Nach dem Unglück gab es Demonstrationen, die sich mit den Migranten solidarisierten.

Foto: EPA / YOAN VALAT

Paris/London – Ein Jahr nach dem Kentern eines Migrantenbootes im Ärmelkanal mit 27 Toten gibt es in Frankreich Hinweise auf ein gravierendes Versagen der Küstenwache. Obwohl sich die Migranten über Stunden per Handy von ihrem sinkenden Boot an die Retter in Frankreich wandten, verwiesen diese sie an die britische Seite, ohne Hilfe zu schicken, wie Recherchen der Zeitung "Le Monde" ergaben. Sie bestätigen Vorwürfe der beiden Überlebenden der Katastrophe.

Interne Untersuchung

Frankreichs Staatssekretär für Meeresangelegenheiten, Hervé Berville, kündigte jüngst Konsequenzen an, sollte sich der auf Funksprüche und Ermittlungsakten gestützte Bericht bewahrheiten. Die strafrechtlichen Ermittlungen in Frankreich dauerten an, und außerdem laufe bei der Küstenwache eine interne Untersuchung, sagte Berville.

Das aufblasbare Boot hatte am 24. November 2021 bei der Überfahrt von Nordfrankreich nach Großbritannien Luft verloren, die Migranten stürzten ins Wasser. Ein Fischerboot entdeckte die im Ärmelkanal treibenden Leichen, darunter fünf Frauen und ein kleines Mädchen.

Den Recherchen zufolge unterschätzte die französische Küstenwache die Notlage der Menschen und verwies sie anhand ihrer Positionsdaten nahe den britischen Gewässern an britische Helfer. Außerdem informierten die Franzosen die Briten über das havarierte Boot ohne nachzuhaken, ob diese Hilfe schicken. Weil in der Nacht etliche Flüchtlinge mit ihren Booten in Seenot gerieten und Rettungsschiffe von britischer und französischer Seite im Einsatz waren, entstand zudem Verwirrung, ob tatsächlich allen geholfen wurde.

Wie die "Monde" minutiös berichtete, ging der erste Hilferuf von dem Boot um 1.48 Uhr bei der französischen Küstenwache ein. Ein letztes Handytelefonat, bei dem die Migranten bereits im Wasser trieben und Schreie zu hören waren, brach gegen 4.30 Uhr ab. (APA, 22.11.2022)