In seinem Gastkommentar schreibt Daniel Dettling, Jurist und Politikwissenschafter, darüber, wie sich Österreichs Arbeitsmarkt entwickelt – und entwickeln könnte.

Der Fachkräftemangel wird zum größten Risiko. Für die Mehrheit der Unternehmen ist er bereits bedrohlicher als Inflation, Gas- und Ukraine-Krise. Bis 2030 fehlen Hunderttausende Arbeitskräfte, vor allem Erzieherinnen, Lehrer und Pflegekräfte. Österreich braucht einen Dreiklang aus Zuwanderung, flexiblen Arbeitsmodellen und mehr Weiterbildung. Die Potenziale bei Menschen mit Migrationshintergrund, Frauen und Älteren sind enorm.

Der Personalbedarf in der Pflege ist enorm: Wo sollen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur herkommen?
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Zuwanderung: Viele Branchen sind heute ohne ausländische Arbeitskräfte nicht mehr überlebensfähig. Zwei von drei offenen Stellen gehen in Österreich aktuell an Personen mit anderer Staatsbürgerschaft. Allein im Tourismus beträgt der Ausländeranteil 50 Prozent. Österreich wird in Zukunft mehr denn je auf Zuwanderung angewiesen sein. Ohne sie würde die Republik langfristig auf das Niveau der 1950er-Jahre zurückfallen, prognostiziert die Statistik Austria. Österreich wächst und wird bunter.

Flexibler arbeiten: Der klassische Achtstundentag wird in Zeiten von Homeoffice und mobilem Arbeiten zum Auslaufmodell. Zum neuen Modell wird die "100:80:100-Arbeitsgesellschaft". 100 Prozent Produktivität bei 80 Prozent Wochenzeit und 100 Prozent Lohn. Immer mehr Unternehmen setzen auf flexible, bedürfnisgerechte Arbeitszeiten, kombiniert mit Homeoffice. Dabei liegt der Erfolg in flexiblen Zeitmodellen. In Belgien können Beschäftigte wählen, ob sie die vorgegebenen 40 Wochenstunden an fünf oder an vier Tagen leisten wollen. Umfragen zufolge würden mehr als zwei Drittel bei gleicher Stundenzahl lieber vier als fünf Tage die Woche arbeiten. Erste Studien zeigen, dass die Produktivität dadurch steigt und die Fehlzeiten sinken.

"Von flexiblen Modellen profitieren vor allem Frauen, die in Teilzeit arbeiten."

Mehr Flexibilität heißt aber auch: Mehrarbeit bei höheren Gehältern muss möglich sein. Moderne Arbeitgeber bieten ihren Beschäftigten die gesamte Breite an Arbeitszeitmodellen an: Von der Teilzeit über die Viertagewoche bis hin zur längeren Vollzeit. Von flexiblen Modellen profitieren vor allem Frauen, die in Teilzeit arbeiten. Fast 50 Prozent der Österreicherinnen arbeiten Teilzeit. Übertroffen werden sie damit EU-weit nur von den deutschen Frauen. Vor allem in den stressigen Care-Berufen wie Gesundheit, Pflege und Erziehung würden flexible Arbeitszeitmodelle bei besserer Bezahlung zu mehr Beschäftigung führen. Eine Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes kam zu dem Ergebnis, dass Hunderttausende ehemalige Pflegekräfte sich eine Rückkehr in den Beruf vorstellen können, wenn sich die Arbeitsbedingungen verbessern.

Länger arbeiten: In einer Gesellschaft des langen Lebens wird ein weiteres Modell zum Auslaufmodell: die Pension mit 65. Bereits heute sind ältere Menschen häufiger erwerbstätig als noch vor zehn Jahren. Längeres Arbeiten wird dank der gestiegenen Lebenserwartung für immer mehr Beschäftigte möglich sein. Daher heben immer mehr Länder in Europa ihre Altersgrenzen bei der Pension an. Spitzenreiter ist Dänemark. Bereits 2011 hat das Land eine Reform verabschiedet, wonach junge Däninnen und Dänen in Zukunft bis zu ihrem 74. Lebensjahr arbeiten müssen, wenn sie die volle Rente erhalten wollen.

Weiterbildung: Diverses, flexibles und längeres Arbeiten braucht mehr Weiterbildung. Qualifizierung wird zur neuen sozialen Frage in der Arbeitswelt. Eine kürzere und besser bezahlte Ausbildung, verbunden mit akademischer Zusatzqualifikation wertet Handwerksberufe auf und macht berufliche Bildung attraktiver. Ziel sind mehr Durchlässigkeit zwischen akademischen und nicht-akademischen Berufen und bessere Aufstiegschancen.

Nicht Arbeitslosigkeit, Arbeiterlosigkeit wird zum zentralen Problem der Zukunft. Mehr Migration, Frauen, Ältere und Bildung sind die Antworten aus der Krise. Gewinnen können dabei alle. (Daniel Dettling, 19.11.2022)