Die jüngste Aktion, die Beschüttung der Glasscheibe des Klimt-Bilds "Tod und Leben" im Wiener Leopold-Museum, steht in einer mittlerweile langen Reihe ähnlicher Aktionen weltweit.
APA/AFP/LETZTE GENERATION ÖSTERREICH

Als Dienstagvormittag Aktivisten das Wiener Leopold-Museum betraten und aus einer unter einem T-Shirt versteckten Wärmeflasche eine schwarze, zähe Flüssigkeit auf die schützende Glasscheibe des Gemäldes Tod und Leben von Gustav Klimt schütteten, konnte niemand mehr überrascht sein. Längst hatte man damit gerechnet, dass nach Schüttaktionen in Museen weltweit (die erste erfolgte Mitte Oktober auf ein Van-Gogh-Bild in der Londoner National Gallery) bald auch Wien dran sein würde. Zuvor gab es bereits einen vereitelten und einen erfolgreichen Versuch, sich im Naturhistorischen Museum an den Sockel eines Dinosaurierskeletts zu kleben.

Was die lose kooperierenden Gruppen wie Just Stop Oil oder Letzte Generation damit bezwecken wollen, sollte mittlerweile klar sein: maximale Aufmerksamkeit auf die Klimakrise lenken, die zwar mit den Fridays-for-Future-Protesten als Thema in den Medien Aufwind erfuhr, dann aber durch Pandemie und Ukraine-Krieg wieder in den Hintergrund rückte.

Aufsehen statt Sachbeschädigung

"EILT: Klimts ‚Tod und Leben‘ im Leopold Museum mit Öl überschüttet", schrieb die Gruppe Letzte Generation Österreich auf Twitter. Das Museum war vorbereitet, konnte die Spuren der Anschüttung noch am selben Tag beseitigen und stellte fest, dass es sich nicht um Öl, sondern um mit Lebensmittelfarbe getränktes Mehl handelte. In bisher allen Fällen wurde deutlich: Den Protestierenden geht es nicht um Sachbeschädigung, da ausschließlich Werke hinter Schutzglas attackiert wurden. Einzig minimale Schäden an Rahmen oder Fußböden werden in Kauf genommen. Dass Museen in Angst um ihre Werke die Verglasung verstärken und die Sorge umgeht, amateurhafte Trittbrettfahrer könnten sich bald einmal ein ungeschütztes Werk vornehmen, steht auf einem anderen Blatt.

Die Symbolik ist mit Dinoskeletten und Werken wie Tod und Leben mehr als deutlich, die Aktion im Leopold-Museum richtete sich zudem gegen das Sponsoring des heimischen Mineralölkonzerns OMV. "Wir sind die erste Generation, die den beginnenden Klimakollaps spürt – und die letzte, die ihn noch aufhalten kann", ist das Motto der Gruppe.

In der Öffentlichkeit polarisieren die Museumsaktionen wesentlich mehr, als es Sitz- und Klebeblockaden auf Straßen, in Autobetrieben oder auf Flugfeldern tun. Auf Twitter musste sich die Gruppe für ihre Aktion im Leopold-Museum wüste Beschimpfungen gefallen lassen, und die Politik treibt mittlerweile die Frage um, welche rechtlichen Konsequenzen derlei Protestformen haben sollten.

Politisch aufgeheizte Debatte

Während so manche lokalpolitische Stimme durchaus Sympathie äußerte, betonte Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) gütig distanziert, sie habe in ihrer Zeit in der Zivilgesellschaft "andere Formen des Protests gewählt". FPÖ und Teile der ÖVP sprechen hingegen von "Terrorismus" und "hartem Durchgreifen", FP-Vizechefin Marlene Svazek empfahl in der Kronen Zeitung, die "Wohlfühl-Aktivisten" mögen doch "nach China fliegen".

In Deutschland, wo Aktivisten bei einer Straßenblockade vorgeworfen wurde, einen Rettungseinsatz, bei dem eine verunfallte Radfahrerin starb, verzögert zu haben, ist die Diskussion noch aufgeheizter: Der bayerische CSU-Chef Markus Söder warnt in Anspielung auf den Linksterrorismus der 1970er vor einer "Klima-RAF" und bringt Gesetzesverschärfungen ins Spiel. Auch Großbritannien diskutiert darüber. Die deutsche Koalition aus SPD, Grünen und FDP lehnt das bisher ab: Es gebe ein Recht auf zivilen Ungehorsam, aber kein Recht darauf, das Leben anderer zu bedrohen, stellte Grünen-Chef Omid Nouripour klar.

Vorbild für viele Protestierende: Der Suppenwurf auf van Goghs "Sonnenblumen" in London. Die rechtlichen Folgen sind gering, da bisher bewusst nur geschützte Bilder attackiert wurden.

Tomaten-Terror

Ist es gerechtfertigt, von "Terror" und "Anschlägen" zu sprechen? Welche juristischen Konsequenzen haben die Aktionen bisher? Und wie scharf könnte der Rechtsstaat theoretisch darauf reagieren? Fragen, die sich schwer verallgemeinern, sondern meist nur am konkreten Einzelfall festmachen lassen.

