STANDARD-Vorstand Alexander Mitteräcker.

Foto: Heribert CORN

Im Transparenzblog "So sind wir" berichtet die STANDARD-Redaktion über die eigene Arbeitsweise. Nach welchen medienethischen Grundregeln handeln wir? Aus welchen Fehlern lernen wir? Wir machen unsere Selbstreflexion öffentlich.

Für einen Medienbetrieb gibt es zwei wesentliche Erlösströme: einerseits aus dem Werbemarkt (Inserate) und andererseits aus dem Lesermarkt (Abos). In beiden Märkten sind wir Medien jeweils im Wettbewerb miteinander und kennen je nach Ausrichtung eine andere Gewichtung dieser Ströme.

Der Werbemarkt

Beim STANDARD ist die Gewichtung ziemlich ausgeglichen: Ca. 50 Prozent unserer Umsätze kommen aus dem Werbegeschäft.

Was unsere Werbekunden an uns schätzen, ist neben unseren Reichweiten und Zielgruppen auch die Unabhängigkeit unserer Redaktion. Kollegin Nana Siebert hat ihren Blog darüber verfasst, wie wir beim STANDARD Inhalt und Anzeigen trennen. Dies führt auch dazu, dass wir das in der Verlagsbranche nun gängige Eventbusiness (Veranstaltungen samt Verleihung von Awards, was insgesamt als Erweiterung des Anzeigengeschäfts zu sehen ist) durchaus zurückhaltend betreiben. Auch hier ist die Gefahr gegeben, eine zu große redaktionelle Nähe zu den Werbekunden – auch Verhaberung genannt – zu entwickeln.

Der Wettbewerb im Werbemarkt war früher durch lokale bzw. nationale Marktteilnehmer bestimmt. Mit dem Internet sind die Ländergrenzen abgeschafft. Im Werbegeschäft sind mittlerweile unsere wesentlichen Konkurrenten mehrheitlich amerikanische Technologieunternehmen wie Alphabet/Google und Meta/Facebook. Daher hat sich in anderen Ländern ein sehr darwinistisches "survival of the fittest" in der Medienbranche bemerkbar gemacht, wo jene Marktteilnehmer bestehen, welche die digitale Transformation weg vom klassischen Printgeschäft am besten gemeistert haben.

Aber in Österreich wird die Situation am Werbemarkt nicht nur durch Konkurrenz um normale Werbekunden bestimmt. Hier greift die Politik auf wohl einzigartige Weise ins Marktgeschehen ein.

So ist durch die Chat-Affäre publik geworden, dass die Fellners – wie Florian Scheuba es formuliert hat – nicht nur "Pressefreiheit mit Erpresserfreiheit" gleichgesetzt und so private wie öffentliche Institutionen dazu bewegt haben, bei ihnen zu schalten. Vielmehr ist mit dem Bekanntwerden des "Beinschab-Tools" auch – frei nach Wolfgang Sobotka – nun Leistung und Gegenleistung endlich nachvollziehbar, nämlich die Veröffentlichung von mutmaßlich manipulierten Umfragen, die über Inserate als Scheingeschäft verrechnet worden sein sollen. In der Folge mussten die anderen Player am Boulevardmarkt genauso bedient werden, was zu entsprechenden Inseratenvolumina in diesem Segment geführt hat. Die Studie "scheinbar Transparent" hat dies alles genauestens dokumentiert, so bekam DER STANDARD pro Leser am wenigsten Inseratengeld von der Bundesregierung.

Wer nun aufgrund der aktuellen Ereignisse glaubt, dass dieses Missverhältnis allein durch das Finanzministerium hervorgerufen war, der irrt. So wirkt beispielsweise auch die Verteilung der Werbeaufwände des Innenministeriums recht auffällig.

Es werden somit durch die Inserate von Ministerien und Bundesregierung Mitbewerber am Leben erhalten, die es unter normalen Marktbedingungen vermutlich nicht mehr geben würde. Und durch diese Marktverzerrung und die resultierende Abhängigkeit der Inseratenempfänger von der Politik wird die gesamte Medienbranche beschädigt.

Leserinnen und Leser

Der andere große Umsatzstrom kommt von Ihnen: Sofern Sie eines unserer kostenpflichtigen Angebote beziehen, tragen Sie damit zu fast 45 % unserer Erlöse bei. Die Liste dieser Angebote wird immer umfangreicher. Sie beginnt beim klassischen Printabo, welches durch das E-Paper und den Kompakt ergänzt wurde. Online haben wir mit PUR ein Produkt entwickelt, welches den Tracking- und werbefreien Zugang auf unsere Inhalte ermöglicht.

Aber auch dieser Umsatzstrom wird von der österreichischen Politik verkompliziert. Das bei weitem größte Medienunternehmen des Landes, der ORF, wird zu zwei Dritteln aus der GIS finanziert, einer Quasisteuer auf Rundfunkempfangsgeräte.

