Im Gastblog analysiert Bernhard Jenny die Regierungsarbeit und geht der Frage nach, welchen Motiven die gewählte Vertretung denn eigentlich folgt.

Vom Versagen ist nicht erst in den letzten Wochen seit dem Bekanntwerden der Geständnisse von Thomas Schmid die Rede. Versagen ist scheinbar der zweite Vorname der türkisgrünen Regierung. Natürlich soll auch nicht vergessen werden, dass es Entwicklungen gibt, die wohl kaum bei anderer Besetzung möglich geworden wären: Alma Zadić hat tatsächlich dafür gesorgt, dass die Justiz unabhängig agieren konnte, was augenscheinlich bis dato nicht immer der Fall war und auch jetzt noch nicht wirklich immer der Fall sein dürfte.

Ist ein vergoldetes Klavier tatsächlich das beste Symbol für Parlamentarismus?
Foto: www.istockphoto.com/de/portfolio/brunohaver

Es bräuchte keinen vergoldeten Klavierflügel, keine süffisanten "kein Korruptionsproblem"-Sager der Türkisen, es bräuchte weder Schimpftiraden oder hämisches Grinsen in die Kamera: vielen, die die Politik in unserem Land aktiv verfolgen ist am verzerrten Gesichtsausdruck die pure Verzweiflung über die Mängel, über den Pfusch, über die unprofessionelle Arbeitsweise in weiten Teilen der Regierung anzusehen.

Politikverdrossenheit, Verlust jeglichen Vertrauens in Politikerinnen und Politiker ganz allgemein, offensichtliche Ungleichbehandlung von jenen, die immer schon gleicher als die Gleichen waren, Wut und Zorn auf politische Institutionen und deren öffentliche Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger – das sind die immer deutlicher werdenden Ergebnisse des Versagens.

Ist es wirklich Versagen oder gar das Gegenteil?

Wir erleben eine Rücknahme vieler als gesichert geglaubten Standards in unserer Gesellschaft. Die Sprüche vom Sozialstaat, den wir uns irgendwann nicht mehr leisten können, wurden geglaubt. Die versickerten Gelder, die Kürzungen zugunsten anderer wurden oft als Beleg wahrgenommen, dass tatsächlich zu wenig Geld da wäre, dabei bekamen es eben nur andere.

Ob im Bereich Bildung, Wissenschaft, Pflege und soziale Sicherheit: die allgemeinen Standards, die seit der Mitte des letzten Jahrhunderts hart erkämpft und erarbeitet wurden, werden Makulatur. Für die breiten Bevölkerungsschichten werden Standards zurückgenommen, die wohlbetuchten Eliten können es sich ohnehin richten.

Die oberere Mittelschicht wird zur mittleren oder unteren Mittelschicht, die ärmeren Menschen werden zu noch ärmeren Menschen. Damit das nicht allzu heftig in Widerstand gegen die Regierung übergeht, braucht es Feindbilder und Ablenkung. Geflüchtete Menschen in kalten Zelten sind da geradezu ideal: einerseits wird optisch vorgegaukelt, es wären so unglaublich viele da, dass es keinen Platz mehr in vier Wänden, sondern nur noch in Zelten gäbe, andererseits können sich Menschen, die ihre Heizung kaum mehr zahlen können, sich damit trösten, dass es noch ärmere Schweine in unserem Land gibt, die in Zelten frieren müssen. Das bringt mental schon ein paar Grad.

Was von der Demokratie bleibt

Als Instrument für demokratische Entscheidungen wäre das Parlament eine passende Erfindung. Doch wenn ein Ex-Kanzler schon mal offen zugibt, dass ihm das Parlament nie wirklich ein angenehmer Arbeitsplatz war, dann ist das Entkräften der Fundamente unserer Gesellschaftsordnung nicht mehr weit. Da kann dann schon mal ein Nationalratspräsident die parlamentarische Untersuchung gegen seine eigene Partei selbst leiten, da kann einem auch nach diversen Chats, wo von "Huren der Reichen" die Rede war, ein vergoldetes Klavier als tragfähiges Symbol für Parlamentarismus einfallen.

Da wird dann plötzlich der Versuch, allen Ernstes die europäische Menschenrechtskonvention in ihrer Wirkmacht zu beschneiden, anstelle sie auszubauen, beinahe logisch erklärbar. Die Gleichheit ist es, die nicht mehr – auch nicht im fernen Ideal – gelten soll. Ist es das?

Auch wenn es vieles, sehr vieles am Verhalten der Grünen zu kritisieren gibt: erfunden haben die klandestinen Ziele der politischen Rücknahme wesentlicher Standards sicher nicht die Grünen. Dass sie sehenden Auges mitspielen, ist eines der Rätsel dieser Regierung. Manche meinen, es wäre alles noch viel schlimmer und fernab von Aufklärung, wenn sie nicht "mit dabei" wären. Möglich. Aber es endet vermutlich trotzdem in der politischen Selbstopferung.

Das fragwürdige Ziel der Regierung

Wenn nun die oben formulierten Befürchtungen stimmen, dass es nämlich wesentlichen Kreisen in unserem Land in Wirklichkeit um die nachhaltige Schwächung der Demokratie, die Rücknahme politischer, sozialer, rechtlicher und wissenschaftlicher Standards, auch in der Bildung, geht, dann wäre die Leistungsbilanz dieser Regierung, gemeinsam mit türkisblau als Vorspann, eine sensationell erfolgreiche. Ist Türkis-Grün die effizienteste Regierung seit Jahrzehnten? (Bernhard Jenny, 28.11.2022)

Weitere Beiträge im Blog