Sebastian Vettel zieht einen Schlussstrich.

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Abu Dhabi / Köln – Ob die Tränen wieder so ungehemmt fließen werden wie an diesem verrückten 14. November 2010? Sebastian Vettel glaubt nicht so recht daran. Und doch: "Es kommen viele Erinnerungen zurück", stellte der viermalige Formel-1-Weltmeister angesichts der "letzten Male" fest, die er seit seiner Rücktrittsankündigung durchlebt hat. Am Wochenende nun also der ultimative Schlusspunkt – ausgerechnet in Abu Dhabi, wo er fast auf den Tag genau vor zwölf Jahren sensationell seinen ersten WM-Titel gefeiert hatte.

Ein letztes Mal heißt es für den Familienmenschen Vettel: unzählige Zeitzonen überwinden, den Körper blitzschnell eingewöhnen, auf der Rennstrecke abliefern. Doch der dreimalige Vater freut sich vor allem "auf die Zeit, die danach kommt". Auf einen leeren Kalender und Raum für andere Projekte.

16 Jahre lang war die Formel 1 sein Leben, in den meisten kämpfte er um Siege und Weltmeisterschaften. Jüngster Champion mit 23 Jahren war er, mit 26 hatte er bereits vier WM-Titel und 39 Siege auf dem Konto und schien der Mann zu sein, der die großen Rekorde seines Idols und Freundes Michael Schumacher gefährden kann.

Wie Prost und Alonso

Mit dem Wechsel zu Ferrari 2015 wollte Vettel seine Karriere krönen und wie Schumi Weltmeister in Rot werden. Stattdessen stellte er sich in eine Reihe mit Größen wie Alain Prost oder Fernando Alonso, die ebenfalls bei und vor allem an Ferrari gescheitert waren.

Seine letzte Mission lautete Aston Martin. Das Projekt bei der James-Bond-Marke reizte Vettel. Glamour und Potenzial schienen grenzenlos, doch die Entwicklung nahm in knapp zwei Jahren nie richtig Fahrt auf. Ein Podestplatz in 41 Rennen, das ist nicht Vettels Anspruch.

Gerne würde er sich am Sonntag (14 Uhr MEZ, Servus TV, Sky) mit einem guten Ergebnis verabschieden, doch dafür ist Vettel zu sehr Realist: "Ich weiß, mein letztes Rennen wird wahrscheinlich nicht das Highlight meiner Karriere werden."

Seinem Arbeitseifer konnten die zermürbenden Positionskämpfe um biedere Mittelfeldplätze dennoch nichts anhaben. "Wir mussten ihn regelrecht aus dem Büro werfen, sonst würde er noch immer dasitzen und Daten analysieren", erzählte sein Aston-Martin-Teamchef Mike Krack im Oktober beim Rennen in Mexiko.

Verbindung mit Hamilton

Trotzdem kreisen die Gedanken des mittlerweile 35-jährigen Vettel nicht mehr vornehmlich um das Rennfahren. Der Hesse, einst ein Motorsport-Purist, der laute Rennwagen vom alten Schlag vergötterte und Serien wie die Formel E verspottete, hat auch einen inneren Reifeprozess durchgemacht. Er tritt als Mahner auf, engagiert sich offensiv für Klimaschutz und Menschenrechte.

Nicht von ungefähr hat Vettel auch mit seinem langjährigen Rivalen Lewis Hamilton, der sich unter anderem für die Bewegung Black Lives Matter engagiert, eine persönliche Ebene gefunden, die über das Rennfahren hinausgeht.

"Ich glaube, ich habe noch keinen Fahrer in der Geschichte des Sports gesehen, der das getan hat, was er und ich getan haben, nämlich die Plattform dafür zu nutzen, offen zu sein und dieses Risiko einzugehen", sagte der zwei Jahre ältere Hamilton zuletzt. Er sehe Vettel "wirklich als Verbündeten", sagte er, "und es wird sehr traurig sein, ihn gehen zu sehen". (sid, 16.11.2022)