Applaus für den Präsidenten der Klimakonferenz, Sameh Shoukry.

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Die Erschöpfung steht Frans Timmermans ins Gesicht geschrieben. Als der Vizepräsident der EU-Kommission in den frühen Morgenstunden zu seiner Abschlussrede ansetzt, ist bereits klar: Die EU hat sich mit ihren Forderungen nach einer starken Reduktion der Emissionen nicht durchsetzen können. "Die Einigung, die wir vor uns haben, reicht nicht aus", sagte Timmermans eindringlich. "Die Kluft zwischen Klimawissenschaft und Klimapolitik wird nicht adressiert."

Nur wenige Stunden zuvor hatte er gedroht, die EU sei bereit, die Verhandlungen platzen zu lassen. So weit gingen die Staaten dann doch nicht – vor allem, weil die EU dem neuen Fonds für Klimaschäden zustimmen will, begründet Timmermans. Doch der größte Streitpunkt – die Zukunft von Erdöl und Erdgas – konnte nicht aufgelöst werden.

Verwässerter Kohleausstieg

Dabei geht es im Kern um nichts Geringeres als um das 1,5-Grad-Limit, welches als noch halbwegs sichere Schwelle in der Klimakrise gilt. Die Staaten in Sharm el-Sheikh bekannten sich zwar zu den 1,5 Grad und auch dazu, dass die Emissionen bis 2030 weltweit um 43 Prozent unter das Niveau von 2019 sinken müssen – doch ohne fossile Brennstoffe als die Hauptursache der Erderhitzung zu definieren. Diese sorgen für rund drei Viertel aller Treibhausgasemissionen.

Frans Timmermans, EU-Kommissionsvize, ist müde – und mit dem Ergebnis der Klimakonferenz unzufrieden.
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"Das Ergebnis der Weltklimakonferenz ist enttäuschend", kommentiert Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne), die für Österreich verhandelte. Bei der Reduktion von Treibhausgasen sei man um keinen wesentlichen Schritt vorangekommen.

Ölstaaten blockieren

Der komplette Ausstieg aus den fossilen Energien im Verhandlungstext war eine der Forderungen der EU sowie der Allianz der "hoch ambitionierten" Länder, der auch lateinamerikanische und Inselstaaten angehören. Doch öl- und gasreiche Staaten – Russland, Saudi-Arabien, aber auch das Gastgeberland Ägypten selbst – stellten sich quer.

Was schließlich im Abschlusstext landete, wiederholt, worauf sich die Staaten bereits vor einem Jahr in Glasgow einigten: Sie wollen die Nutzung der Kohle "herunterfahren" und "ineffiziente" Subventionen für fossile Brennstoffe stoppen.

Erneuerbar und "emissionsarm"

Ein Novum gibt es bei den erneuerbaren Energien – unter anderem auf Drängen der EU wurde der Aufruf zum Ausbau im Text verankert. Saudi-Arabien hingegen lehnte Bemerkungen zu Energie im Text gänzlich ab – egal ob erneuerbar oder fossil.

Am Ende landete eine weichere Formulierung im Abschlussdokument: Angestrebt wird ein "Energie-Mix" aus erneuerbaren sowie "emissionsarmen" Energien. Letztere Formulierung könnte ein Schlupfloch für bislang unausgereifte Technologien wie CO2-Abscheidung und -speicherung sein – aber auch für Atomkraft.

"Wir standen vor einem moralischen Dilemma", erklärte Timmermans Sonntagmorgen vor dem versammelten Plenum. Die EU und andere Staaten hätten sich zwar mehr Ambition beim Klimaschutz gewünscht, doch dem Letztentwurf nicht zuzustimmen wäre "ein Fehler und eine verpasste Chance" gewesen, so Timmermans.

Durchbruch bei Fonds für Klimaschäden

Denn neben ein paar prozeduralen Fortschritten, wie etwa beim Arbeitsprogramm zur Emissionsminderung und im Bereich der Anpassung, enthält das Paket einen Durchbruch: Nach zähen Verhandlungen einigten sich die Staaten auf einen eigenen Fonds, der "besonders vulnerable Staaten" für Schäden und Verluste entschädigt, die die Erderhitzung bereits verursacht – für die Folgen von Stürmen oder Dürren zum Beispiel. Hier wolle die EU schnell für Gelder sorgen, so die Message.

"Loss and Damage", also Klimaschäden, dominierten die Klimakonferenz von Anfang an.
Foto: IMAGO/Henrik Montgomery/TT

Ein paar Tage zuvor klang das noch ganz anders. Die EU und die USA haben sich lange gegen eine solche Einrichtung gesträubt – vor allem, weil unklar war, ob Schwellenländer wie China in den Topf einzahlen oder sogar Geld erhalten sollen. Letzteres scheint der Text mit der Formulierung "besonders verletzlich" nun auszuschließen. Viele Fragen bleiben jedoch offen. Fest steht nur, dass es den Fonds geben wird – und zwar schon im kommenden Jahr.

