Im österreichischen Kanzleramt sind derzeit zwei Varianten der Hoffnung spürbar. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) ist am Mittwoch nach Belgrad gereist, um mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und dem ungarischen Premier Viktor Orbán ein Memorandum of Understanding zu unterzeichnen. Es beinhaltet gemeinsame Maßnahmen für Grenzschutz und gegen Migration. Oder wie Nehammer es nennt: Es sei ein Schritt, um das "Asyl à la carte" zu beenden.

Anti-Migrations-Achse: Kanzler Nehammer, der serbische Präsident Vučić und Ungarns Premier Orbán.
Foto: EPA / Andrej Cukic

Österreichs Hoffnungen

Die erste Variante der Hoffnung lautet: Der Deal wird zumindest mittelfristig dafür sorgen, dass in Österreich weniger Flüchtlinge und Migranten ankommen. Österreich und Ungarn haben zugesichert, Serbien Geld zur Verfügung zu stellen, damit Migranten direkt von dort wieder in ihre Herkunftsländer zurückgeflogen werden – und somit die EU nie erreichen. Man habe das nun selbst in die Hand nehmen müssen, weil man sich von der EU im Stich gelassen fühle, heißt es aus dem Kanzleramt in Wien. Nehammer sagt: Das Asylsystem der Europäischen Union "ist gescheitert".

Am 25. November wird ein Sondertreffen der EU-Innenminister zum Thema Migration stattfinden. Österreich, so hieß es aus dem Innenministerium, wolle hier gemeinsam mit Deutschland und Tschechien Tempomacher sein. Bis Jahresende wird in Österreich mit mehr als 100.000 Asylanträgen gerechnet. Deshalb dürfe es auch keine "Diskussionsverbote" über die EU-Aufnahmerichtlinien geben, sagt Nehammer. Die geltenden würden dem Staat "Ketten anlegen".

Die zweite Variante der türkisen Hoffnung ist parteistrategischer Natur. Die ÖVP hat in Umfragen massiv an Zustimmung verloren, sie liegt aktuell hinter SPÖ und FPÖ. Viele fordern deshalb, dass die ÖVP wieder mit klaren – gemeint ist: harten – Ansagen im Migrationsbereich auffallen muss. Damit habe Sebastian Kurz schließlich die Wahl 2019 gewonnen. Nun spricht Nehammer von "Asyltourismus" und lässt sich freundschaftlich mit Orbán ablichten – einem Nationalpopulisten, der vor allem in Migrationsfragen als Hardliner auftritt.

Probleme in Serbien

Unabhängig davon stellt sich die Frage: Was bringt der Deal mit Serbien und Ungarn eigentlich? Die Rückführungen sind in der Praxis schwer umzusetzen. Denn die meisten Flüchtlinge, die sich in Serbien befinden, sind aus Afghanistan, und dorthin kann man nicht abschieben, seit die Taliban die Macht übernommen haben. Zwischen Serbien und Pakistan gibt es wiederum gar kein Rückführungsabkommen.

Das erste Abkommen mit Pakistan in der Region hat Bosnien-Herzegowina unterzeichnet. Bisher wurden erst zwei Pakistaner rückgeführt. Serbien hat das Problem zudem selbst mitgeschaffen, weil es Bürgern zahlreicher Staaten Visafreiheit gewährt, die sonst keine Möglichkeit hätten, nach Europa zu reisen. Das hat dazu geführt, dass hunderte Bürger Burundis nach Serbien flogen und nun versuchen, über die bosnisch-kroatische Grenze in die EU zu gelangen. Serbien hat mittlerweile die Visumsfreiheit für die Burundier aufgehoben.

Für Tunesien und Indien gibt es eine Zusage, dies bald zu tun. Allerdings gibt es andere Staaten, deren Bürger weiterhin Visumfreiheit in Serbien genießen. Dazu zählen Belarus, Russland, Aserbaidschan, Armenien, Kasachstan, Kirgisistan, Bolivien, Jamaika, Kuba, Suriname und Guinea-Bissau.

Perspektiven aus Brüssel

Wenn es um den Grenzschutz zwischen Serbien und Nordmazedonien geht, so werden dort die Zäune bereits seit einigen Monaten weiter ausgebaut. Österreich will auch Unterstützung schicken. Obwohl sich die EU-Grenzschutzagentur Frontex seit Jänner 2021 aus Ungarn zurückgezogen hat, weil das Land keinen Zugang zu Asylverfahren gewährt, entsendet Wien auch Beamte nach Ungarn. Seitens der EU dürfte es aber keine Einwände gegen die jüngsten Vereinbarungen der drei Staaten geben. Es steht den Staaten frei, bilaterale Lösungen zu vereinbaren, wenn die EU-Grundsätze damit nicht verletzt werden.

Die Kommission erhöhte zudem selbst seit Wochen den Druck auf die Regierung in Belgrad, ihre Visapolitik an EU-Usancen anzupassen. "Serbien muss jetzt die Visapraxis ändern, nicht irgendwann, sondern jetzt", forderte auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser von der SPD. (Thomas Mayer, Katharina Mittelstaedt, Adelheid Wölfl, 18.11.2022)