EU- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler weiß: Jugendliche mögen Döner.

Foto: Tiktok/@karoline.edtstadler

Tiktok wird vor allem bei Jugendlichen immer beliebter. In Österreich nutzen bereits 70 Prozent der elf- bis 17-Jährigen die Plattform – eine wichtige Zielgruppe, auch für die Politik. In den USA zeichnet sich außerdem gerade ab, dass die Kurzvideoplattform als Informationsquelle immer relevanter wird. Dieser Trend dürfte auch Österreich erreichen und die Relevanz der Plattform für die Politik noch weiter verstärken. DER STANDARD hat sich deshalb angesehen, wie stark Österreichs Parteien auf der Kurzvideoplattform vertreten sind, wie sie sich präsentieren und wo es noch Nachholbedarf gibt.

Neos: Shetty erfolgreichster Parteipolitiker

Der 27-jährige Nationalratsabgeordnete Yannick Shetty hat mit über 43.000 Followern nicht nur die größte Präsenz der Neos, er ist generell der Parteipolitiker mit der größten Fangemeinde auf Tiktok. Sein Erfolgsrezept: eine hohe Postingfrequenz und unterhaltsam verpackte Informationsvideos, die sich inhaltlich und in ihrer Aufmachung klar an die auf der Plattform mehrheitlich vertretenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen richten. Häufig interagiert Shetty auch mit seinen Followern und beantwortet ihre Fragen – vor allem hinsichtlich rechtlicher Themen.

"Der von Tiktok": Neos-Abgeordneter Yannick Shetty.

Generell merkt man den Accounts der Neos an, dass sich die Partei als modern positionieren möchte. Auch ältere Politikerinnen und Politiker wie der ehemalige "Kurier"-Chefredakteur und aktuelle Nationalratsabgeordnete Helmut Brandstätter können auf Tiktok durchaus punkten. Der 67-Jährige macht vor allem Videos über Außenpolitik und holt sich in den wichtigen ersten Sekunden die Aufmerksamkeit seines Publikums etwa mit einem Trump-Kapperl.

FPÖ: Einfache Botschaften funktionieren

Ex-Innenminister Herbert Kickl hat über 25.000 Follower und ist damit der reichweitenstärkste FPÖ-Politiker. Sein Account wird hauptsächlich mit Ausschnitten von Nationalratsreden und Videos von FPÖ TV bespielt. Kickls Themen sind aktuell vor allem Asyl, Kritik an der Regierung und an der Unterstützung für die Ukraine. Nur sehr selten werden persönliche Videos eingestreut – einmal im Tiktok-feindlichen Querformat, was zeigt, dass sich der 54-Jährige bisher eher wenig mit der App auseinandergesetzt haben dürfte.

Eines der wenigen eigens für Tiktok produzierten Videos von FPÖ-Chef Herbert Kickl.

Auch die Accounts der Bundespartei und der FPÖ Oberösterreich haben mit jeweils gut 12.000 Followern eine vergleichsweise große Fangemeinde und werden professionell bespielt, was zeigt: Die FPÖ nimmt Tiktok durchaus ernst.

FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz gibt auf Tiktok Tipps für "Klebe-Klima-Chaoten".

ÖVP: Edtstadler ganz vorn, Kurz als Reichweitengarant fehlt

Mit 17.500 Followern ist Karoline Edtstadler, Ministerin für EU und Verfassung, die erfolgreichste ÖVP-Politikerin auf der Plattform. Warum, wird schnell klar: Der Account wird professionell gepflegt und regelmäßig mit Inhalten bespielt, und die 41-Jährige ist sich nicht zu schade für Videos zu popkulturellen Themen, die auf Tiktok besonders gut ankommen.

Edtstadler in einer Dönerbude beim Fleischschneiden – 56.000 Aufrufe.

Ihr Engagement für den EU-Beitritt der Westbalkanstaaten weiß Edtstadler auf Tiktok gut zu kommunizieren – sei es mit Informationsvideos oder einem Cevapcici-Essen mit der Bürgermeisterin von Sarajevo, der Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina.

Edtstadler mit der Bürgermeisterin von Sarajevo beim Cevapcici-Essen – 124.000 Aufrufe.

Die ÖVP hat auch einen Parteiaccount auf Tiktok, dieser stammt allerdings noch aus der Ära Kurz', hat nur 3.500 Follower und wurde seit gut einem Jahr nicht mehr aktualisiert.

Über Wolfgang Sobotkas Tiktok-Auftritt hatten wir bereits berichtet – der Nationalratspräsident hat auf Tiktok nur eine relativ kleine Gefolgschaft, was wohl an seiner wenig zielgruppenrelevanten Themenauswahl liegt. "Viele spannende Einblicke" in seine Arbeit hatte Sobotka in seinem ersten Video versprochen – bisher ging es in seinen Beiträgen allerdings hauptsächlich um die Parlamentsbaustelle, die für die junge Tiktok-Gemeinde eher weniger interessant sein dürfte. Derartiger Content fällt eher in die Kategorie Liebhaberei, viel Reichweite lässt sich damit nicht generieren.

Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka beschäftigt sich vorrangig mit der Parlamentsbaustelle.

