Zwischen Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und seinem kroatischen Amtskollegen gibt es in Sachen Schengen-Beitritt Meinungsverschiedenheiten.

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Brüssel – Der grenzkontrollfreie Schengenraum gerät im 27. Jahr seines Bestehens im Zuge der ungelösten Asyl- und Migrationspolitik der EU immer stärker unter Druck. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hat am Freitag klargemacht, dass Österreich die von der EU-Kommission gewünschte Aufnahme von Kroatien, Bulgarien und Rumänien ablehnt.

Karner nannte das Schengensystem "funktionslos" und verwies auf 100.000 in Österreich aufgegriffene Migranten, davon 75.000 ohne Registrierung. In ähnlichen Worten hatte zuvor schon Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) der EU Systemversagen in der Migrationspolitik attestiert. Österreich sei – obwohl von Schengenländern umgeben – derzeit so vielen Asylanträgen wie nie ausgesetzt. "Wir sind Nummer zwei europaweit pro Kopf", sagte er. Bisher versuchte die Regierung die illegale Migration vor allem in direkter Kooperation mit Serbien und Ungarn einzudämmen.

Am kommenden Freitag treten die EU-Innenminister in Brüssel zusammen, um das heiße Eisen bei einem Sonderrat zu besprechen. Hintergrund ist eigentlich ein wieder hochkochender Streit zwischen Italien und Frankreich um die Migration. Die Regierung von Italiens ultrarechter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hatte sich geweigert, das Seenotrettungsschiff Ocean Viking mit 234 Migranten an Bord in einen Hafen einfahren zu lassen. Frankreich nahm das Schiff sowie ein Drittel der Menschen an Bord auf und warf Italien einen Verstoß gegen internationales Recht vor.

Kroatischer Innenminister zuversichtlich

Der kroatische Innenminister Davor Božinovic rechnet trotz der jüngsten Äußerungen Karners mit Unterstützung Österreichs für den kroatischen Schengenbeitritt. "Es passiert nichts Besonderes", sagte Božinovic am Samstagnachmittag und betonte, dass Wien Kroatien nicht als Problem sehe.

"Österreich hat von Anfang an die kroatische Mitgliedschaft im Schengen-Raum unterstützt, daran hat sich nichts geändert", sagte der Minister laut kroatischen Medien und betonte, am Freitag und Samstag mit Karner gesprochen zu haben. Božinovic fügte hinzu, dass Österreich zu jenen Ländern gehöre, die vom kroatischen Schengenbeitritt am meisten profitieren würden.

Der kroatische Innenminister sieht Karners Aussage im Kontext der stark gestiegenen irregulären Migration. Beide Länder haben laut Božinovic Sorgen bezüglich der Westbalkanroute. Es sei eine Tatsache, dass die Zahl der illegalen Migranten auf allen Routen, insbesondere entlang der östlichen Mittelmeerroute zugenommen habe. Was jedoch Österreich angehe, komme "die große Mehrheit" der illegalen Migranten nach Österreich nicht über Kroatien, sondern über Serbien und Ungarn, sagte er.

Beitritt von Kroatien, Rumänien und Bulgarien

Karner will bei dem Sonderrat das Gesamtproblem mit Schengen ansprechen. Dem Vernehmen nach laufen derzeit im Hintergrund intensive diplomatische Kontakte zwischen Brüssel und den drei potenziellen Schengen-Beitrittsländern. Der tschechische Ratsvorsitz hat die Schengen-Erweiterung zu einer seiner obersten Prioritäten gemacht und will im Rahmen des EU-Innen- und -Justizministertreffens Anfang Dezember darüber abstimmen lassen. Die Erweiterung bedarf Einstimmigkeit unter den Schengenstaaten, auch das Europaparlament müsste zustimmen.

Rumänien und Bulgarien warten seit ihren EU-Beitritten 2007 auf grünes Licht für Aufnahme in den Schengen-Raum. Lange waren die Korruption und Mängel in der Rechtsstaatlichkeit sowie der entsprechende EU-Überwachungsmechanismus das größte Hindernis für Bukarest und Sofia. Erst im Oktober hat sich das niederländische Parlament gegen die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien in den Schengen-Raum ausgesprochen.

2019 hatte zuletzt der damalige EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker eine Schengen-Erweiterung um Rumänien gefordert. "Es ist höchste Zeit, sie aufzunehmen", forderte nunmehr die EU-Kommission in Hinblick auf Kroatien, Rumänien und Bulgarien. Slowenien kündigte umgehend die Einführung von Grenzkontrollen zu Kroatien an, sollte dies zur Eindämmung von Migration erforderlich sein, wie Außenministerin Tanja Fajon sagte.

Grenzkontrollen wieder eingeführt

Wegen Migration und Terrorgefahr haben Österreich, Deutschland, Frankreich, Schweden, Dänemark, Norwegen und zuletzt auch Tschechien Grenzkontrollen zu ihren Nachbarn eingeführt und sukzessive verlängert. Österreich hat seine Grenzkontrollen im September erweitert: Neben der Grenze zu Slowenien und Ungarn wird seither auch wieder zur Slowakei kontrolliert. Ljubljana wehrt sich gegen die seit Jahren bestehenden österreichischen Kontrollen an seiner nördlichen Schengen-Binnengrenze, die Slowakei zeigte sich ebenso wenig erfreut. Auch während der Corona-Pandemie haben die Staaten – teils unkoordiniert – ihre Grenzen geschlossen und damit den Warenverkehr erheblich behindert.

Das Schengener Abkommen hat seinen Namen von der luxemburgische Winzergemeinde Schengen an der Mosel. Dort unterzeichneten am 14. Juni 1985 Belgien, Frankreich, Deutschland, Luxemburg und die Niederlande das erste solche Übereinkommen ("Schengen I"). Österreich schloss sich dem Abkommen am 28. April 1995, vier Monate nach dem EU-Beitritt, an. Die Grenzbalken zu den damaligen EU-Nachbarn Deutschland und Italien gingen erst im April 1998 in die Höhe, nachdem es insbesondere in Bayern Sicherheitsbedenken gegeben hatte.

Jahrelang ist der Schengenraum weiter gewachsen. Heute zählen neben den Gründungsmitgliedern und Österreich auch Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Italien, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Portugal, Schweden, die Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien und Ungarn dazu – ebenso die nicht zur EU gehörenden Staaten Schweiz, Liechtenstein, Island und Norwegen. (APA, red, 21.11.2022)