In den beiden Wiener Fällen wurden die Aktivisten nach einer Identitätsfeststellung durch die Polizei auf freiem Fuß angezeigt, jeweils wegen "Störung der öffentlichen Ordnung" (§ 81 Sicherheitspolizeigesetz) sowie "versuchter schwerer Sachbeschädigung" (§ 126 Strafgesetzbuch). Da sich die Aktivisten kooperativ verhalten hätten, sei es laut Polizei nicht geboten gewesen, vorübergehende Festnahmen, die bei unkooperativem Verhalten möglich wären, vorzunehmen.

Verhandelt werde derlei dann meist vor einem Bezirksgericht, sagt der Rechtsanwalt Clemens Lahner auf Anfrage des STANDARD. Dabei mache es einen großen Unterschied, ob nur die Glasscheibe angeschüttet wird oder ein wertvolles Bild. "Im einen Fall ist es, wenn überhaupt ein Schaden dabei entsteht, eine normale Sachbeschädigung, im anderen eine schwere", die Einschätzung richtet sich nach der Schadensumme. Das Wörtchen "versucht" ist zudem wesentlich, weil es sich mildernd auswirkt, wenn es "nur" beim Versuch bleibt. Lahner zufolge sei aber ohnehin fraglich, ob "versuchte schwere Sachbeschädigung" in diesen Fällen zutreffe. Denn es sei ja mittlerweile mehr als deutlich, dass die Gruppierungen nicht den Vorsatz verfolgten, die Bilder selbst zu beschädigen, sondern maximal die Scheibe, den Rahmen oder den Fußboden.

Es bleibt Auslegungssache

In der Praxis werde es Auslegungssache der Richter und Staatsanwälte sein, wie hart durchgegriffen werde, meint Lahner. Außerdem komme es darauf an, ob sich die geschädigten Museen in einer Diversion (ohne Strafantrag) mit den Tatverdächtigen einigen könnten. Das reiche dann von Schadenswiedergutmachung bis hin zu einer geringen Strafe. Komme es doch zu einem Strafverfahren, werde es bei einer bedingten Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bleiben, ins Gefängnis müsse man wegen derlei aber nicht, meint Lahner.

Stefan Traxler, Strafverteidiger im aufsehenerregenden sogenannten Tierschützerprozess, kommt zu einer ähnlichen Einschätzung. Er hält es aber für möglich, dass die Gerichte im Sinne der "Generalprävention" (abschreckende Wirkung in Bezug auf Wiederholungstaten) hart urteilen könnten. Mit dem Gefängnis spiele man "jedenfalls dann, wenn tatsächlich ein millionenschweres Bild beschädigt werden sollte". Wenn im Alltagssprachgebrauch und in der politischen Auseinandersetzung von "Anschlägen" die Rede sei, habe das im juristischen Sinn keine Entsprechung: "Da zählt nur, ob es Beschädigungen gibt."

Studierende der "Erde brennt"-Bewegung besetzen einen Hörsaal der Universität Wien. Unser Videoteam war vor Ort.
DER STANDARD

"Terrorismus" wäre konstruiert

Beim Thema Terrorismus sieht Traxler nach wie vor den weit gefassten sogenannten Mafiaparagrafen 278a zur Bildung einer kriminellen Organisation als problematisch an. Im Tierschützerprozess, der letztlich mit Freisprüchen endete, wurde von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt versucht, ihn auf die NGO Verein gegen Tierfabriken anzuwenden. "Wenn man ein emsiger Staatsanwalt ist, könnte man das auch für die Klimaschützer konstruieren", sagt Traxler. Er glaube aber nicht, dass das passiere, da die Justiz aus dem Tierschützerprozess gelernt habe.

Lahner hält zudem fest, dass der Mafia- oder Terrorparagraf erst dann Anwendung finden könne, wenn eine Organisation zum Zweck gebildet werde, "schwerwiegende strafbare Handlungen" zu begehen. "Und das ist ja hier nicht der Fall, da wäre eine gehörige Portion Paranoia nötig. Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist, dass wir nicht mehr leben können auf dieser Welt. Dagegen ist ein bisschen Suppe auf einer Glasscheibe nichts", hält Lahner auch mit seiner politischen Sicht auf die Aktionen nicht hinterm Berg.

In Deutschland wurde von Gerichten in verschiedenen Bundesländern betont milde geurteilt, die Dringlichkeit des politischen Anliegens floss teils sogar in die Begründungen ein. Angst vor härteren Strafen scheinen die von reichen Unterstützern finanzierten Gruppierungen zudem ohnehin nicht zu haben. So twitterte die Letzte Generation Österreich: "So wie bei unseren Freunden aus England werden Strafandrohungen auch uns nicht stoppen. Wir werden weiter friedlichen Widerstand leisten, um auf die größte Krise der Menschheit aufmerksam zu machen." (Stefan Weiss, 20.11.2022)