Menschenmassen schoben sich punschglücklich und keksbeseelt aneinander vorbei. Das einstöckige Retro-Karussell in der Mitte des Rathausplatzes drehte sich mit leuchtenden Kinderaugen im Kreis. Und Besucherinnen und Besucher, die wohl erstmals mit Schlittschuhen auf Eis unterwegs waren, sorgten auf den künstlich angelegten Pfaden durch den Rathauspark für so manche Slapstick-Einlage. Der Christkindlmarkt vor dem vorweihnachtlich beleuchteten Rathaus war am vergangenen Eröffnungswochenende wieder ein Besuchermagnet wie vor der Corona-Pandemie.

Bei der aktuellen Ausgabe fällt aber auf, dass es für die tausenden Besucher pro Tag mehr Freiflächen zum Verweilen gibt als früher: Statt 152 Marktstandln wie 2019 sind es diesmal um ein Drittel weniger. Und die Preise für Maroni (gesehen um drei Euro für sechs Stück) und Punsch (ab 4,50 Euro exklusive vier Euro Pfand) sind nicht gerade günstig.

Mehr als bisher ist der zentrale Weihnachtsmarkt – mit Ringelspiel, Riesenrad, Eislaufflächen und auch einem Rentierzug – ein Event, ein Großereignis. Dafür zeichnet das Stadt Wien Marketing verantwortlich, das erstmals die Vergabe der Stände organisiert hat. Auch sonst ist die zu 100 Prozent im Eigentum der Stadt befindliche Event-Gesellschaft umtriebig und organisiert unter anderem den großen Eistraum am Rathausplatz, den Silvesterpfad oder auch das sommerliche Film-Festival mit zahlreichen Gastroständen.

Verein organisierte Vergabe

Beim Christkindlmarkt hatte die Aufgabe der Standvergabe zuvor der 2005 gegründete SPÖ-nahe "Verein zur Förderung des Marktgewerbes" (VzFM) von der Stadt übertragen bekommen. Vor allem bei Gastroständen ist es da in der Vergangenheit aber zu "umstrittenen Vergaben" gekommen, wie Neos-Marktsprecher Markus Ornig sagte. Diesmal habe eine Kommission für eine transparente Vergabe gesorgt.

Diese besteht aus Vertreterinnen und Vertretern der Stadt, der Wirtschaftskammer, der Wirtschaftsagentur, des Tourismusverbands, der Marktkoordination und der Stadt Wien Marketing als Veranstalterin des Marktes. Konkret seien laut der Event-Gesellschaft 360 Bewerbungen fristgerecht eingetrudelt. Ausgewählt wurden 97 Bewerberinnen und Bewerber nach einem Kriterienkatalog. Ausschlaggebend waren Preis-Leistungs-Verhältnis, Produktangebot, Umweltfreundlichkeit, fair gehandelte und regionale Produkte oder auch Attraktivität des Standls. Der Stadt zufolge gibt es 20 Gastro-Standplätze.

Der Christkindlmarkt auf dem Rathausplatz hat seit Samstag geöffnet.
Foto: APA / Photonews.at / Georges Schneider

Begehrte öffentliche Plätze

Das Griss um die lukrativen Standplätze auf öffentlichem Grund ist aufgrund des Andrangs trotz knackiger Mieten riesig. Die Event-Gesellschaft rechnet mit Einnahmen von rund 2,8 Millionen Euro. Angaben zu den Kosten sind aber "zum derzeitigen Zeitpunkt nicht möglich", heißt es. Andererseits können vor allem Stände mit Punsch und Glühwein mit hohen Umsatzzahlen rechnen.

Zwei Drittel aller knapp 100 Plätze gingen an Standler, die bereits in vergangenen Jahren ihre Waren auf dem Rathausplatz angeboten haben. Die Auswahl von einem Drittel neuer Betreiberinnen und Betreiber sowie die deutliche Reduktion der Standplätze führten auch dazu, dass zahlreiche Traditionsstandler keine Plätze mehr zugewiesen bekamen.

Die Zahl der Marktstände wurde im Vergleich zu vor Corona um gleich ein Drittel auf knapp 100 reduziert.
Karl Schöndorfer / Toppress

Wenig überraschend reagierten Ex-Standler frustriert auf den Wegfall des guten Geschäfts, sie fühlen sich "verraten". Einige leer ausgegangene Betreiber machten am Samstag vor dem Burgtheater bei der Eröffnung des Marktes aus ihrem Unmut keinen Hehl. Sie haben sich zur Initiative "Rettet den Christkindlmarkt" zusammengeschlossen. Der Stadt und dem zuvor zuständigen VzFM-Obmann Akan Keskin werfen sie in einem Schreiben Korruption und Amtsmissbrauch vor, der Wiener Wirtschaftskammer Untätigkeit.

"Das Rathaus arbeitet wie Amazon, zuerst lassen sie die Kleinen jahrelang alles aufbauen, und dann nehmen sie es ihnen weg", sagt Mitorganisatorin Jaqueline Horvath zum STANDARD. Für den 8. Dezember kündigte sie eine weitere Kundgebung an. "Wir wollen die Leute informieren, mit welchen Methoden die Stadt arbeitet." Zuspruch sei da, sagt Horvath, mehr als 500 Personen hätten die Petition bereits unterschrieben. Auf der Website liegt der Zählerstand bei 323.

