Handys und Messer sind nicht miteinander vergleichbar, sagt Anwaltspräsident Armenak Utudjian. Bei Sicherstellungen gelten derzeit aber dieselben Regeln.

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Es war ein kleines "Kastl", wie Sebastian Kurz es nannte, das im Ibiza/Casinos-Verfahren eine regelrechte Flut an neuen Ermittlungen auslöste. Auf der Festplatte, die 2019 im Zuge einer Hausdurchsuchung bei Thomas Schmid sichergestellt wurde, fanden Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zehntausende Chatnachrichten. Die Folgen sind bekannt: Derzeit laufen Ermittlungen gegen dutzende Beschuldigte.

Die "Causa prima" ist aber keineswegs das einzige Verfahren, in dem elektronische Beweismittel wie Handys oder Laptops eine zentrale Rolle spielen. Ganz im Gegenteil: Es passiert mittlerweile laufend, dass Ermittlerinnen und Ermittlern nach der Beschlagnahme von Datenträgern plötzlich einen unerwarteten Datenschatz in Händen halten, der weitere mutmaßliche Kriminalfälle ans Licht bringt.

Zugute kommt den Staatsanwaltschaften dabei, dass Handys und Laptops rechtlich als "Gegenstände" gelten. Sie können damit ähnlich wie Messer oder Gläser unter relativ einfachen Bedingungen sichergestellt und die gewonnen Daten ausgewertet werden. Anwältinnen und Anwälte sehen das höchst problematisch. Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag (Örak) fordert deshalb "tiefgreifende Reformen".

Mit aktuellen Ermittlungen habe der Vorschlag "keinen Zusammenhang", erklärte Anwaltspräsident Armenak Utudjian bei einer Pressekonferenz am Montag. Es bestehe generell dringender Reformbedarf. Die Strafprozessordnung stamme in diesem Punkt aus der "digitalen Steinzeit". Ähnlich sieht das die Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes, die im Auftrag der Anwaltskammer einen konkreten Reformvorschlag ausgearbeitet hat.

Strengere Voraussetzungen

Derzeit brauchen Behörden für Sicherstellungen weder eine richterliche Bewilligung, noch muss ein "dringender Tatverdacht" vorliegen, sagt Zerbes. Dazu kommt, dass Regelungen im Umgang mit sogenannten Zufallsfunden fehlen – wenn also Datenträger abseits der eigentlichen Untersuchung weitere Ermittlungen auslösen. Das alles stehe im Gegensatz zu den strengen Regeln bei der direkten Überwachung von Nachrichten oder Telefonaten.

Zerbes schlägt daher vor, die Regeln für die Sicherstellung von Datenträgern an jene der Nachrichtenüberwachung anzugleichen. Voraussetzung für Handy-Sicherstellungen wäre somit der "dringende Verdacht", dass die betroffene Person eine Straftat begangen hat, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet werden kann.

Zufallsfunde müssten – um verwertet werden zu dürfen – dieselben Voraussetzungen erfüllen. Zudem soll die Akteneinsicht von Mitbeschuldigten beschränkt werden können, soweit das deren Interessen "nicht beeinträchtigt". Damit könne auch das "Risiko einer medialen Verbreitung" und einer "über das Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinausgehenden Bloßstellung von Verdächtigen" minimiert werden, heißt es seitens der Kammer.

Dazu kommt aus Sicht von Zerbes ein weiteres Problem: Beschuldigte und ihre Verteidiger werden nach einer Sicherstellung derzeit nicht ausreichend darüber informiert, welche Daten die Behörden genau in Händen halten. Zum Akt, in den Beschuldigte Einsicht nehmen können, kommen nämlich nur jene Daten, die die Ermittler als strafrechtlich relevant erachten. Damit mangle es am "rechtlichen Gehör", kritisiert die Juristin. Beschuldigte sollen deshalb innerhalb kurzer Fristen genaue Kopien des gesamten Datenträgers erhalten.

Auswirkungen auf aktuelle Verfahren?

Auf die aktuelle Causa Ibiza/Casinos hätten die Neuregelungen kaum Einfluss gehabt, sagt Zerbes, die betont, dass sie sich bereits seit 2013 mit dem Thema beschäftigt. Handy-Sicherstellungen wären bei Straftaten, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind, nämlich weiterhin möglich – und das sei im aktuellen Verfahren praktisch durchgehend der Fall.

Auswirkungen hätten die Neuregelungen allerdings auf anderer Ebene: Beschuldigte hätten stets "transparent gewusst", welche Daten in den Händen der Behörden liegen. Zudem hätte eine Einschränkung der Akteneinsicht der Mitbeschuldigten wohl dazu geführt, dass weniger Details aus den Ermittlungen an die Öffentlichkeit gelangt wären.

Anwaltspräsident Utudjian will den Reformvorschlag nun an Justizministerin Alma Zadić (Grüne) weiterleiten und hofft auf eine rasche Umsetzung. Die Ministerin selbst hat sich im STANDARD-Interview zuletzt "gesprächsbereit" gezeigt, verwies jedoch darauf, dass sich Beschuldigte auch jetzt schon gegen Handy-Sicherstellungen bei Gericht wehren können. Die wichtigsten Anwendungsbereiche seien zudem organisierte Kriminalität, häusliche Gewalt und Kinderpornografie. "Diese Ermittlungen dürfen wir nicht gefährden", sagte Zadić.

Ähnlich argumentiert Bernd Ziska, Vizepräsident der Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. "Wir sind gesprächsbereit, in manchen Punkten wären Änderungen zeitgerecht, bei anderen sind wir skeptisch", sagt Ziska im STANDARD-Gespräch. "Der Fokus liegt jetzt stark auf großen Wirtschaftsverfahren, wir müssen aber alle Deliktsbereiche im Fokus behalten." Lasse man Handy-Sicherstellungen und Zufallsfunde etwa nur bei Delikten ab einem Jahr Freiheitsstrafe zu, wären gefährliche Drohung, Stalking oder Verleumdung nicht erfasst. Den Wunsch nach mehr Transparenz gegenüber Beschuldigten kann Ziska dagegen "nachvollziehen". (Jakob Pflügl, 21.11.2022)