Ein jeder Mensch hat sei’ Kultur,
dem Volk steht nur die niedre zua‚

doch d’ bessern Leut zieht’s von Natur
trara trara zur Hochkultur!

Fritz Herrmann

Fritz Herrmann war, ja, ein Quälgeist. Eine Art kulturelle Laus im Pelz der österreichischen Sozialdemokratie. Die hatte sich, 1970 war das, auf den Weg gemacht, ganz Österreich ein bisserl sozialistischer zu machen. Bruno Kreisky, der rote Überstrahlemann, hatte Gott und die Welt eingeladen, ein Stück dieses Weges mitzugehen. Auch und gerade durch den beschaulichen Kulturpark, den schmucken Kunstgarten. Dorthin also, wo selbst den g’standenen Genossen und Genossinnen mehr nach Flanieren zumute war. Fritz Herrmann aber wollte diesbezüglich lieber der Stein sein in deren Schuh. (Dem Budapester, wenn’s erlaubt ist, das mit Blick auf das bevorzugte Schuhwerk Bruno Kreiskys hinzuzufügen.)

"Querdenker" und "Kasperl"

"Schaffen wir doch einfach auf der Basis der verstaatlichten Industrie Enklaven sozialistischen Seins und Denkens": Fritz Herrmann.
Foto: Burgenländisches Landesarchiv

Denn Fritz Herrmann war einer, der, ganz in der Tradition des Roten Wien, nicht lassen wollte vom fundamentalen Kulturauftrag der Sozialdemokratie. Da ging es ihm weniger um feine Abendunterhaltungen, erbauliche Rührstücke, prächtige Vernissagen. Leuten wie Fritz Herrmann ging es gerade in der Kultur stets auch ums Ganze: um die – bis 1991 nannte sich die SPÖ ja Sozialistische Partei Österreichs – sozialistische Gesellschaft.

"Arbeit und Lust, Ökonomie und Kultur fallen in einer solchen Gesellschaft nicht mehr auseinander, sie werden wieder zur tief empfundenen Einheit", schrieb Fritz Herrmann 1972 in einem Aufsatz mit dem Titel Einen sozialistischen Kulturbegriff entwickeln. Und: "Schaffen wir doch einfach auf der Basis der verstaatlichten Industrie in Österreich Enklaven sozialistischen Seins und Denkens!" Um dann selber eh noch zu ergänzen: "Dieser Gedanke ist so absurd, dass es sich schon wieder lohnt, zu überlegen, warum er es ist."

Fritz Herrmann war also – wie sich aus den Zitaten unschwer erschließt – ein etwas ins Kraut schießender Utopist. Einer jener Genossen, die man damals, respektvoll, auch "Querdenker" genannt hat. Oder, weniger respektvoll, "Kasperl"; so, wie Bruno Kreisky über den immerwährenden Querdenker Günther Nenning einmal gegrantelt hatte. Aber selbst Kreisky hätte nie gesagt, dass, wer Visionen habe, zum Arzt gehen möge. So ging die sozialdemokratische Rede erst später.

Hochkultur in verzopften Musentempeln

1970 – die FPÖ verhalf der mit relativer Mehrheit gewählten SPÖ zu einer Minderheitsregierung – holte Leopold Gratz Fritz Herrmann als kulturpolitischen Berater ins Unterrichtsministerium. Im Jahr darauf gewannen "Kreisky und sein Team" die Absolute. Der ambitionierte, tapsig nur scheinende Fred Sinowatz folgte Gratz nach.

Herrmann rückte seinem Minister noch näher. Entwarf ihm Konzepte zur Förderung jener kulturellen Initiativen, die quer durchs Land eh schon keimten. Sie – freie Theatergruppen und Kleinbühnen etwa, für die Herrmann ein spezielles Förderkonzept erarbeitet hatte – sollten nun zum Blühen gebracht werden auf Kosten der sogenannten Hochkultur in jenen verzopften Musentempeln, die zur Erbauung, Herzenserhebung und Selbstbeweihräucherung des – ja, so hieß das damals noch im roten Jargon – Bürgertums da waren.

