Rund 30 Studierende übernachteten im Hörsaal C1 des Wiener Uni-Campus.

Foto: STANDARD/Heribert CORN

Wien/Salzburg/Innsbruck – Junge Menschen sitzen im Campus bei der Spitalgasse in Wien und frühstücken. Es gibt Müsli, Weckerln und Aufstriche, man könnte fast meinen, die Studierenden machen sich gleich auf den Weg in die nächste Vorlesung. An den Wänden hängen Flyer: Die Stichworte sind Klimakrise, Teuerung und Bildung. Es ist kein klassischer Donnerstagvormittag. Auf dem Uni-Campus geht die Besetzung eines Hörsaals in die zweite Runde.

Am Vorabend war es hier voll mit Protestierenden, rund 30 von ihnen haben auch im Hörsaal C1 übernachtet. Beim Lokalaugenschein am Donnerstagvormittag ist es drinnen noch dunkel – einige schlafen noch, man möchte sie nicht aufwecken. Die Stimmung am Morgen ist ausgelassen und hoffnungsvoll: Man freue sich über einen erfolgreichen Start der Besetzung. "Beim Einschlafen hatte ich ein krasses Gefühl", erzählt eine Studierende. "So, wir machen das jetzt wirklich. Ich habe da realisiert, dass das irgendwie der Anfang von was Großem ist. Also, hoffe ich zumindest."

Video: Klimaschützer im besetzten Hörsaal.
DER STANDARD

Bildungsrevolution gewünscht

Eine Gruppe Studierender steht vor dem Gebäude und unterhält sich, manche rauchen. Die Stimmung ist ruhig. Es ist auch noch früh, Vorlesungen um diese Zeit würden wohl eher gemieden werden. Das Ziel ihres Protests ist es, die Politik zu bewegen – und zwar auch bei Themen wie soziale Gerechtigkeit und Bildung. Die Medien würden zwar den ganzen Fokus der Besetzung auf die Klimakrise legen, kritisieren einige Protestierende, aber man lebe in einer Zeit von multiplen Krisen.

Welcher Person aus der Politik würden die Studierenden denn gerne etwas mitteilen? Auf die Frage lachen einige, andere verdrehen die Augen. "Dem Bildungsminister, da würde ich mir wünschen, dass der mal nachdenkt", sagt eine Studentin. Bei der Uni zu sparen koste den Staat mehr Geld, als es bringe, meint sie. Man schneide sich damit ins eigene Fleisch. "Ich verstehe nicht, dass ein Bildungsminister, der selbst Rektor war, das nicht weiß. Oder nicht wissen will."

Es brauche eine Bildungsrevolution, sagt eine andere Aktivistin. Und die müsse schon in der Schule anfangen, die Uni sei nur der Gipfel des Eisbergs. Sie würde sich mehr Wissensvermittlung zur Klimakrise wünschen. "Und die soll darüber hinausgehen, dass man eine Bambuszahnbürste benutzen und zu Hause ein bisschen beim Strom sparen soll." Man müsse anerkennen, dass es sich um ein systemisches Problem handle.

Übernachten im Hörsaal

Im Hörsaal geht kurz nach zehn Uhr vormittags endlich das Licht an. Auf den Tischen finden sich Flyer neben leeren Club-Mate-Flaschen, auf dem Boden liegen Isomatten und Schlafsäcke, dazwischen ein paar verschlafene Studierende. Auf der Tafel steht neben Schlagwörtern wie "Demokratie" und "Vernetzung" auch eine kurze Info der Polizei: Sie sei zwar vor Ort, greife aber erst ein, wenn entweder die Uni darum bittet oder wenn Straftaten begangen würden. Daneben hängt ein großes Banner: "Die Uni ist besetzt!"

Auf die Frage, ob man gut geschlafen habe, gibt es große Zustimmung. "Es war erstaunlich warm", erzählt ein Student. "So spare ich mir wenigstens die Heizkosten zu Hause." Die Schlafsäcke hatten die Studierenden selbst mitgebracht. "Ich sehe da aber viel Vernetzung und Solidarität untereinander, man spricht sich ab, und jeder nimmt das mit, was er kann", so der Aktivist.

Es gehe hier auch darum, Gemeinschaft zu leben. "Ich bin nicht zufrieden damit, wie die Uni läuft. Man geht in die Vorlesungen, rein und raus, aber man hat keine Diskussionen, zumindest in meinem Studiengang der Geisteswissenschaften nicht. Es ist wirklich eine gute Stimmung, ich hoffe für die nächsten Tage, dass das so weitergeht", sagt der Student. Für die nächsten Wochen erwartet er sich, eine Gesprächsbasis mit dem Rektorat aufzubauen, dieses sei bisher leiser als einzelne Lehrende gewesen, und mehr Budget für die Unis.

Am Donnerstagvormittag schlafen einzelne Protestierende im Hörsaal, am Abend zuvor war er noch komplett gefüllt.
Foto: STANDARD/ Heribert CORN

Aktivistinnen als Störfaktoren

Viele Menschen sind besorgt wegen des Klimawandels und erkennen die Entwicklungen als Krise an. Trotzdem gibt es immer wieder Beschwerden über diese Art von Protest: Klimaprotestierende würden übertreiben, die Art des Protests sei unverständlich, man störe nur. Es gebe andere Arten zu protestieren. Was denken die Besetzerinnen der Uni dazu?

