Original-Typ zum Tera-Typ. Ein Wasser-Pokémon wird so zum Beispiel zum Feuer-Pokémon und gewinnt im Kampf gegen ein Gras-Monster so die Oberhand. In der Theorie interessant, tauchen die Terakristallisierungen im Spiel vorrangig in Arenaleiterkämpfen auf. Eher im kompetitiven Spiel mit menschlichen Gegnern könnte das neue Gameplay-Gimmick zu überraschenden Wendungen führen.

Glurak mit dem Tera-Typ Drache.
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Probleme in Paldea

Trainerkämpfe gibt es in Karmesin und Purpur zuhauf, nur hat man das Gefühl, dass sie ein vernachlässigter Punkt bei der Entwicklung des Spiels waren. In den ersten 15 Stunden des Tests gab es keine Trainer, die ihre Pokémon auswechselten oder Items einsetzten. Zu Beginn des Spiels in Ordnung, hätte man sich im späteren Verlauf des Games doch mehr Herausforderung und Komplexität gewünscht. Ein weiteres Problem ist, dass sich die Level der Pokémon und Trainer scheinbar nicht an den Fortschritt des Spielers angleichen. Nach den ersten drei Arenen machte ich mich auf, um weitere Herrscher-Pokémon in einer anderen Region zu bekämpfen. Mit meinen Level-30-Monstern war ich aber bereits dermaßen overpowert, dass ich sie mit nur einer Attacke besiegen konnte.

Grafisch und Performance-mäßig haben die beiden neuen Editionen keinen großen Schritt nach vorn getan: Reitet man über die Felder Paldeas, dauert es immer, bis Pokémon spawnen. Erst nach einer Zeit vor Ort füllen sich Höhlen, Steppen und Strände mit Herden an Monstern. Weiter entfernte Animationen wie Windmühlen oder vorbeispazierende Figuren bewegen sich stakkatoartig, wenn zu viel am Bildschirm passiert, ruckelt das Game und die Performance stürzt auf eine wahrnehmbar niedrige Frame-Rate herab. Das sind alles Punkte, die nach dem Erste-Tag-Patch noch erhalten sind, davor war das Spiel grafisch schockierend mies. Wie schon eingangs erwähnt, erschließt es sich mir nicht, wie man eines der wichtigsten Spiele des Jahres visuell so stiefmütterlich behandeln kann. Und man sich auch traut, diese mit vielen Grafik-Schwächen zu veröffentlichen.

Pokémon-Akademie, das Herz der Region.
Foto: Nintendo

Fazit

Pokémon Karmesin und Purpur sind unterhaltsame und gewaltige Editionen. Die offene Spielwelt ist weitläufig, bietet unterschiedlichste Landschaften, massig Pokémon alt wie neu und noch massigere Kämpfe. Nur fühlt es sich leer an, sie zu teilen, abwechslungsreiche Möglichkeiten sucht man zumindest zu Beginn vergeblich. Nichtsdestoweniger ist den Entwicklern ein großer und wichtiger Schritt für die Pokémon-Reihe gelungen. Grafisch kann man das aber nicht behaupten. Ungeschliffen, ruckelig, fast unfertig sind die Spiele und mindern das Spielerlebnis dann doch beträchtlich. Mehr Zeit hätte Karmesin und Purpur sicher gutgetan. Auch dass man intuitive Gameplay-Neuerungen und die interaktiveren Kämpfe nicht aus Pokemon-Legenden: Arceus übernommen hat, bleibt ein Rätsel. So wirken sie in einem Game, das sich als Weiterentwicklung des Franchise sieht, doch veraltet. Vieles hat Nintendo mit den Open-World-Editionen richtig gemacht, es unterhält, es ist aufregend, zum Teil spielt es sich auch frisch. Nur: Pokémon-Legenden: Arceus war dahingehend innovativer und, einfach gesagt, besser. (Kevin Recher, 17.11.2022)