An dem, was nicht nur Herrmann despektierlich Hochkultur nannte, änderte sich freilich auch unter sozialistischen Kunstministern kaum was. Der Staat finanzierte weiterhin üppig seine Staatsoper, seine Staatsbühnen, seine Hochfestivals. Von diesem reich gedeckten Tisch fielen höchstens ein paar Brösel. Hans Pusch, der 1973 als Pressesprecher zum Sinowatz-Team gestoßen war, erinnert sich, "dass der Fritz zunehmend frustrierter wurde, weil da nichts weiterging".

Schnaderhüpfel über Herbert von Karajan

Anstatt sich, beamtengleich, in die innere Emigration zu verabschieden, fasste Fritz Herrmann – der schon als Roman-, Hörspiel- und Theaterautor hervorgetreten war – seinen Frust lieber in Worte. In der von Günther Nenning herausgegebenen Zeitschrift Neues Forum, in deren Herausgeberbeirat er später auch saß, erschien 1977 eine Sammlung von 37 Gstanzln zum Thema. In diesem Rundum-Spottgesang verschonte Fritz Herrmann nichts und niemanden, nahm auch Nenning, auch die Arbeiterzeitung aufs Korn; und klarerweise den ORF; Hans Dichand und die Kronen Zeitung sowieso.

Der besondere Spott galt aber dem Dirigentenstar und schwerreichen Musikunternehmer Herbert von Karajan. Der hatte sich entschlossen, nach Jahren der beleidigten Absenz 1977 wieder an der Staatsoper zu dirigieren. Nun drohte er, abermals indigniert, um Wien auf Dauer einen Bogen zu machen. In einem der Schnaderhüpfel, wie man zu einem Gstanzl auch sagen kann, heißt es über den Erfinder und Betreiber der Osterfestspiele: "Aus Salzburg quetscht der Karajan – zu Ostern auße, was er kann – ab Juli melkt er nach die Kuah — ein Leben für die Hochkultur!" Im Gstanzl Nummer 15 wird Karajan mit Sigmund Freud psychoanalysiert: "Es scheißt der Herr von Karajan – bei jedem falschen Ton sich an – und wascht sein Arsch im Goldlawua – anal sein g’hört zur Hochkultur!"

Fritz Herrmann griff zur Laute und bänkelte vergnügt über die hohe Kultur und ihren Zampano, Herbert von Karajan.
Karikatur: Klaus Pitter

Proletarierkind mit Kultursinn

Fritz Herrmann kam am 30. November 1922 als Proletarierkind in Wien zur Welt. Der Vater war Eisendreher. Die Familie in der Brigittenau daheim. Der Bub durfte aufs Gymnasium. Nach der Matura inskribierte er auf der Technischen Hochschule. Bald aber rief ihn der Krieg, den er als Funker überlebte. Heimgekehrt, wechselte er das Fach, studierte Germanistik. Dissertiert hat er über den zehn Jahre älteren Dramatiker Jura Soyfer, der im ukrainischen Charkiw geboren, 1920 mit der Familie vor den Bolschewisten nach Wien geflohen und 1939 in Buchenwald ermordet worden ist. Soyfer war für Herrmann auch so was wie eine schreiberische Messlatte: literarisch hochstehend, tief dem Volk verbunden, nicht nur darum kernig zuweilen im Ausdruck.

Anfang 1957 gründeten Herrmann und seine Frau Edith eine Zeitung, das Favoritner Wochenblatt. Diese deklariert linke Boulevardzeitung erreichte bald geschäftssichernde Auflagezahlen. Flott geschrieben, weder Sex noch Crime scheuend, dem Volk aufs Maul schauend. Bezirksmutationen kamen bald dazu.