"Dieses Argument kommt bei jeder Protestform vor", sagt eine Aktivistin. Auch bei weltweiten Klimastreiks sei es nicht anders. Wenn Leute wollten, dann fänden sie immer einen Vorwand, um sich zu beschweren.

"Das Nervige daran ist: Mit den wichtigen Themen setzt man sich dann nicht auseinander. Ich verstehe es ja auch: Es sind unbequeme Themen, Veränderung macht Angst. Aber wenigstens reden die Leute dann drüber. Unser Ziel ist es, eine Bewegung aufzubauen und einen Druck auf die Politik auszuüben: Sie sollen uns endlich hören." – Aktivistin von Erde brennt

Die Uni als Ort des Protests

Dass Studierende die Uni für Proteste nutzen, ist nichts Neues. Auch 2009 haben österreichische Studierende schon ihre Unis besetzt und Forderungen an die Bildungspolitik gestellt. "Wir sind Studenten – unser Wirkungsraum ist die Uni", erklärt eine Aktivistin. "Das ist der Bereich, wo es uns möglich ist, Protest zu führen."

Viele Fachbereiche an der Uni, besonders in den Geisteswissenschaften, hätten einen direkten Bezug zu diesen Krisen. Und dieser Bezug müsste auch im Curriculum ausgearbeitet und hervorgehoben werden, sagt ein Philosophiestudent. Auch inhaltlich tue sich nicht genug: In den Geisteswissenschaften liege der große Fokus immer noch zu stark auf dem europäischen Kanon. Die Perspektiven seien zu eng gefasst, sagt er.

"Die Uni ist genau der Ort, an dem Strategien erarbeitet werden können. Sie hat einen krassen Hebel, um gesamtgesellschaftlich auch etwas zu ändern", betont eine Aktivistin. Generell haben die Protestierenden das Gefühl, die Uni Wien sei bereit, mit ihnen an Forderungen zu arbeiten. Am Vorabend gab es Diskussionen und Vorlesungen mit Professoren zu den genannten Krisen, auch für die nächsten Tage sei schon Programm geplant.

Gut eingerichtet in Salzburg

In Salzburg haben die Aktivistinnen und Aktivisten von Erde brennt am Mittwochabend drei Hörsäle im Unipark Nonntal besetzt. Rund 55 Studierende waren beim Auftakt dabei, etwa 25 haben auch in der Uni geschlafen. Am Donnerstagvormittag wirken die besetzten Räume bereits mehr wie die Zimmer einer Jugendherberge als wie Hörsäle. Die Tische wurden an der Wand gestapelt und als Abtrenner oder Regale genutzt. Auf dem Boden liegen Isomatten und Schlafsäcke. Am komfortabelsten ist wohl das aufblasbare Doppelbett, auf dem es sich eine Studentin mit einem Laptop gemütlich gemacht hat. "Wir haben uns gut eingerichtet. Es ist super entspannt", sagt Max von Erde brennt.

In Salzburg machen es sich die Besetzerinnen und Besetzer beim Plenum in einem aufblasbaren Planschbecken ohne Wasser gemütlich.
Foto: Stefanie Ruep

Am Donnerstagvormittag beim Lokalaugenschein schläft hier niemand mehr. Auch wenn einige lange liegen geblieben sind. "Wir haben zu gut geschlafen und das Plenum verpasst", sagt eine Studentin zum STANDARD. "Wenn ich gewusst hätte, dass wir nicht geweckt werden, hätte ich mir einen Wecker gestellt." Denn um sieben Uhr morgens starteten die Besetzerinnen und Besetzer bereits mit einer Morgensitzung, um den Tag zu besprechen. Später hätten bereits der Vizerektor für Lehre, Martin Weichbold, und die Vizerektorin für Nachhaltigkeit, Nicola Hüsing, vorbeigeschaut, sagt Max vom Organisationsteam. Um zehn Uhr folgte eine Diskussionsrunde über die Forderungen.

Gespräche mit dem Rektor auch in Innsbruck

Von einer Räumung geht hier niemand aus. Ganz im Gegenteil: Am Donnerstagabend wird eine Podiumsdiskussion veranstaltet, zu der auch das Rektorat bereits zugesagt habe. Auch laut Uni gibt es derzeit noch ein gutes Einvernehmen. Die Besetzung ist vorerst auf unbestimmte Zeit angesetzt.

Auch an der Universität Innsbruck halten rund 40 Personen von Erde brennt Innsbruck einen Hörsaal besetzt. Laut Uni ist die Lage aber weiterhin "sehr entspannt". Am Donnerstags sei ein Gespräch mit dem Rektorat geplant, um die Absichten der Protestierenden abzuklopfen und zu erfahren, auf welchen Zeitraum die Aktion ausgelegt sei. Die Lehrveranstaltungen, die am Donnerstag in dem Hörsaal hätten stattfinden sollen, wurden teilweise in andere Räume verlegt. "Thematisch passende Lehrveranstaltungen" hätten im besetzten Raum stattgefunden. (Alara Yılmaz, Stefanie Ruep, 17.11.2022)