In der Fotoserie "Grandmothers on the Edge of Heaven" stellt die ukrainische Fotografin Elena Subach eine Verbindung zu ihrer Heimat und Tradition her.
Foto: Elena Subach / The Naked Room Gallery

In Zukunft werden wir Geschichte durch diese Kunstwerke lernen", ist Yana Barinova überzeugt. Die 33-jährige Ukrainerin weiß, wovon sie spricht. Nach Ausbruch des Krieges musste sie Anfang März gemeinsam mit ihrer Tochter nach Wien flüchten, davor war sie Kulturamtsleiterin in Kiew.

In Wien ist Barinova nun für die Erste-Stiftung sowie die Vienna Contemporary tätig. Bei der letzten Ausgabe der Kunstmesse konzipierte sie den Schwerpunkt Statement Ukraine, im Sommer kuratierte sie das Festival Gmunden Photo. Jetzt folgte die Gruppenschau Contrapunct im Wiener Künstlerhaus, die sie in nur zwei Monaten realisierte.

Barinova gilt als eine der zentralen Personen, die sich aktuell daran beteiligen, ukrainische Kunst im Ausland sichtbarer zu machen – und die Aufmerksamkeit auf den Krieg zu lenken. Generell sei Österreich enorm unterstützend dabei, sagt sie. Neben Gruppenausstellungen und Projekten, von denen es aktuell einige zu sehen gibt, findet man hierzulande ein reiches Angebot an Förderungen und Residency-Programmen für Kunstschaffende aus der Ukraine. Die Szene in Wien und auch in einigen Landeshauptstädten sei enorm gewachsen.

Karneval, Mythos und Ritual: Die Fotos von Gera Artemova zeigen eine Prozession der Heiligen Melania in den Karpaten.
Foto: Gera Artemova

Doppelte Vertreibung

Die 14 Künstler und Künstlerinnen in der Schau – wegen des Militärdienstes und des Ausreiseverbots für Männer machen den Großteil in Ausstellungen mit ukrainischen Positionen Frauen aus – wählte Barinova auch aufgrund der einfach zu transportierenden Medien aus: Fotografien, kleine Skulpturen, Textilien oder Aquarelle. Themen wie Krieg, Flucht, Tod oder Zerstörung sind auf den ersten Blick kaum zu erkennen – vieles geschieht poetisch und uneindeutig.

Etwa ein Drittel der gezeigten Künstlerinnen – viele leben noch oder wieder in der Ukraine – konnten durch Programme in Österreich eine wichtige Station einlegen oder ganz Fuß fassen. So zum Beispiel die 1988 auf der Krim geborene Maria Kulikovska, die nach der russischen Annexion 2014 in Kiew lebte und im März 2022 mit ihrem Partner und ihrem Neugeborenen fliehen musste und nach Österreich kam. In Linz wurde die Multimediakünstlerin in einem von der OÖ Landes-Kultur GmbH organisierten Programm aufgenommen, das Francisco Carolinum widmet ihr aktuell die Einzelschau My Body is a Battlefield.

Neben zahlreichen Initiativen durch Institutionen wie Museen oder Kunstuniversitäten findet die Unterstützung für die Szene auch auf der Ausstellungsebene statt, erklärt Bettina M. Busse. Österreichische Galerien würden unablässig ukrainische Positionen zeigen, die Hauptschau des diesjährigen Steirischen Herbsts widmete sich dem Thema, und kleinere Kunsteinrichtungen engagieren sich laufend. Speziell Wien sei zu einer wichtigen "Drehscheibe" für die Szene geworden, so die Kuratorin.

Wie eng die Werke von Maria Kulikovska mit ihrer Biografie verbunden sind, zeigt ihre fortlaufende Aquarellserie "Ongoing Process" im Künstlerhaus. Auf für die Immigration benötigten Papieren prangen organische Formen in hellen Rottönen.
Foto: Maria Kulikovska

Überlebensstrategie

Am Bank-Austria-Kunstforum organisierte sie gemeinsam mit Lizaveta German und Maria Lanko – beide konzipierten den ukrainischen Beitrag auf der Biennale in Venedig 2022 – die Ausstellung Death and the Maiden – Der Tod und das Mädchen mit vier jungen ukrainischen Künstlerinnen.

Wo die Gemeinsamkeit liegt? Vielen Künstlerinnen aus der Ukraine gehe es darum, durch die Werke ihre Identität und die ihres Landes auszudrücken und sich so zu positionieren: Wir sind da, wir sind stark, und wir machen weiter – so die Aussage. Oft handelt es sich um eine "Überlebensstrategie", so Busse.

Die ins Grenzgebiet in den Karpaten geflohene Zhanna Kadyrova beispielsweise sammelt dort Steine aus dem Grenzfluss und verarbeitet sie so, dass sie an angeschnittene Brotlaibe erinnern. Ihre eindrucksvollen Skulpturen waren auf der Biennale zu sehen. Wichtiges Detail: Das ukrainische Wort "palianytsa" bedeutet auch auf Russisch Brot, entlarvt jedoch ganz anders ausgesprochen den aktuellen Feind. Die Fotografin Elena Subach porträtiert in Grandmothers on the Edge of Heaven ältere Frauen, die der letzten Generation angehören, die noch in der Sowjetunion aufwuchs und in ländlichen Gebieten der Ukraine lebt.

Die ins Grenzgebiet in den Karpaten geflohene Zhanna Kadyrova sammelt dort Steine aus dem Grenzfluss und verarbeitet sie so, dass sie an angeschnittene Brotlaibe erinnern.
Foto: Natalka Diachenko

Neue Ebenen, alte Blicke

Fast zehn Monate nach Beginn des Ukraine-Kriegs müsse eine neue Sprache gefunden werden, um über den Krieg zu sprechen, findet Yana Barinova. Menschen, die sich nicht tagtäglich mit den Bildern konfrontieren, könnten der Darstellung dieses Leids nicht standhalten – zumindest nicht auf Dauer.

In Frühling und Sommer zeigten Ausstellungen primär dokumentarische Arbeiten wie Foto- und Videokunst, die die Gräuel des Krieges abbildeten. Nun finden Präsentationen verstärkt auf einer Metaebene statt, um auf die Diversität ukrainischer Kunst und die Folgen des Kriegs für zeitgenössische Kunst hinzuweisen. In auffallend vielen der gezeigten Werke sind Heimat, Tradition und die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart zentral. Die Zukunft ist ungewiss. (Katharina Rustler, 18.11.2022)