Ein Teenager "in einer schwierigen pubertären Phase" soll Menschen bedroht und einen Mann in den Arm gestochen haben. Vor der Richterin gibt er sich reuig.

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Wien – Es kommt vor Gericht nicht oft vor, dass ein Verteidiger einem Gefängnisaufenthalt in der Untersuchungshaft Gutes abgewinnen kann. Im von Richterin Alexandra Skrdla geleiteten Verfahren gegen den 17 Jahre alten Muhammed tritt das ein. "Die Untersuchungshaft hat ihm gar nicht schlechtgetan", konstatiert Verteidiger Mathias Burger in seinem Eröffnungsplädoyer, in dem er ein umfassendes Geständnis seines Mandanten ankündigt.

Der arbeitslose Angeklagte, ein in Wien geborener Österreicher, sei "in einer schwierigen pubertären Phase" gewesen, entschuldigt Burger seinen Klienten. Zwischen Jänner und Mai soll der Teenager laut Anklage in fünf Fällen Bekannte gefährlich bedroht haben. Sätze wie "Ich werde dich mit dem Messer abstechen", "Ich werde dich mit dem Messer tot machen", "Messer oder Revolver, du kannst es dir aussuchen" sollten die Opfer in Furcht und Unruhe versetzen.

Stich in den Ellbogen

Anfang August wurden aus den Drohungen Taten. An einem Würstelstand machte der Unbescholtene zunächst mit seinem Klappmesser eine Stichbewegung gegen einen ihm bis dahin unbekannten Mann, dessen Begleiter rammte er danach die Waffe bis zum Knochen in den Ellbogen, wie der Verletzte als Zeuge berichtet. Im Spital musste ihm der Schleimbeutel entfernt werden, einen Monat war der Lieferfahrer im Krankenstand, er verlor seinen Job. 3000 Euro will er als Schmerzengeld.

Im Ermittlungsverfahren leugnete der am 4. August festgenommene Floridsdorfer alle Vorwürfe. Er forderte die Sicherstellung von Überwachungsvideos, die Einholung von DNA-Gutachten, nominierte eine Zeugin, die angeblich seine Unschuld beweisen könne. Die Richterin hat daher eine Verhandlungsdauer von vier Stunden vorgesehen. Die sie nicht braucht. Irgendetwas muss in den vergangenen drei Monaten tatsächlich passiert sein, denn der Teenager gibt sich nun tatsächlich glaubwürdig reuig. "Ich bekenne mich schuldig", sagt er und kämpft dabei vergeblich darum, seine Tränen zurückzuhalten. "Alles, was ich gemacht habe – ich kann das alles nicht ertragen", schluchzt er.

Angesichts des Geständnisses sieht Skrdla keinen Grund, weitere Zeugen zu befragen, und ruft die Geladenen in den Saal, um ihnen Zeitbestätigungen auszustellen. Ein junger Mann steht danach etwas verloren im Raum – "Warum bin ich dann überhaupt gekommen?", will er wissen. "Weil ich Sie unter Umständen befragen hätte müssen, wenn der Angeklagte nicht gestanden hätte", erklärt ihm die Richterin.

Persönlichkeitsentwicklungsstörung diagnostiziert

Die Staatsanwältin erklärt in ihren Schlussworten, dass die psychiatrische Sachverständige in Muhammed eine "problematische Persönlichkeit" gesehen habe, da er an einer Persönlichkeitsentwicklungsstörung leide. Doch die Anklägerin konstatiert dem Jugendlichen, der wie ein Häufchen Elend vor seinem Verteidiger auf der Anklagebank sitzt, eine "äußerst positive Entwicklung".

Die sieht auch Rechtsvertreter Burger, der der Richterin die Bestätigungen für eine Lehrstelle und einen Psychotherapieplatz seines Mandanten vorlegen kann. "Das Haftübel hat einen wirklich bleibenden Eindruck hinterlassen", ist sich der Verteidiger sicher.

Das sieht offenbar Skrdla ebenso, sie verurteilt Muhammed wegen versuchter schwerer Körperverletzung rechtskräftig zu einem Jahr Haft, drei Monate davon unbedingt, zusätzlich muss er Bewährungshilfe in Anspruch nehmen. Dem Verletzten, der aus Sicht des Amtsarztes nur eine leichte Verletzung durch den Stich erlitten hat, muss er 800 Euro zahlen.

Völlig aufgelöster Angeklagter

Da Juristendeutsch für Laien nicht so einfach zu verstehen ist, erklärt die Richterin dem Angeklagten die Konsequenz des Urteils direkt: "Das Wichtigste für Sie – Sie können heute nach Hause gehen." – "Ich bin raus?", kann der 17-Jährige sein Glück kaum fassen und beginnt hemmungslos zu weinen. Auch seine im Zuschauerraum anwesende Mutter kämpft mit den Tränen.

"In dem Akt stehen schon ein paar Sachen drin, die nicht so schön sind", begründet Skrdla ihre Entscheidung. Grundsätzlich ortet auch sie aber eine Verbesserung im Sozialverhalten des Angeklagten. "Und wenn wieder etwas passiert oder Sie nicht zur Bewährungshilfe gehen, dann können die neun Monate auch widerrufen werden", stellt die Richterin klar. "Danke sehr!", presst der Angeklagte zwischen Weinkrämpfen heraus. "Ich danke Ihnen von Herzen!", gibt auch die Mutter beim Verlassen des Saales der Richterin Feedback. (Michael Möseneder, 17.11.2022)