Conni ist ein Musterkind in einer Musterfamilie – und auch in diesen Erzählungen steckt Ideologie.

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Wer kennt sie nicht, die Conni. Was für ein Musterkind, was für Mustereltern. Es gibt unzählige Teile der Reihe "Meine Freundin Conni". Als Buch, Hörspiel, Serie – und unzählige Kinder, vorwiegend wohl Mädchen, begleiten Conni jahrelang bei ihren Abenteuern, die im Kindergartenalter beginnen und bis ins präpubertäre Alter gehen. Wobei "Abenteuer" zu hoch gehängt ist, denn bei Conni ist alles ziemlich vorhersehbar. Zudem entspricht wirklich alles an Conni einem Familienideal, das direkt aus den 1950er-Jahren kommen könnte. Papa kommt zum Abendessen heim, in der Hörspielvariante gibt es einen kleinen Schmatzer für Mama, wenn er heimkommt. Conni hat auch einen etwas jüngeren Bruder, beide sind unfassbar artig, Einfamilienhaus, Garten, Kätzchen, Kindergarten nur bis Mittag, und so weiter.

Niemand käme auf die Idee, sich über die "Indoktrinierung" durch Conni aufzuregen. Warum auch? Ist doch völlig ideologiebefreit, oder? Eben nicht, und das ist auch ziemlich offenkundig. Es ist eine konservative Ideologie, die ein bestimmtes Ideal von Familie vermittelt. Ganz einfach eigentlich – und doch für viele völlig unsichtbar. Doch was ist es dann als Ideologie, wenn in einer Erzählung die Mama immer ein bisschen mehr da ist als der Papa? Wenn sie eine völlig illusorische Eselsgeduld hat, ständig lächelt und kein anderes Lebensmodell weit und breit existent ist? Hochsensibel für Ideologie sind viele hingegen, wenn sich eine Geschichte – insbesondre eine für Kinder – von diesen Bildern wegbewegt. Wenn sich eine Erzählung vom Familienidyll und Geschlechterbilder à la Waltons entfernt, ja, dann ist Feuer am Dach.

Sexualität? Unwichtig

So wie bei "Bruno will hoch hinaus", einem neuen Kinderbuch, das kindgerecht erklärt, wie das so ist mit dem Penis, was er kann und warum. Es ist das Nachfolgebuch von "Lina – die Entdeckerin", in dem es um die Vulva geht, welche Namen es für sie gibt und wie unterschiedlich nackte Körper aussehen. Sich mit dem eigenen Körper wohlfühlen, über ihn Bescheid wissen – nicht zuletzt, um zu wissen, was man möchte, was sicher nicht – und so Grenzen, aber auch Möglichkeiten für sich selbst erkennt. Selbstsicher über etwas reden, worüber viele Erwachsene noch immer herumnuscheln.

Lächerlich! Das findet jedenfalls ein Autor der "Süddeutschen Zeitung". Rollenbilder und der Umgang mit dem eigenen Körper vergleicht dieser mit dem Herbeireden von Problemen wie "Midlife-Crisis, Inkontinenz, Demenz oder Altersdepression". Sexualität beginnt demnach also irgendwann zwischen Midlife-Crisis und Altersdepression. Zwar weiß jede:r, dass das Unfug ist, aber sobald etwas mit Transgeschlechtlichkeit oder Genderrollen vorkommt, sitzt das Argument "zu viel des Guten" locker.

Weniger hämisch, stattdessen mit einer ordentlichen Portion Alarmismus betrachtet es eine Autorin der "NZZ", die meint, vor dem Einzug der "Gender-Besessenheit in der Pädagogik" warnen zu müssen. Auch hier muss "Bruno" als Corpus Delicti herhalten. Gender-Besessenheit ist es also dann, wenn ein Ausbruch aus traditionellen Rollenbildern und Vorstellungen von Sexualität versucht wird. Und wenn diese Vorstellungen einzementiert werden, was ist es dann? Dann hat das offenbar nichts mit Gender zu tun. Aber womit denn sonst, wenn wir Märchen von zahllosen Prinzen vorlesen, die – natürlich ohne zu fragen – ein Mädchen – natürlich meist aus einer "niederen Klasse" – heiraten. Wenn ebendiese Prinzen ihre Liebe nur entlang der Schönheit dieses Mädchens entdecken und dieses Mädchen natürlich kaum spricht, gütig und sanft sein muss. Hat das nichts mit Gender-Besessenheit zu tun? Ist das dann einfach der Lauf der Welt?

Besessen, aber wovon?

Die Erzählung, dass alle Mädchen heiraten wollen, noch dazu einen, den sie nicht kennen, wie in vielen Märchen – damit können sich Vierjährige also getrost beschäftigen. Aber dass nicht alle Menschen heterosexuell sind oder eine Vulva oder ein Penis nicht für alle Menschen bedeutet, als Frau oder als Mann leben zu wollen? Oh mein Gott! Für die Autorin der "NZZ" ist das eine "gesellschaftliche Obsession mit Sex und Gender", die Kinder nicht ausnehme. Nun, besessen, vielleicht – aber fragt sich nur, wovon.

Wer dieser Tage wegen Weihnachten durch die Kinderbuchabteilungen, durch Spielzeuggeschäfte streift, kann sich ja einmal die Frage nach der "Gender-Besessenheit" stellen und wird sehen: Kinderbücher, in denen Eltern nicht (mehr) zusammenleben oder in denen es auch nur eine homosexuelle Person gibt – all das läuft noch immer unter Special Interest und ist sicher kein Mainstream. Die Skandalisierungen von allem, was neue Bilder von Familie, Sexualität und Gender wagt, kann man also einfach mal lassen. (Beate Hausbichler, 23.11.2022)