Es gibt zu viele Nischendüfte, meint der Unternehmer Frédéric Malle.

Foto: Brigitte Lacombe

Stahlblauer Anzug mit passendem Einstecktuch – formvollendet sitzt Frédéric Malle auf der Terrasse einer Pariser Galerie. Er wirkt weltgewandt und doch sehr pariserisch, ganz der moderne Dandy. Der 60-Jährige ist der Neffe des Filmemachers Louis Malle, seit 22 Jahren lädt er Starparfümeure ein, für seine Luxusparfummarke Editions de Parfums Düfte zu kreieren.

STANDARD: Sie sind in Paris geboren und leben heute in New York. Wie unterscheiden sich die Gerüche der beiden Städte?

Malle: Wenn ich an den Geruch von New York denke, dann an den in der U-Bahn und der vielen Menschen dort. Die Pariser Metro riecht vollkommen anders.

STANDARD: Warum ist das so?

Malle: In New York gibt es Ratten und Müll, in Paris nicht. In der Metro riecht es stark nach Haut, teilweise wird die U-Bahn sogar parfümiert.

STANDARD: Wie hat sich der Geruch von Bars verändert, seit dort nicht mehr geraucht werden darf?

Malle: Diese Orte sind geruchsloser geworden. Erinnern Sie sich noch, wie sehr Haare und Kleidung früher nach Barbesuchen nach Zigaretten gestunken haben? Jetzt riecht man die Parfums besser, ich vermisse die verrauchten Bars nicht. Ich bevorzuge sowieso den Geruch von Zigarren, die Zigaretten habe ich aufgegeben.

STANDARD: Hatten Sie in den vergangenen Jahren Angst, den Geruchssinn aufgrund von Covid zu verlieren?

Malle: Natürlich, den Geruchssinn zu verlieren und dann möglicherweise nicht vollständig wiederzuerlangen wäre das Schlimmste. Das wäre wie ein Klavier, das nicht funktioniert und einfach nur herumsteht.

STANDARD: Wie lange braucht es, um ein guter Parfümeur zu werden?

Malle: Lange, manche schaffen es nie. Es gibt verdammt viele schlechte Parfümeure!

STANDARD: Wie kann man seinen Geruchssinn trainieren?

Malle: Man sollte aufmerksam und interessiert durch die Welt gehen, seine Umgebung wahrnehmen. Es gibt ja nicht allzu viele, die eine professionelle Nase werden möchten. Aber Menschen, die sich mit Parfums besser auskennen wollen, empfehle ich, erst die Parfums zu kategorisieren und in einem nächsten Schritt die Unterschiede zwischen Düften derselben Kategorie herauszufinden.

Der Parfümeur Maurice Roucel ist für "Uncut Gem", die neueste Ergänzung der Edition, verantwortlich. Er hat im Jahr 2000 den ersten Duft für die Editions de Parfums kreiert.
Foto: Hersteller

STANDARD: Sie haben für Ihre Editionen mit Frauen wie Sophia Grojsman, meist aber mit männlichen Parfümeuren wie Maurice Roucel zusammengearbeitet. Warum?

Malle: Ich schere mich nicht darum, ob ich mit Männern oder Frauen kooperiere. Dafür, dass die Parfumindustrie männlich dominiert ist, gibt es historische Gründe. Die Ursprünge der Parfumindustrie liegen in Grasse: Ähnlich wie in Süditalien herrschten im Süden Frankreichs traditionelle Geschlechterrollen vor: Die Frauen arbeiteten weniger, die Männer waren oft echte Machos. Parfums zu kreieren war also ein Männerjob.

STANDARD: Es gab Ausnahmen, richtig?

Malle: Unabhängig davon gab es immer interessante Parfümeurinnen, die sich in der Männerwelt behauptet haben. So wie die Pariserin Germaine Cellier, die in den 1940er- und 1950er-Jahren aktiv war. Sie war ein echtes Genie und eine der Besten ihrer Zunft. Als die Parfumwelt sich öffnete und internationaler wurde, wurden Frauen immer präsenter. Eine ganze Generation an Parfümeurinnen wie Sophia Grojsman, Annick Menardo, Olivia Giacobetti oder Anne Flipo betrat das Parkett.

STANDARD: Wie unterscheidet sich die jüngere von der älteren Generation an Nasen?

Malle: Ich habe bislang mit drei Generationen zusammengearbeitet. Da gibt es jene Parfümeure, die etwas älter als Maurice Roucel sind und mich ins Business eingeführt haben. Sie haben charakterstarke Düfte geschaffen. Dann gibt es die zwischen 40 und 50 plus, die ich die verlorene Generation nenne. Sie arbeiten vor allem für die Marketingleute und machen die immer selben Düfte, die vor allem eines können müssen: Sie sollen sich möglichst gut bei Kosmetikketten wie Sephora verkaufen. Das ist schade. Jetzt aber gibt es eine junge, technisch sehr gut ausgebildete Generation. Diese Leute waren vielleicht zehn Jahre alt oder sogar jünger, als ich mein Unternehmen gegründet habe. Sie sind mit unseren Düften und den Klassikern genauso wie mit dem Zeug von Sephora aufgewachsen, allerdings sind sie unheimlich ambitioniert. Jetzt bin wohl ich der alte Typ.

STANDARD: Heute gibt es unzählige Nischendüfte. Was halten Sie davon?

Malle: Ganz ehrlich, es gibt mittlerweile viel zu viele! Erst einmal aber bin ich froh, dass das Interesse an Parfums wiedererwacht ist. Die Menschen hatten mit einigen Ausnahmen lange die Wahl zwischen ständig neuen, nicht sonderlich interessanten Düften, Klassikern und wenigen Nischenparfums. Vor einiger Zeit haben nun die Marketingmenschen die Nische gekapert und versuchen auch da Geld zu machen.

STANDARD: Das macht die Sache kompliziert ...

Malle: Richtig, aber was soll’s. Düfte werden nun auch öffentlich bewertet, die Menschen können sehr wohl zwischen Bullshit und guten Produkten unterscheiden. Ich habe in den vergangenen 20 Jahren viele Parfumhäuser kommen und gehen sehen, letztlich setzen sich die besten durch.

STANDARD: Reden Sie Ihren Parfümeuren hinein?

Malle: Sagen wir so: Eine solche Zusammenarbeit muss Spaß machen. Der Parfümeur Dominique Ropion, mit dem ich immer wieder kooperiert habe, hat mal was Schönes gesagt: Wir schonen einander nicht. So ist das auch mit Maurice Roucel. Wir können ehrlich miteinander kommunizieren. Es ist wichtig, dass es keine Missverständnisse zwischen uns gibt. (Anne Feldkamp, RONDO, 1.12.2022)