Fachleute empfehlen, Süßes am besten nach einer Hauptmahlzeit zu genießen. Da ist der Hunger nicht mehr groß, und man nascht automatisch weniger. Außerdem ist der Zuckerspiegel bereits angestiegen.

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Im Advent ist die Versuchung, süße Kekse, Punsch, heiße Schokolade mit Marshmallows oder gebrannte Mandel zu genießen, riesig. Gerade in der Vorweihnachtszeit fällt es noch mal schwerer, der Naschlust zu widerstehen, zu allgegenwärtig sind die Köstlichkeiten, die irgendwie einfach zur Weihnachtsstimmung dazugehören. Dabei weiß man ganz genau: Zu viel Zucker schadet der Gesundheit. Und zwar ganz konkret: Übergewicht, Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2 oder verschiedene Herz-Kreislauf-Erkrankungen können auf einen übermäßigen Zuckerkonsum zurückzuführen sein.

Man muss deshalb nicht gleich auf alles verzichten – ein bisschen was darf natürlich sein. 50 Gramm Zucker pro Tag sind laut Weltgesundheitsorganisation WHO noch in Ordnung, das entspricht ungefähr zehn Prozent des täglichen Kalorienbedarfs eines Erwachsenen. Knapp ein halber Liter eines herkömmlichen Softdrinks enthält so viel.

Das wäre prinzipiell ein guter Anhaltspunkt. Doch so einfach ist es leider nicht. Denn Zucker ist nicht gleich Zucker. Hinter dem Begriff verstecken sich verschiedene Arten wie Glucose (Traubenzucker), Fructose (Fruchtzucker) oder Lactose (Milchzucker), um nur ein paar zu nennen. Und auch Zuckeralternativen wie Agavendicksaft, Süße aus Datteln, Honig oder Ahornsirup, die seit ein paar Jahren ziemlich im Trend liegen, zählen zum täglichen Zuckerkonsum dazu.

Stoffwechselswitch durch zu viel Fruchtzucker

Eine besonders "schwere" Rolle in der Zuckerproblematik kommt dem Fruchtzucker zu. Das zeigte Philipp Gerber, Klinischer Leiter der Endokrinologie des Adipositas-Zentrums in Zürich, mit seinem Team in einer Studie, die 2021 im "Journal of Hepatology" erschienen ist. Ihre Erkenntnis: Bereits der Konsum von 80 Gramm normalem Haushaltszucker pro Tag verdoppelt die Fettproduktion. Das liegt vor allem am Fruchtzucker. Was viele aber nicht wissen: "Unser Haushaltszucker besteht zu 50 Prozent aus Fruchtzucker, und der wird direkt in der Leber verstoffwechselt", erklärt Gerber. "Die Fettproduktion in der Leber wird durch den Fruchtzucker angekurbelt. Das kann Leberverfettung, Übergewicht und auch Diabetes mellitus begünstigen."

Aber damit nicht genug. Die Fettproduktion läuft nicht nur dann, wenn wir gerade Fruchtzucker zu uns nehmen. Gerber erklärt: "Wenn wir regelmäßig Zucker konsumieren, findet ein 'Stoffwechselswitch' statt, und die Fettproduktion fängt an, auf Dauerbetrieb zu laufen." Ob das passiert, hängt vor allem davon ab, ob man regelmäßig große Mengen Zucker in kurzer Zeit konsumiert, wie etwa durch Softdrinks. "Viele fragen mich, ob Obst denn noch erlaubt sei, denn darin ist ja ebenfalls Fruchtzucker enthalten. Das ist aber kein Problem, denn man kann kaum so viele naturbelassene Früchte essen, dass man in kurzer Zeit auf den Zuckergehalt eines Süßgetränks oder auch eines Fruchtsafts kommt," erklärt der Experte.

Obst enthält dazu viele Mikronährstoffe, Pflanzenfasern und Vitamine, der Körper muss viel länger arbeiten, um alles zu verdauen. Das hat einen anderen Effekt auf den Zuckerspiegel als zugesetzten Zucker zu konsumieren und so die Leber regelrecht mit Fruchtzucker zu überschütten. Die gleiche desaströse Wirkung haben übrigens auch vermeintlich gesunde Zuckeralternativen wie Honig, Agavendicksaft oder Ahornsirup. "Darum unterscheidet die WHO in ihrer Empfehlung zwischen dem Zucker, der Lebensmitteln zugesetzt wird, und dem Zucker, der natürlicherweise in Lebensmitteln wie Früchten oder auch Kohlenhydraten vorkommt. Dieser wird nicht zu den 50 Gramm pro Tag gezählt," erklärt Gerber.

Kohlenhydrate als wichtiger Energiespender

Stichwort Kohlenhydrate: Deren Stärke wird beim Verdauungsprozess in Zucker umgewandelt, das begründet auch ihren schlechten Ruf, wenn es um Ernährungstrends zur Gewichtsreduktion geht. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Gerber betont, dass dieser Zucker erst problematisch wird, wenn Kohlenhydrate in zu großen Mengen konsumiert werden. Denn dann stimmt die Gesamtenergiebilanz nicht mehr, man kann übergewichtig werden. "Wer normalgewichtig ist, braucht sich über Kohlenhydrate wenig Sorgen machen, im Gegenteil, sie sind ein wichtiger Energiespender für unseren Körper."

