Die Spieler des Iran schwiegen beim Abspielen der Nationalhymne aus Protest gegen das Regime.

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Jude Bellingham (links) und Bukayo Saka (rechts) haben England in Führung gebracht, Saka hat dann auch noch das zwischenzeitliche 4:0 erledigt.

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Eine Verletzung von Iran-Goalie Alireza Beiranvand sorgte für eine längere Unterbrechung.

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Beeindruckender Start der Three Lions in Katar.

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Iraner können sehr laut sein. Nolens volens lernte man das Montagnachmittag in Dohas U-Bahnen und im Khalifa International Stadium – zumindest bis zum zweiten oder dritten Treffer, den Englands Three Lions dem Iran auf dem Weg zu einem ungefährdeten 6:2 einschenkten.

Iraner können auch sehr still sein. Nämlich dann, wenn sie zu elft auf dem Rasen stehend zu ihrer Nationalhymne schweigen, während Regierungsschergen in der Heimat Protestierende töten und foltern. Die Mehrheit der Fans handhabte die Hymne eindeutiger: Sie schrien, zeigten Peace-Zeichen und gestikulierten ablehnend. Auf den Rängen waren wenige Frauen, aber noch viel weniger Kopftücher und zahllose Solidaritätsbekundungen auf T-Shirts und Flaggen zu sehen. Standardmessage: "Women, Life, Freedom".

Immer wieder gab es "Bisharaf"-Sprechchöre gegen das Regime, auch die Mannschaft durfte sich gelegentlich etwas anhören. Nur wenige Kicker haben sich bisher klar von den Mullahs distanziert. Englands Kapitän Harry Kane hätte auch gerne protestiert, und zwar gegen die Diskriminierung von LGBTQI-Personen. Die Fifa hatte etwas dagegen. Immerhin durften die Three Lions gegen Rassismus auf das Knie gehen.

Ticketchaos

Auch im zweiten Match der WM waren leere Plätze lange das dominierende Motiv. Waren am Vortag noch zu Zehntausenden verfrüht abzischende Katarer der Grund, schlug diesmal die Fifa-App zu. Nach einem Update verschwanden E-Tickets über Nacht, Fans sollten sie nun vor Ort per QR-Code drucken. Das dafür zuständige "Ticket Resolution Center" war gegen die Massen aber chancenlos. Laut Augenzeugen durften Fans schließlich ohne Ticket ins Stadion, in den Minuten vor dem Anpfiff schafften es auch die Letzten auf ihre Plätze.

Dann wurde Fußball gespielt, und zwar hauptsächlich englischer. Das Rezept der Wahl waren Flanken, eine solche führte nach zehn Minuten zu einer grausigen Szene. Goalie Alireza Beiranvand faustete einen Ball weg und prallte mit dem Gesicht in einen Mitspieler. Manche Gehirnerschütterungen kann man ferndiagnostizieren. Dass Beiranvand nach minutenlanger Unterbrechung noch kurz spielen durfte, war medizinischer Irrsinn. Er ging wieder zu Boden und wurde abtransportiert.

Ersatzmann Hossein Hosseini sollte nicht fad werden. Die erste Parade des 30-Jährigen wurde von den iranischen Sektoren frenetisch bejubelt. Bei Harry Maguires Kopfball rettete die Latte (32.). Gegen Jude Bellinghams Köpfler in der 35. Minute war nichts zu machen, der war schlicht perfekt. Gleiches galt für Bukayo Sakas Halbvolley, der via Lattenunterkante einschlug (43.). Die Iraner waren kaum mit dem Protestieren fertig – Maguire hatte sich bei seiner Kopfballvorlage minimalst aufgestützt –, da schepperte es schon wieder. Hereingabe Kane, Raheem Sterling war in der Mitte unbewacht und versenkte den Ball per Kung-Fu-Kick. Es stand 3:0, ehe die 14-minütige Nachspielzeit begonnen hatte. In dieser vergab Alireza Jahanbakhsh aus zwölf Metern, sonst blieb der Außenseiter offensiv unsichtbar.

Halbzeit zwei änderte daran wenig. Saka bekam im Strafraum nur Geleitschutz und bedankte sich mit dem 4:0 (62.), nach einem herrlichen Gholizadeh-Assist schoss Mehdi Taremi das Ehrentor (65.). Auch Maguire musste benommen raus, dann war wieder England dran: Marcus Rashford traf keine Minute nach seiner Einwechslung, ein simpler Haken hatte ihm freie Schussbahn verschafft (71.).Irans Serdar Azmoun bekam bei seiner Einwechslung Sonderapplaus, seine Unterstützung der Proteste hätte ihn fast die WM-Teilnahme gekostet. Der Leverkusen-Profi erlebte das 6:1 von Jack Grealish, traf selbst die Latte und sah noch Taremi einen Elfer zum Endstand vollenden. (Martin Schauhuber aus Doha, 21.11.2022)

Fußball-WM in Katar, Gruppe B (1. Runde):

England – Iran 6:2 (3:0). Al Rayyan, Khalifa International Stadium, SR Raphael Claus (BRA).

Tore:
1:0 (35.) Bellingham
2:0 (43.) Saka
3:0 (45.+1) Sterling
4:0 (62.) Saka
4:1 (65.) Taremi
5:1 (71.) Rashford
6:1 (90.) Grealish
6:2 (103.) Taremi

England: Pickford – Trippier, Stones, Maguire (70. Dier), Shaw – Bellingham, Rice – Saka (70. Rashford), Mount (70. Foden), Sterling (70. Grealish) – Kane (75. Wilson)

Iran: Beiranvand (20. Hosseini) – Moharrami, Pouraliganji, Cheshmi (46. Kanaanizadegan), Hosseini, Mohammadi (63. Torabi) – Jahanbakhsh (46. Gholizadeh), Noorollahi (77. Noorollahi), Karimi (46. Ezatolahi), Hajsafi – Taremi

Gelbe Karten: Alireza Jahanbakhsh, Morteza Pouraliganji