Die Protestaktion beim Klimt-Gemälde im Leopold-Museum hat weltweit viel Aufmerksamkeit ausgelöst. Der Schaden war hingegen sehr gering.

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Sie kleben sich fest, schütten Tomatensuppe über (mit Glas bedeckte) Kunst oder blockieren Straßen im Morgenverkehr: Um auf ihr Anliegen für einen besseren Klimaschutz aufmerksam zu machen, reizen Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation vermehrt ihren rechtlichen Spielraum aus – oder gehen gar darüber hinaus. Bloße "Lästigkeiten" wie eine verschmutzte Glasscheibe vor einem Bild sind strafrechtlich freilich nicht relevant. Wer aber Bilder(rahmen) beschädigt oder sich auf Straßen klebt, sodass Rettungswagen blockiert sind, macht sich mitunter strafbar.

Als Teil ihres "zivilen Ungehorsams" überschreiten Aktivistinnen und Aktivisten diese strafrechtlichen Grenzen bewusst – oder behaupten, dass das Ziel des Klimaschutzes die Aktionen rechtfertigt. Und tatsächlich: Erst kürzlich entschied ein deutsches Strafgericht (nicht rechtskräftig) in diesem Sinne. Das Amtsgericht Flensburg sprach einen 41-Jährigen frei, dem Hausfriedensbruch vorgeworfen wurde, weil er gemeinsam mit anderen einen Wald besetzte.

Kann das Argument der Meinungsfreiheit also wirklich dazu führen, dass Straftaten gerechtfertigt sind? Die kurze Antwort: Es kommt stark auf den Einzelfall an; bei Sachbeschädigungen oder bei der Blockade von Rettungsgassen lehnen Fachleute einen sogenannten Rechtfertigungsgrund aber eher ab.

Schweinemast und Ibiza

Die Frage, ob nicht nur klassische Notwehr, sondern auch Grundrechte wie die Meinungsfreiheit Straftaten rechtfertigen können, ist in der Praxis immer wieder relevant. In Deutschland wurden etwa Aktivistinnen und Aktivisten wegen Hausfriedensbruchs angeklagt, weil sie illegal in einem Schweinemastbetrieb fotografiert hatten. Das Gericht sprach sie allerdings frei: Die Aktivisten mussten die Fotos machen, um Missstände aufzudecken, weil Behörden jahrelang wegsahen. Eine andere Möglichkeit, als in den Betrieb einzubrechen, habe es nicht gegeben.

Ähnlich war die Situation beim Ibiza-Video: Die Journalistinnen und Journalisten, die das Material veröffentlichten, taten dies zwar illegal, die Staatsanwaltschaft stellte ein Verfahren gegen sie aber ein: An der Veröffentlichung habe es ein "öffentliches Interesse" gegeben. Die österreichischen Gerichte haben diese Entscheidung der Behörden mit Verweis auf die Meinungsfreiheit letztlich bestätigt.

Rechtfertigungen aus "öffentlichem Interesse" kommen in der Praxis also immer wieder vor. Ob das "öffentliche Interesse" überwiegt, muss jedoch immer im Rahmen der "Verhältnismäßigkeit" geprüft werden. Dabei stellen sich Richterinnen und Richter vor allem zwei Fragen: Gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der Straftat und dem öffentlichen Interesse? Und: Ist die Begehung der Straftat das notwendige Mittel, um das Ziel zu erreichen?

Im Fall von Schweinezucht und Ibiza-Video haben die Gerichte beide Fragen bejaht. Wenn die Aktivistinnen nicht in den Stall eingebrochen wären, hätten sie nicht die Fotos machen können. Wenn die Journalisten nicht das Ibiza-Video veröffentlicht hätten, hätte sich die Öffentlichkeit kein Bild davon machen können.

Kulturgut überwiegt Aufmerksamkeit

Im Fall von beschädigten Bilder(rahmen) ist die Situation jedoch eine andere. Es besteht zwischen dem Bild und dem Ziel, Aufmerksamkeit zu erregen, nämlich kein "Sachzusammenhang". Anders formuliert: Die Rechtsgüter, die gegeneinander abgewogen werden, sind nicht das Gemälde und der Klimaschutz, sondern das Gemälde und die Aufmerksamkeit. Und in der Abwägung zwischen Gemälde und Aufmerksamkeit überwiegt wohl das Kulturgut. Dazu kommt, dass die Aufmerksamkeit, die durch die Aktionen erregt wird, oftmals Ablehnung produziert und damit ihr eigentliches Ziel konterkariert.

Letztlich mangelt es auch an der Notwendigkeit der Aktionen. Es gibt schließlich andere Möglichkeiten, auf Klimaschutz aufmerksam zu machen – etwa über friedliche Demos und Schulstreiks, wie das zu Beginn der Fridays-for-Future-Bewegung der Fall war. (Jakob Pflügl, 22.11.2022)