Genauso wie der Verfassungsgerichtshof die gegenwärtige GIS-Finanzierung ausschließlich durch Besitzer von Rundfunkempfangsgeräten in Zeiten des Streamings als nicht mehr zeitgemäß befunden hat, ist es die ganze Grundidee des ORF. Sie stammt aus einer Zeit, als es Privaten nicht möglich war, Fernsehen mit seiner ganzen Infrastruktur – vom Studio bis zum Sendeturm – zu finanzieren. Es benötigte den Staat, um ein solches Angebot zu ermöglichen. So wie der Staat notwendig war, um ein Land mittels einer Fluglinie mit dem Rest der Welt zu verbinden. Aber genauso wie staatliche Fluglinien nicht mehr zeitgemäß sind, ist es auch das per Gesetz finanzierte Fernsehen nicht mehr, da die notwendige Infrastruktur keine unüberwindbare Einstiegsbarriere mehr darstellt. Insofern wird in vielen europäischen Ländern über einen Rückbau der öffentlichen Broadcaster diskutiert und auch umgesetzt.

Abogeschäft

Nicht so in Österreich. Hier sollen die Möglichkeiten des ORF im Onlinebereich ausgeweitet werden, sodass er – bereits jetzt Marktführer mit zeitungsähnlichen Inhalten – den privaten Medienunternehmern wohl noch mehr Probleme bereitet. Dies betrifft sowohl die Inhalte selbst, wo der ORF mit seinem Angebot immer mehr Nischen der Verlage besetzt. Die Probleme betreffen aber auch das Abogeschäft, auf welches sich Verlage, wie in anderen Ländern auch, zunehmend konzentrieren müssen, nachdem der Werbemarkt aufgrund der Dominanz der eingangs genannten Technologieunternehmen an Bedeutung verloren hat.

Warum soll nun ein privater Anbieter bei seinem Bestreben, sich durch Abos zu finanzieren, schlechter gestellt sein als sein Mitbewerber ORF, der mittels GIS (zukünftig womöglich mit einer Budgetfinanzierung oder Haushaltsabgabe) jeden Haushalt verpflichtend mit bis zu knapp 30 Euro monatlich belastet und der dann bei Budgetknappheit von der Politik eine Erhöhung dieser Gebühr einfordert? Und wie kommt jeder Haushalt dazu, sich nicht frei aussuchen zu können, welchem Medium er dieses Budget widmet?

Dies ist mit ein Grund, weswegen wir uns im Gegensatz zu vielen anderen Verlagen bisher gegen eine Paywall entschieden haben: Ein wesentlicher Teil des Medienbudgets eines jeden Haushalts ist, wie geschildert, durch die GIS-Verpflichtung ohnehin nicht mehr frei disponierbar. Insofern versuchen wir in dieser postfaktischen Zeit den freien Zugang zu unseren Informationen allen Menschen zu ermöglichen. Sollten Sie dieser Idee etwas abgewinnen können, gleichzeitig Gefallen an unseren Inhalten finden und in der glücklichen Situation sein, trotz der aktuellen Lage finanziell nicht zu sehr unter Druck gesetzt zu sein, so bieten wir die Möglichkeit, Ihre Wertschätzung mit einem Beitrag Ihrer Wahl zum Ausdruck zu bringen. Wir fühlen uns zunehmend mit diesem Erlösmodell bestätigt, nachdem immer mehr unserer Leserinnen und Leser auf diesem Weg relevant zur Finanzierung unseres Angebots beitragen.

Sonstige Erlöse

Eine Vielzahl von sonstigen Umsätzen stellt den letzten Erlösstrom dar, wobei die oft genannte Presseförderung ca. zwei Prozent unserer Einnahmen ausmacht. Die insgesamt 8,9 Millionen Euro, die so an österreichische Zeitungen verteilt werden, muss man stets in Relation sehen zu den 225 Millionen Euro an Werbeausgaben öffentlicher Stellen (Bundesregierung, Länder, öffentliche Institutionen und Firmen) im Gesamtjahr 2021 und den 664 Millionen, die der ORF dieses Jahr aus der GIS budgetiert. Neue Förderungen – für digitale Transformation und Journalismus – sollen dieses Missverhältnis ein wenig korrigieren; wir werden mit dem neuen Transparenzgesetz sehen, wie sich das dann auf die Gesamtbetrachtung der Umsatzströme der unterschiedlichen Medienhäuser auswirkt.

Die einzigartige österreichische Verflechtung von Politik und Medienmarkt begegnet uns bei all unseren Erlösströmen und beschäftigt uns beim STANDARD dementsprechend laufend bei unseren kommerziellen Überlegungen. H.-C. Strache artikulierte im Ibiza-Video seine Fantasien von einer "Orbánisierung" der heimischen Medienlandschaft. Diverse solcher Fantasien waren 2019 bereits in der Umsetzung; so analysierte Clemens Jabloner, Justizminister der Regierung Bierlein, bei einer Podiumsdiskussion dieses Jahr: "Die Art, wie unter Kurz I regiert wurde, war ein erster Weg in eine andere Staatsform", welcher sich auch in der Medienlandschaft bemerkbar machte.

In Österreich gestaltet die Politik die finanziellen Rahmenbedingungen der vierten Gewalt erheblich mit – und tritt dann außerdem selbst (unmittelbar oder über Intermediäre) als Marktteilnehmer auf. Der immanente Interessenkonflikt, der dadurch besteht, bedarf längst einer Lösung. (Alexander Mitteräcker, 22.11.2022)