Was die Wissenschaft in zahlreichen Studien bestätigt hat, ist im allgemeinen Gesundheitsbewusstsein immer schon verankert. Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) etwa, bei der Mensch und Ernährung ganzheitlich gesehen werden, empfiehlt, Kohlenhydrate aus Getreide zu sich zu nehmen und zugesetzten Zucker eher zu meiden.

Ulrike Zika, Ernährungsberaterin nach TCM und Achtsamkeitstrainerin, erklärt: "Man spricht da von der gesunden Süße, die in natürlichen Lebensmitteln vorkommt, im Gemüse, im Getreide, im Obst." Das Problem, warum so ein Konsum für viele unvorstellbar ist: "Viele haben eine völlig unnatürliche Ausprägung davon, was sie als süß empfinden, sie brauchen viel zu viel Zucker." Schuld daran sind unter anderem hoch verarbeitete Lebensmittel, denen fast immer ordentlich Zucker zugesetzt ist.

Warum diese unnatürliche Süße so gut angenommen wird, liegt daran, dass dem Menschen der Süßhunger schon in die Wiege gelegt ist. Denn, weiß Zika, "süß ist der erste Geschmack, mit dem wir über die Muttermilch in Berührung kommen." Aber auch evolutionäre Gründe spielen eine Rolle dabei, warum der Mensch von Grund auf zu süßen Lebensmitteln tendiert. "Früher, als wir noch gejagt und gesammelt haben, war der süße Geschmack oft ein Lebensretter. In der Regel ist das, was süß schmeckt, in der Natur nicht giftig." Und auch Endokrinologe Gerber erklärt: "Wer in der Steinzeit eine Affinität zu Süßem hatte und sich im Herbst Fettreserven durch besonders süße Lebensmittel angefuttert hatte, konnte den Winter besser überstehen."

Eine gewisse süße Prägung tragen Menschen also bereits in sich. Das heißt aber nicht, das man immer Zucker essen muss, wenn einen der Gusto überkommt. Man könne diesen auch mit natürlichen Lebensmittelns befriedigen, sagt Zika: "Isst man regelmäßig von Natur aus süße Lebensmittel wie Hafer, Hirse oder Vollkorngetreide, Gemüsesorten wie Süßkartoffeln, Kürbis oder Maroni, dann ist der Körper gut versorgt, man kann den ständigen Gusto beruhigen."

Weniger Zucker statt Zuckeralternativen

Was also tun, wenn die Weihnachtskekse gebacken und gegessen werden wollen? Das ist schon der richtige Anfang, sagt Zika: "Wer selbst bäckt, kann die Zuckermenge auch selbst bestimmen. Ich empfehle, bei Rezepten von den Omas und Tanten einfach nur die halbe Menge Zucker zu verwenden. Dann schmecken die Kekse immer noch süß, und wir gewöhnen uns daran, dass nicht alles überzuckert schmecken muss."

Auf alternative Zuckerarten auszuweichen empfiehlt sie nicht (mehr), obwohl sie selbst noch vor ein paar Jahren Backbücher geschrieben hat, bei denen der Haushaltszucker durch Alternativen ersetzt wurde. "Damals habe ich noch mit Datteln oder Agavensirup gesüßt. Davon halte ich jetzt nicht mehr viel. Es geht darum, die Süßprägung zu reduzieren. Nur dann kann ein guter Umgang mit Zucker gelingen. Dann ist es auch egal, mit welcher Zuckerart man süßt."

Diesen Zugang hält auch Gerber für richtig, er ist nicht begeistert von dem Trend, mit zergatschten Datteln oder Bananen zu süßen. "Ich glaube nicht, dass man sich dadurch einen großen Vorteil verschafft. Viele essen dann einfach doppelt so viel von dem Kuchen oder den Keksen, weil sie ja vermeintlich gesund sind." Und er weist auf einen weiteren Nachteil hin: "Wenn man die Früchte durch Pürieren zerkleinert, wird der Zucker rascher freigesetzt und kann vom Körper noch schneller aufgenommen werden."

Neben der Menge ist übrigens auch der Zeitpunkt, wann wir naschen, entscheidend, weiß Gerber: "Am besten gönnt man sich ein oder zwei Pralinen direkt nach dem Mittagessen, nicht ein paar Stunden danach. Denn nach der Hauptmahlzeit ist der Hunger auf Süßes generell kleiner." Außerdem steigt der Zuckerspiegel nach dem Mittagessen an. Ein paar Stunden später ist er wieder abgesunken, wird aber durch einen süßen Snack schnell wieder in die Höhe getrieben. So surft man sich von einer Zuckerspitze zur nächsten durch den Tag – mit ein Grund für die oben genannten Krankheiten.

Zucker ist also in Maßen durchaus in Ordnung. Wer sich dafür entscheidet, komplett auf zugesetzten Zucker zu verzichten, lebt laut dem Endokrinologen sicher nicht schlecht. Aber: "Ein oder zwei Pralinen nach dem Essen dienen ja dem Genuss und dem Wohlbefinden. Das sollte man nicht unterschätzen. Und mir sind auch keine Daten bekannt, die zeigen würden, dass gar kein Zucker im Gegensatz zu reduziertem Zucker besser für den Körper wäre." (Jasmin Altrock, 20.11.2022)