Schottlands beliebte Regierungschefin Nicola Sturgeon will die Schottinnen und Schotten noch einmal befragen.

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Dürfen die Schotten nochmals über die Unabhängigkeit abstimmen? Zu dieser Frage ist am Mittwochvormittag eine Entscheidung des Londoner Supreme Court fällig. Die Zentralregierung will ein neues Referendum nicht gestatten, die Edinburgher Nationalisten haben ihr entsprechendes Gesetz dem Gericht zur Prüfung vorgelegt und wollen vom Supreme Court wissen, ob sie auch ohne diese Zustimmung die Befugnis haben, die Abstimmung anzusetzen.

Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon will ihre Landsleute im Oktober 2023 – sofern das Gericht grünes Licht gibt – erneut abstimmen lassen, ob ihr Landesteil unabhängig vom Vereinigten Königreich werden soll oder nicht. Die Entscheidung des Gerichts gilt als wichtige Wegmarke für die schottischen Unabhängigkeitsbefürworter.

Zurück in die EU

Bei einer ersten Volksabstimmung 2014 hatte sich eine Mehrheit der Schotten für den Verbleib in der Union mit Großbritannien ausgesprochen. Für London ist die Frage damit langfristig entschieden. Sturgeon aber argumentiert, dass der Brexit, den die Schotten 2016 deutlich abgelehnt haben, die Ausgangslage verändert habe. Sie will ein unabhängiges Schottland zurück in die EU führen. Die schottische Regierung argumentiert nun auch, dass das Referendum eine "beratende" Funktion und keine sofortige rechtliche Wirkung hätte.

Vor acht Jahren scheiterten die Nationalisten vor allem an zwei Themen. Zum einen stand die EU unmissverständlich solidarisch an der Seite ihres damaligen Mitglieds Großbritannien und gab den Schotten zu verstehen, ein etwaiger Beitrittsprozess werde langwierig und mühsam werden. Zum anderen blieben Wirtschafts- und Finanzfragen ungeklärt, beispielsweise die zukünftige Währung des unabhängigen Staates, die Aufteilung der britischen Staatsschuld sowie die fortlaufenden Verpflichtungen für Renten und Pensionen.

Probleme für ein unabhängiges Schottland

Das erste Problem hat sich, wenn auch nicht aufgelöst, doch sehr verändert. Zwar gibt es in Brüssel auch jene, die wenig Begeisterung zeigen für den Neu-Beitritt einer Nation, die aus wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gründen ihre Landgrenze zum viel größeren Brexit-Nachbarn im Süden offenhalten müsste. Werde man sich damit nicht das schwelende Statusproblem von Nordirland in viel größerem Umfang einhandeln?, lautet die bange Frage. Andererseits wäre der rasche Beitritt eines EU-erfahrenen, konstruktiven Nettozahlers für den Brüsseler Club sicher ein willkommenes politisches Signal.

Ungeklärt hingegen bleiben weiterhin die schon vor einem Jahrzehnt aufgeworfenen Fragen zur wirtschaftlichen Stabilität des Landes. Müsste zwischen dem Abschied vom britischen Pfund und dem nicht sonderlich populären Beitritt zum Euro eine eigene schottische Währung eingeführt werden? Wie viel des immensen Energiereichtums aus den Öl- und Gasvorkommen in der Nordsee sowie den zahlreichen Offshore-Windfarmen fließt in die Edinburgher Kasse, wie viel verbleibt in London?

Prozess kürzer als erwartet

Die britische Regierung versuchte das Gericht während des Prozesses davon zu überzeugen, das Unabhängigkeitsreferendum ganz zu verbieten. Sir James Eadie, Anwalt der Zentralregierung in London, ging bewusst nicht auf die schottischen Argumente ein und begründete seine Verweigerung damit, dass die Argumentation "gegen den gesunden Menschenverstand" verstoßen würde. Die schottische Seite betonte vor Gericht, man wolle nur die juristischen Fragen, nicht die politischen geklärt wissen. Beobachter schließen nicht aus, dass sich der Supreme Court für nicht zuständig erklärt. (sbo, mhe, 23.11.2022)