Klimaschutz nicht aus den Augen verlieren

Viele Staaten, die einen solchen Geldtopf schon seit rund 30 Jahren fordern, feiern die Entscheidung als historischen Meilenstein. Trotz des Frusts über den Stillstand beim Klimaschutz sagt deshalb auch Laurence Tubiana, die als die Architektin des Pariser Klimaabkommens gilt: "Die Konferenz war nicht umsonst. Sie erreichte einen Durchbruch für die verletzlichsten Staaten." Vor einem Jahr sei ein eigener Fonds für Klimaschäden noch ein Traum gewesen.

Mit der Einigung könne sich die Klimabewegung wieder stärker auf andere Themen konzentrieren, meint Jasmin Duregger von Greenpeace. "Wir werden uns jetzt wieder voll auf das Öl- und Gasthema konzentrieren", sagt sie. Auch Klimaschutzministerin Leonore Gewessler betonte mehrmals, dass es gelte, den Klimaschutz nicht aus den Augen zu verlieren. "Wir können uns aus dieser Krise nicht hinausfinanzieren", sagte Gewessler in dem kleinen Delegationszimmer in Sharm el-Sheikh.

Kritik an Gastgeber

In dem kleinen, durch Rigipswänden von den Büros der anderen Staaten abgetrennten, Raum ging Samstagnachmittag plötzlich das Licht aus. Es ist nur eine Facette des organisatorischen Chaos, das auf der Konferenz herrschte. Als die Konferenz am Freitag in die Verlängerung ging, wurden nicht nur die Messestände abgebaut, sondern auch die Essensstände.

Ab Freitagabend wurde auf der Klimakonferenz bereits zusammengeräumt – und der österreichischen Delegation der Strom abgeschaltet.
Foto: Reuters/Emilie Madi

Dort hatten sich seit Tag eins der Konferenz lange Schlangen aus Gipfelteilnehmenden gebildet, die eines der Sandwiches zu ergattern, die anfangs noch über 10 Euro kosteten. Durstige Delegierte irrten mit Pappbechern von einem leeren Wasserspender zum nächsten, während andere mit Pullover und Schal in den stark heruntergekühlten Konferenzzelten saßen.

Doch auch über das Verhalten der Ägypter im Verhandlungssaal schüttelten selbst erfahrene Verhandler ihre Köpfe. Statt auf offene Diskussionen im Plenum setzte die Präsidentschaft auf bilaterale Gespräche. Die Gastgeber ließen nicht nur Medien und Beobachterorganisationen, sondern oft auch die Delegierten über den Verhandlungsstand im Dunkeln. Selbst Ministerinnen und Ministern wurden Entwürfe spät nachts auf iPads unter die Nase gehalten – fotografieren verboten.

Es ist ziemlich offensichtlich, dass es Ägypten nicht um ein starkes Ergebnis gegangen ist. Der Gastgeber wollte die Klimakonferenz zur "afrikanischen Cop" machen – und dabei vor allem den Fonds für Klimaschäden durchboxen. An einem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen hat das Land eher wenig Interesse – Ägypten ist der zweitgrößte Gasproduzent Afrikas und will in Zukunft noch mehr fördern.

Erneuerbare auf Vormarsch

Viele Staaten, unter anderem einige afrikanische, sehen in der Öl- und Gasförderung eine der wenigen Möglichkeiten, Geld ins Land zu holen. Das war auch auf der Klimakonferenz zu spüren: Zumindest acht neue Gasdeals wurden auf der Konferenz bekanntgegeben. Außerdem waren um ein Viertel mehr Lobbyisten für fossile Energieträger auf der Konferenz als noch im Vorjahr.

"Aber sie werden die unvermeidliche Entwicklung in Richtung effizienter, erneuerbarer Energie nicht aufhalten", glaubt Catherine Abreu, Direktorin der Organisation Destination Zero. Inzwischen ist erneuerbare Energie in zwei Drittel der Welt günstiger zu haben als Kohle, Öl und Gas. Auch in Sharm el-Sheikh wurden letztendlich mehr Deals zu erneuerbaren Energiequellen geschlossen, als zu fossilen Rohstoffen.

Noch ein Stück lauter wird die Diskussion um die Energiewende auf der Weltklimakonferenz im kommenden Jahr geführt werden, wenn die Vereinigten Arabischen Emirate die Konferenz ausrichten – schon in Sharm el-Sheikh wurde die Delegation des Landes nicht müde zu betonen, sie hätten das sauberste Öl und Gas. (Alicia Prager und Philip Pramer aus Sharm el-Sheikh, 20.11.2022)