Reaktionen von Stadt und Kammer

Bei der Stadt Wien Marketing verweist man auf das Auswahlverfahren samt Kommission und kündigt an, rechtliche Schritte gegen die Initiative zu prüfen. Hinter vorgehaltener Hand heißt es zudem: "Es gibt keine Erbpacht auf einen Stand." Es ist nicht der erste Konflikt: Michael Draxler, einer der Geschäftsführer, hatte zuvor schon öffentlich gemacht, dass ein Ex-Standbetreiber nach Drohungen gegen einen Mitarbeiter der Stadt Wien Marketing mit einem Betretungs- und Annäherungsverbot belegt worden sei. Zudem wurde im Juni der Eingang des Büros mit schwarzen Kreuzen beschmiert.

Aus der Wiener Wirtschaftskammer (WKW) kommt eine neutrale Antwort: "Die Stände am Christkindlmarkt wurden öffentlich ausgeschrieben. Die WKW unterstützt Wiener Unternehmen mit Services und Beratungsleistungen, welche auch von Marktfahrern gerne in Anspruch genommen. Das war auch in Sachen Christkindlmarkt der Fall."

Der Christkindlmarkt ist ein Großereignis mit wöchentlich hunderttausenden Besuchern.
Karl Schöndorfer / Toppress

Großevents auf zentralen öffentlichen Plätzen

Für Städte gewinnen Großevents an zentralen Plätzen immer mehr an Bedeutung, die Zügel gibt man dann ungern aus der Hand. Es geht um viel Geld, wie ein Blick in die Bilanzen zeigt. Vor zehn Jahren lag der Jahresumsatz der Stadt Wien Marketing zwischen zehn und elf Millionen Euro. Im letzten Vor-Corona-Jahr 2019 wurde ein Umsatz von 17 Millionen Euro erwirtschaftet. 2021 waren es 16 Millionen, und im ersten Pandemiejahr 2020 waren es etwas mehr als zwölf. Der zweite Geschäftsführer Paul Weis begründet das mit dem neuen Kultursommer, den die Firma damals durchführte. Budget erhält Stadt Wien Marketing eigenen Angaben zufolge keines. Man werde mit Projekten beauftragt.

Rechnungshof kontrolliert

Sowohl der Wiener Stadtrechnungshof als auch der Rechnungshof haben das Unternehmen mehrmals überprüft. Prüfberichte, wie etwa zur Vergabe von Christkindlmärkten, baulichen Überprüfungen oder der Finanzierung von Großveranstaltungen, sind online abrufbar. Große Unregelmäßigkeiten weisen diese Berichte nicht auf. Kritik gab es 2019, dass die Stadt zu wenig für die Standplätze verlangt. Deswegen empfahl der Rechnungshof, ein "adäquates Mietentgelt" für attraktive Standorte einzuheben. Anwalt und Vergaberechtsexperte Christian Nordberg von Hule Bachmayr-Heyda Nordberg vermutet, dass die Neuorganisation der Vergabe aus einer Prüfung durch den Stadtrechnungshof resultiert.

Spielt das Vergaberecht eine Rolle? In diesem Fall trete die öffentliche Hand als Anbieter auf, deswegen seien die Vorgänge dem Vergaberecht entzogen, meint Nordberg. Das Vergaberecht sei nur auf die Beschaffung von Leistungen anwendbar, also dann, wenn ein öffentlicher Auftraggeber (dazu zählt auch die Stadt Wien) Lieferungen oder Leistungen bezieht. Allerdings nicht dann, wenn die öffentliche Hand etwas verkauft oder anbietet. Bei der Vermietung oder Verpachtung eines Grundstückes tritt die öffentliche Hand nicht als Nachfrager, sondern als Anbieter auf. Damit sind solche Vorgänge an sich dem Vergaberecht entzogen, sagt Nordberg.

DER STANDARD

Zuletzt geriet die Stadt Wien Marketing aber auch als alleiniger Gesellschafter der Prater Wien in den Fokus. Das ist jene Gesellschaft, die die Kaiserwiese für das Oktoberfest verpachtet. Hier erhielt zuletzt – ohne Ausschreibung oder Nachverhandlungen – erstmals die PW Veranstaltungs GmbH mit gutem Draht ins Rathaus den Zuschlag. Und gleich einen mehrjährigen Pachtvertrag dazu.

Unterschiedliche Auswahlverfahren

Für den Silvesterpfad, den ebenfalls die Stadt Wien Marketing organisiert, werden Interessentinnen und Interessenten übrigens über die Österreichische Gemeinde-Zeitung (ÖGZ) und die Wiener Wirtschaft gesucht. Ausgewählt werden die Standler für die Tagesveranstaltung "in Abstimmung mit Marktamt und Wiener Wirtschaftskammer", wie es zum STANDARD heißt.

Beim Eistraum, der diesmal vom 19. Jänner bis zum 5. März 2023 auf dem Rathausplatz stattfindet, gibt es hingegen eine Ausschreibung für die Gastro-Stände. Hier entscheidet eine Kommission, in der ein Gastrokoordinator, ein Foodblogger sowie Vertreter der Wiener Wirtschaftskammer sitzen.

Auch beim Filmfestival in den Sommermonaten wählt eine Kommission aus: Diese besteht aus Vertreterinnen und Vertretern des Stadt Wien Marketing, Do & Co, Wien Tourismus, Wirtschaftskammer Wien sowie der Bezirksvertretung des ersten Bezirks. (David Krutzler, Andreas Danzer, 23.11.2022)