Insgesamt war die Volkspartei auf Tiktok in der Vergangenheit bereits deutlich erfolgreicher – und zwar, wenig überraschend, dank des Ex-Kanzlers Sebastian Kurz. Dieser sammelte in Windeseile über 119.000 Follower. Offenbar wurde der Tiktok-Auftritt von Profis begleitet, zumindest wurden über ein paar Monate hinweg regelmäßig Ansprachen von Kurz auf dem Kanal geteilt. Neben offenbar von Instagram importierten Videos gab es auch immer wieder eigene Tiktok-Videos, die den Ex-Kanzler bei einer Sommertour durch Kärnten zeigen, oder ein Kurz-Interview, wo er die Frage nach seiner Lieblingsspeise beantwortet.

Der Medien-Profi Kurz wandte sich dabei oftmals direkt an sein Publikum, griff diverse Trends auf und überließ die Inszenierung nie dem Zufall. Verständlich, dass die hohe Followerzahl so schnell erreicht wurde. Stellt sich nur die Frage, warum sein Social-Media-Team scheinbar keine aktuellen ÖVP-Politikerinnen und Politiker betreut.

SPÖ: Michael Ludwig und Julia Herr vorn

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sucht man auf Tiktok vergebens, sie ist vor allem auf dem Parteiaccount mit immerhin 12.800 Followern präsent. Inhaltlich geht es dort vor allem um die Teuerung und um Kritik an der Regierung, die meisten Videos sind Zusammenschnitte aus Nationalratsreden.

Die größte Einzelpräsenz der Sozialdemokraten hat mit knapp 12.000 Followern Wiens Bürgermeister Michael Ludwig. Sein Social-Media-Team legt den Fokus eindeutig auf leichte Kost, der 61-Jährige gibt sich auf der Kurzvideoplattform vor allem nahbar und sympathisch. Ludwig zeigt sich auf Tiktok etwa beim Weinwandern oder Dönerfleisch-Schneiden – wobei er sich, nebenbei bemerkt, deutlich ungeschickter anstellt als ÖVP-Ministerin Edtstadler.

Geht es dann doch einmal um Politik, dann liegt der Fokus offenbar darauf, das Publikum nicht zu überfordern, wie etwa bei diesem Video über eine Kooperation mit der türkischen Hauptstadt Ankara – ohne weitere Informationen darüber, woraus diese besteht, wie in den Kommentaren kritisiert wird.

Berührungsängste mit Klischees hat man beim Social-Media-Team von Michael Ludwig offenbar nicht.

Knapp hinter Michael Ludwigs Account liegt die Nationalratsabgeordnete Julia Herr. Die 29-jährige hat knapp 11.000 Follower auf der Kurzvideoplattform. Ihre Videos drehen sich vor allem um das Thema Ungleichheit, hier fordert die ehemalige Hochschulpolitikerin etwa mit einem plakativen Reiskorn-Vergleich eine Millionärssteuer.

Wie beim Parteiaccount machen auch bei Herr Ausschnitte aus Nationalratsreden den Großteil der Inhalte aus.

Die Grünen: Kaum Präsenz auf Tiktok – abgesehen von der Parteijugend

Bei den Grünen scheint Tiktok bisher generell eine untergeordnete Rolle zu spielen. Nur zwei Politiker der Regierungspartei haben mehr als 1.000 Follower.

Einer davon ist der Nationalratsabgeordnete Jakob C. Schwarz. Der 37-Jährige bespielt seine knapp 2.200 Follower vor allem mit Erklärvideos und Frage-Antwort-Beiträgen. Größere Aufmerksamkeit erreichte er mit drei Videos über den Klimabonus, die bisher insgesamt immerhin 380.000 Aufrufe verzeichnen konnten.

Der zweite grüne Abgeordnete mit zumindest ansatzweise erwähnenswerten Followerzahlen auf Tiktok ist der jüngste Wiener Landtagsabgeordnete, der 22-jährige Ömer Öztaş, mit gut 1.200 Followern. Seine erfolgreichsten Videos handeln von leicht verständlichen Themen, die Jugendliche und junge Erwachsene direkt betreffen – etwa die Klage gegen die Wiener Linien wegen der Ungleichbehandlung von Studierenden mit Hauptwohnsitz außerhalb von Wien.

Die Grünen haben wie auch die ÖVP keinen Parteiaccount – allerdings liegt die Parteijugend mit über 8.600 Followern mit großem Abstand vor den Jugendorganisationen von ÖVP, SPÖ, Neos und FPÖ.

Fazit

Quer durch alle Parteien zeigt sich: Vor allem die Themenwahl ist entscheidend. Wer sich hin und wieder mit popkulturellen Elementen beschäftigt, hat rasch die Aufmerksamkeit der Tiktok-Gemeinde. Wenn es allerdings ins Lächerliche geht, folgen schnell negative Rückmeldungen, denn auch Jugendliche und junge Erwachsene erwarten sich von ihren politischen Vertreterinnen und Vertretern eine gewisse Ernsthaftigkeit und Kompetenz – die Mischung muss stimmen und humoristische Einlagen dürfen nicht zu viel Raum einnehmen.

Auch Service macht sich auf der Plattform gut: Jugendliche interessieren sich für politische Sachthemen und haben dazu viele Fragen – gute Antworten auf diese Fragen liefern Reichweite, Sympathie und schließlich wohl auch die Stimmen junger Wählerinnen und Wählern. Und: Natürlich schadet es für einen erfolgreichen Tiktok-Auftritt auch Politikerinnen und Politikern nicht, wenn sie selbst noch etwas jünger sind.

Etwas überraschend ist, dass die Grünen nur eine sehr schwache Tiktok-Präsenz haben – besonders weil die Partei von den Stimmen junger Menschen abhängig ist, die auf Tiktok zuhauf vertreten wären. (Jonas Heitzer, Alexander Amon, 17.11.2022)