Ein Auszug aus dem Video, das in einer U-Bahn-Station in Teheran aufgenommen wurde.

Foto: Iran/APA/AFP/

Teheran – Bei landesweiten Protesten sind im Iran innerhalb eines Tages mindestens 18 weitere Menschen getötet worden. Im Nordwesten wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen am Mittwoch mindestens fünf Demonstranten von Sicherheitskräften getötet. Sowohl in der Stadt Bukan der Provinz Westaserbaidschan sowie in Sanandash, Hauptstadt der Provinz Kurdistan, seien Sicherheitskräfte mit scharfer Munition gegen Protestteilnehmer vorgegangen.

In der zentralen Metropole Isfahan sollen Unbekannte drei Mitglieder der Basij-Milizen getötet haben, wie Staatsmedien berichteten. Die Mehrheit der Proteste in der Stadt verlief Augenzeugen zufolge jedoch friedlich. Im Südwesten hätten in der Stadt Iseh Unbekannte mit Sturmgewehren auf eine Menschenmenge geschossen. Die staatliche Nachrichtenagentur Irna sprach von einem "Terrorangriff".

Augenzeugen aus der Stadt dementierten die Informationen der Staatsmedien jedoch. Nach Angaben von Einwohnern eröffneten am Mittwoch Sicherheitskräfte in Iseh das Feuer, mindestens zehn Menschen sollen dabei getötet worden sein, darunter auch ein Kind. Die Stadt in der Provinz Chusestan war demnach fast einen Tag lang ohne Internet.

Feuer in U-Bahn-Station eröffnet

In einer U-Bahn-Station in Teheran haben iranische Sicherheitskräfte indes am Mittwoch das Feuer eröffnet. Videoaufnahmen, die in sozialen Medien verbreitet und von der britischen Tageszeitung "Guardian" veröffentlicht wurden, zeigen, wie Menschen panisch zu den U-Bahn-Ausgängen laufen. Die Polizei wurde auch dabei gefilmt, wie sie auf Frauen einschlug, die aus Protest keinen Schleier trugen.

Guardian News

Die Welle des Protests gegen die autoritäre Politik der Islamischen Republik, die seit Monaten anhält, war vom Tod der iranischen Kurdin Mahsa Amini ausgelöst worden. Sie starb am 16. September in Polizeigewahrsam, nachdem sie wegen Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden war.

Erinnerung an "blutigen November"

Von Dienstag bis Donnerstag hatten Aktivisten außerdem zu neuen Demonstrationen und Streiks im Gedenken an die gewaltsame Niederschlagung der Proteste von 2019 aufgerufen. Bei den als "blutiger November" bekannten Protesten wurden damals hunderte Menschen getötet, die gegen die hohen Benzinpreise demonstrierten.

Nach Angaben der in Oslo ansässigen Gruppe Iran Human Rights (IHR) wurden in den zwei Monaten der Proteste mehr als 300 Menschen von Sicherheitskräften getötet. Die Gruppe gibt an, dass 15.000 Menschen verhaftet wurden, eine Zahl, die die iranischen Behörden bestreiten.

Bisher fünf Todesurteile

Insgesamt fünf Demonstranten sind bisher nach den aktuellen Protesten zum Tod verurteilt worden. Anfang November stimmten laut "Guardian" 272 der 290 iranischen Abgeordnete dafür, die Todesstrafe für "schwere Verbrechen gegen den Staat" einzuführen. Sie wiederholten auch die Forderung einiger Beamter, härter gegen die Unruhen vorzugehen.

Die Abstimmung wurde zum Gegenstand irreführender Informationen, wonach alle 15.000 Verhafteten zum Tode verurteilt worden seien. Diese Behauptung wurde wiederholt in den sozialen Medien gepostet, auch von Prominenten wie dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau.

Dennoch herrscht weiterhin Sorge vor einer Hinrichtungswelle. "Wir befürchten Massenhinrichtungen, es sei denn, die politischen Kosten von Hinrichtungen werden deutlich erhöht", sagte IHR-Direktor Mahmood Amiry-Moghaddam. "Die internationale Gemeinschaft muss eine deutliche Warnung an die Islamische Republik senden, dass die Hinrichtung von Demonstranten schwerwiegende Folgen haben wird."

Revolutionsgarden: Alle "Teufel der Welt" gegen Iran

Indes wirft der iranische Außenminister Hossein Amirabdollahian Israel und westlichen Geheimdiensten vor, einen Bürgerkrieg im Iran anzetteln zu wollen. "Diverse Sicherheitsdienste, Israel und einige westliche Politiker" hätten Pläne für einen Bürgerkrieg und die Zerstörung und den Zerfall des Iran erstellt, schrieb er am Donnerstag auf Twitter. Der Iran werde darauf aber nicht hereinfallen, er sei nicht Libyen oder der Sudan.

Auch der Kommandant der Iranischen Revolutionsgarden (IRGC) kritisierte den Westen angesichts der Proteste im Land. Die Feinde des Iran hätten sich auf einen Krieg vorbereitet, sagte Hussein Salami am Donnerstag bei einer Rede in der Stadt Ghom. "Alle Teufel der Welt haben sich versammelt. Amerika, England, Deutschland, Frankreich, Israel, die Saudis und weitere."

Salami warnte weiter vor einem inneren Konflikt im Land. Beobachter sehen die Worte jedoch als Versuch, von den Ursachen der landesweiten Proteste abzulenken. Der Kommandant war jüngst wegen iranischer Waffenlieferungen an Russland für den Krieg in der Ukraine von der EU mit Sanktionen belegt worden.

IAEA: Iran muss Herkunft von Uranpartikel erklären

Und der Atomstreit ist ebenfalls noch ungeklärt. So hat der Gouverneursrat der UN-Atomaufsichtsbehörde IAEA den Iran dringend aufgefordert, mit der Behörde bei der Untersuchung von Uranspuren zu kooperieren, die an drei nicht deklarierten Standorten gefunden wurden. Dies habe das aus 35 Staaten bestehende Gremium am Donnerstag beschlossen, sagten Diplomaten zur Abstimmung hinter verschlossenen Türen.

In der von den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und Deutschland vorgelegten Resolution heißt es, es sei "wesentlich und dringend", dass der Iran die Herkunft der Uranpartikel erkläre und der Atomenergiebehörde alle erforderlichen Antworten gebe. Die Formulierung ist schärfer als vorangehende Beschlüsse und deutet auf eine diplomatische Eskalation im Streit um das iranische Atomprogramm hin. Möglicherweise wird der Iran vor den UN-Sicherheitsrat zitiert, weil er seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist. Die Resolution wurde mit 26 Ja-Stimmen, fünf Enthaltungen und zwei abwesenden Ländern angenommen, sagten Diplomaten. Russland und China stimmten dagegen.

Die IAEA hat wiederholt gewarnt, dass der Iran seine Bemühungen zur Anreicherung von Iran vorantreibt. Hoch angereichertes Uran ist ein Grundstoff für Atombomben. Der Iran bestreitet, Atomwaffen anzustreben, lässt aber keine internationale Kontrollen seiner kerntechnischen Anlagen zu. (APA, red, awie, 17.11.2022)