Vom Boulevardblatt zur SPÖ

Die am Ende 16 Bezirksausgaben wurden 1960 zum Wiener Wochenblatt, der WiWo, vereinigt. Und noch im selben Jahr an Zeitungszar Fritz Molden (Presse, Wochenpresse, Express, Konsulent auch bei der Gründung des STANDARD 1988) verkauft. Edith Herrmann blieb bis 1978 Geschäftsführerin, Gatte Fritz nur bis 1968 Chefredakteur. Da wechselte der linke Boulevardist in eine vor Optimismus, Gestaltungsfreude, Zuversicht strotzende, visionssatte SPÖ, um dort mitzuhelfen, in Kulturangelegenheiten das Oberste zuunterst zu kehren.

Das Unterrichts- und Kunstministerium war damals eine tiefschwarze Domäne, bevölkert von einer christsozialen Beamtenschaft. Battleground also für die neuen Minister. "Der Fritz aber hat sich bald Respekt verschafft", erzählt Hans Pusch, "er war umfassend gebildet, kannte sich in der Materie aus. Das beeindruckte auch die CVer." Mag sein, das half mit, bei so manchen Reformen ideologische Handbremsen zu lösen. "Den Kulturservice, den wir implementiert haben, gibt es bis heute." Auf Ministeriumskosten konnten und können Schulen zeitgenössische Künstler – Schriftsteller, Musiker, Bildende – einladen. Damals ein ganz neuer Zugang zur Kulturförderung und auch zur Bildungspraxis.

"Wir haben aber unter anderem auch die erste umfassende Studie gemacht zum Kulturkonsum der Österreicher." Die Hochkultur schnitt dabei nicht so besonders ab. "Wir haben diese Studie in Salzburg präsentiert, sind durchs Land gefahren zu allerlei Events bis hin zum Volksmusikabend." Erst dann ging’s in die städtischen Festspieltempel.

Graf Herrmann

1977 allerdings pilgerte Fred Sinowatz nach Salzburg, wie Heinrich IV. nach Canossa: um Abbitte zu leisten. Karajan – der durch Boykottdrohungen schon das straffreie Führen des eigentlich verbotenen "von" ertrotzt hatte – fühlte sich von Fritz Herrmann majestätsbeleidigt. Die Kronen Zeitung mit ihrer legendären Kampffeder namens Staberl tobte. Der Minister verräumte Herrmann aus Selbstschutz in irgendeinem Besenkammerl.

"Der Fritz hat sich aber eh bald zurückgezogen ins Burgenland." Dort war genug zu tun. Die Familie Herrmann hatte bei Neckenmarkt ein altes Esterházy-Schlösslein erworben, das nach einem Brand im Jahr 1945 freilich ein Bastlerhit war. Er widmete sich der Fischzucht und nannte sich Teichwirt. "Sinowatz hat immer ,der Graf‘ gesagt. Manchmal haben wir vorbeigeschaut beim Grafen. Der Fisch war ja immer vorzüglich." Sinowatz habe ihn geschätzt, den Gstanzln zum Trotz. Ja, heimlich vielleicht sogar wegen.

Spannendes Diplomarbeitsthema

Im Burgenland nahm sich Fritz Herrmann die Zeit zu schreiben. Zahlreiche Manuskripte entstanden in der Abgeschiedenheit des Blaufränkischlandes. Manches erschien, wurde aufgeführt oder verfilmt. Herrmann war ja hauptsächlich Dramatiker. 2003 starb Fritz Herrmann. Den Nachlass, ein beachtliches Konvolut, übergab die Witwe der burgenländischen Landesbibliothek. Deren Leiter, Jakob Perschy, editierte 2011 für den Verlag edition lex liszt 12 den schmalen Band Die Zeugin eines Todes; eine wundersame Erzählung über seltsame Geschehnisse am Sterbebett von Albert Einstein.

Freilich liegt noch reichlich Herrmann unaufgearbeitet. Bereit für allfälligen Studieneifer. "Ich kann mir gut vorstellen", ermuntert Perschy Bildungshungrige, "dass Fritz Herrmann ein spannendes Diplomarbeitsthema sein könnte. Oder gar eines für eine Dissertation." Mögliches Thema: der Sozialdemokratie vergessener Kultur-Barawara. (Wolfgang Weisgram, 21.11.2022)