Waldrappe, hier auf einem Foto vom April in Baden-Württemberg, gehören zu den gefährdeten Arten. Sie wurden im 17. Jahrhundert stark bejagt und verloren ihre natürlichen Lebensräume.

Foto: APA/dpa/Felix Kästle

Er hat struppige Nackenfedern, einen dünnen langen rosa Schnabel mit einer beeindruckenden Biegung Richtung seines Bäuchleins, der Kopf ist gräulich, der große Körper schwarz-glänzend: Der Waldrapp ist nicht unbedingt eine Schönheit, aber trotzdem steht er nun im Zentrum der Aufmerksamkeit von österreichischen und bosnischen Vogelliebhabern. Denn einer der gänsegroßen Ibisse hat sich verflogen, ist von seinem Weg nach Italien abgekommen und ausgerechnet in dem Militärcamp Butmir in der Nähe von Sarajevo gelandet.

"Jonas wurde in Sarajevo am Eufor-Militärgelände auf einer Laterne sitzend gesehen", hieß es vor wenigen Tagen vom Waldrappteam in Österreich auf Facebook. Manche wünschten dem "flattrigen Weltenbummler", dass ihm nichts zustoßen möge. Auf dem Militärgelände ist er einstweilen sicher.

Und einer der bosnischen Soldaten in dem Camp schaut jeden Tag zwei, drei Mal nach ihm, ob es ihm wohl gut geht. Der Waldrapp gehört zu den gefährdeten Arten, er wurde im 17. Jahrhundert stark bejagt und verlor seine natürlichen Lebensräume. Deshalb gibt es in Mitteleuropa Aufzucht- und Auswilderungsprogramme.

Einzelgänger

Jonas hat sich jedenfalls während der menschengeführten Migration innerhalb Italiens von der Gruppe abgespalten und ist seit dem 25. August alleine unterwegs, erzählt das Waldrappteam. Die Waldrappe, die von Menschen aufgezogen werden, müssen nämlich lernen, nach Italien ins Winterquartier zu fliegen, und werden von Leichtflugzeugen, die ihnen den Weg zum ersten Mal weisen, begleitet.

Jonas gehört zu diesen handaufgezogenen Waldrappen. "Er wurde mit 31 weiteren Jungvögeln von zwei Zieheltern aufgezogen und auf unser Leichtflugzeug trainiert", sagt Daniela Trobe vom Waldrappteam zum STANDARD. Wie in den Vorjahren sollten Jonas und die anderen Jungen den Zieheltern mit dem Fluggerät in die Toskana folgen. Für Jonas sollte es im August und September sogar das erste Mal sein, dass er die Strecke ins Wintergebiet lernt.

Offen ist nun aber, wie es mit dem Ibis mit dem zerzausten Federkopf weitergehen soll. "Da Jonas keinen Sender trägt, sind für uns Sichtmeldungen sehr wichtig. So können wir seine Aufenthaltsorte erfahren und versuchen, ihn gegen illegalen Abschuss mithilfe der Bevölkerung zu schützen", erklärt Trobe. "Wichtig dabei ist aber immer, eine gewisse Distanz zu ihm zu haben, damit er nicht in seiner natürlichen Lebensweise gestört wird. Auch füttern sollte vermieden werden."

Gefahren: Stromschlag, Abschuss, Fressen

Der Jungvogel könne in Bosnien durchaus alleine zurechtkommen. "Solange das Wetter passt und der Boden nicht gefroren ist, findet er genug Nahrung. Es kann sein, dass er bei einem Kälteeinbruch auch weiterfliegt. Falls er überlebt, könnte er im nächsten Frühjahr wieder nach Norden fliegen", so Trobe. Die häufigsten Gefahren für ihn seien aber Stromschlag, Abschuss oder dass er von einem anderen Tier gefressen wird.

Das Waldrappteam aus Österreich wollte Jonas eigentlich abholen kommen. Die Eufor-Militärmission, die von dem österreichischen General Anton Wessely geführt wird, sei auch sehr hilfsbereit, erzählt Trobe. "Wir hätten jederzeit Zutritt gehabt, allerdings ist es aus logistischen und rechtlichen Gründen nicht so einfach mit der Aus- und Einfuhr einer bedrohten Vogelart. Bosnien ist leider außerhalb der EU, und eine Rückholung ist sehr aufwendig und langwierig."

Die EU fördert im Namen der Umweltschutzprogramme die Aufzucht und Auswilderung von Waldrappen, darunter auch das Projekt "Life 20: Northern Bald Ibis" von 2022 bis 2028. Die Jungvögel werden im Alter von zwei bis acht Tagen aus Nestern von Zookolonien entnommen, bei zwei Zieheltern zur Handaufzucht in der Nähe von Karlsruhe in einen Zoo gegeben und dann im Alter von sechs Wochen in Binningen auf dem Flugplatz dafür trainiert, dem Leichtflugzeug der Zieheltern zu folgen.

"Komm, Waldi! Komm, komm!"

"Es wird während der Aufzucht streng darauf geachtet, dass die Jungvögel ausschließlich Kontakt mit den Zieheltern haben, um eine spezifische Prägung zu gewährleisten. Gelbe Oberbekleidung und der bekannte Ruf 'Komm, Waldi! Komm, komm!' helfen den Vögeln später, ihre Bezugspersonen auch aus der Ferne zu erkennen", ist auf der Homepage des Waldrapp-Teams zu lesen. Sie müssen sich an die Motorengeräusche gewöhnen und lernen, dem motorbetriebenen Ultraleichtflugzeug mit Paraschirm zu folgen. Die Trainingsflüge finden drei- bis viermal pro Woche in zunehmendem Radius rund um das Camp statt.

Nach Ankunft im Überwinterungsgebiet in Orbetello kommen sie auch in Kontakt mit Wildtieren und werden dann sanft ausgewildert. Die Zieheltern bleiben bis zu dem Zeitpunkt bei ihnen. Frauen können sich übrigens noch als Zieheltern für kommenden Sommer bewerben. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 18.11.2022)