Richterin Marion Hohenecker (hier beim Buwog-Prozess im Jahr 2020) lernt bei der Verhandlung gegen einen 35-Jährigen eine interessante Definition für den Begriff "ältere Frau".

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Wien – Ein Umstand zieht sich wie ein roter Faden durch die Verantwortung von Musa A., der wegen mehrerer Delikte vor Richterin Marion Hohenecker sitzt. "Wir waren alle besoffen zu Hause", sagt er etwa zum Vorwurf, er habe unmittelbar nach dem Wiener Terroranschlag vom 2. November 2020 ein unterstützendes Posting veröffentlicht. "Wir waren zu Hause am Saufen", zum angeklagten Widerstand gegen die Staatsgewalt und dem Faustschlag gegen einen Polizisten, der sich heuer am 26. Februar ereignet haben soll. Und warum der 35-Jährige die Glasscheibe einer Werbesäule mit einer Wodkaflasche beschädigte und einen Schaden von über 2.000 Euro anrichtete? "Ich war besoffen."

Zunächst widmet sich Hohenecker dem angeklagten Terrorposting. Der wegen Körperverletzung vorbestrafte A. wurde auf dem Instagram-Konto der "Kronen Zeitung" unter einem Artikel mit dem Titel: "So trauern die Wiener um die Opfer des Attentäters" tätig. Sein Beitrag: "Hoffentlich sterben noch mehr" samt einem lachenden Emoticon.

Todeswunsch angeblich für Attentäter

Bei der Polizei gab der in Russland geborene Staatenlose noch an, jemand müsse sein Handy gehackt haben. Nun argumentiert er anders: Der Todeswunsch habe sich auf islamistische Attentäter bezogen, erzählt er. "Warum schreiben Sie dann in der Mehrzahl?", fragt die Richterin. "Ich kann nicht so gut Deutsch", behauptet A., der der Verhandlung einwandfrei ohne Dolmetscher folgen und sich artikulieren kann. Dann sagt er, die betrunkene Gruppe habe sich das "Krone"-Video zum Anschlag angesehen und "nur gelacht". – "Wenn man das lustig findet", kann Hohenecker dem Humor nicht ganz folgen. An anderer Stelle sagt der Angeklagte wiederum, er habe das Posting "unabsichtlich verschickt", nur um sich gleich darauf wieder zu korrigieren.

Solche Widersprüche in seiner Aussage werden auch deutlich, als er zum Vorfall aus dem Februar befragt wird. Man sei zu fünft in seiner Wohnung in Wien-Döbling gewesen, habe eine halbe Palette Bier sowie Wodka getrunken und Musik gehört. Plötzlich hätte die Polizei geklopft. "Die haben mich provoziert und wollten ohne Durchsuchungs- oder Haftbefehl in meine Wohnung", ist er auch jetzt noch empört. "Warum waren die Beamten überhaupt da?", interessiert die Richterin. "Zwei Omas aus dem Haus rufen wegen jeder Kleinigkeit, jedem Scheiß die Polizei an", vermutet A. einen Nachbarschaftsstreit.

Angeblich 25 Personen auf 40 Quadratmetern

Er habe dem Polizisten, der einen Fuß in der Tür hatte, jedenfalls nur leicht gegen die Schulter gestoßen, um die Tür schließen zu können. Der Mann habe aber sofort seine Dienstwaffe und ein Pfefferspray gezogen und ihn eingenebelt. Schlussendlich sei er festgenommen worden – zehn bis 20 Beamte hätten sich in der 40-Quadratmeter-Wohnung getummelt, fünf seien bei der Festnahme auf ihm gehockt, behauptet der Angeklagte.

Und das, obwohl er nach dem ersten Pfeffersprayeinsatz selbst den Notruf kontaktiert hatte, da er vermutete, es handle sich bei der Streifenwagenbesatzung von "Siegfried 5" um "falsche Polizisten", da die ein Organmandat über 80 Euro wegen Lärmerregung ausstellen wollten. "Hatten die eine Uniform an?", will Hohenecker wissen. "Ja, aber jeder kann eine Uniform anziehen", meint A. dazu.

Vier Wochen saß er danach in Untersuchungshaft, ehe er gegen gelindere Mittel entlassen wurde. Unter anderem wurde ihm ein Bewährungshelfer zur Seite gestellt, der es schließlich schaffte, dass A. in Behandlung ging. Der Angeklagte sagt, er leide an "epileptischer Schizophrenie", der psychiatrische Sachverständige Siegfried Schranz korrigiert ihn: Die Diagnose laute "paranoide Schizophrenie". Mittlerweile weiß A. aber, dass er an einer psychischen Erkrankung leidet, und holt sich auch einmal im Monat Depotspritzen mit einem Psychopharmakum. Das helfe ihm, "ruhiger" zu werden, bestätigt er.

Experte Schranz stellt ihm in seinem Gutachten eine positive Prognose aus und sieht keine Notwendigkeit für eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, da A. zurechnungsfähig sei.

Heiterkeit durch Zeugenaussage

Das bestätigen auch die Polizisten, die als Zeugen geladen sind. Der erste sagt, man habe gegen 13 Uhr auf eine Anruferin reagiert, die eine Lärmerregung anzeigte. "Können Sie sagen, ob die Anruferin jünger oder älter war?", fragt die Richterin. "Eher älter", sagt der Beamte. "Zwischen 40 und 70", fügt er zum Gaudium des Saales an, wobei auch die äußerst knapp in diese Alterskohorte fallende Hohenecker lächeln muss.

Zunächst habe jedenfalls damals einer der beiden anderen Gäste in der Wohnung die Tür geöffnet, dann sei A. gerufen worden. Als der erschien, sei er bereits aggressiv mit geballten Fäusten dagestanden, habe die Polizisten beleidigt, aber genau gewusst, um was es ging. Denn er habe ihnen erklärt, er könne bis 22 Uhr die Lautstärke seiner Musik frei wählen. Dann habe er versucht, dem Zeugen einen Faustschlag ins Gesicht zu verpassen, den dieser mit seiner rechten Hand abmildern konnte. Für die Prellung der Stirn und des Handgelenks und einer Zerrung der Halswirbelsäule, was 14 Tage Krankenstand zur Folge hatte, will der Polizist 960 Euro Schmerzensgeld.

Lautstarker Bruder des Angeklagten

Die A. überraschenderweise zu zahlen bereit ist. "Sie haben doch gesagt, dass Sie nichts gemacht haben? Dann müssen Sie auch nichts zahlen", belehrt ihn die Richterin. Es folgt eine kurze Verhandlungspause, in der A., seine Verteidigerin und sein im Saal anwesender Bruder, der mehrmals ungefragt lautstark die Verhandlung stört, um auf die Erkrankung seines Bruders hinzuweisen, sich vor dem Saal besprechen.

Als das Trio zurückkommt, gibt A. doch zu, sich damals vielleicht nicht ganz korrekt verhalten zu haben. "Entschuldigung, Herr Beamter, ich bin psychisch krank und war an dem Tag ein bisschen unzurechnungsfähig", bittet er um Verzeihung. Für die geforderten 960 Euro bietet er eine Ratenzahlung an. Der Polizist stellt auch klar, dass nur drei Beamte an der Festnahme beteiligt gewesen seien und er nie Pfefferspray und Pistole gleichzeitig in der Hand gehabt habe, da man in der Ausbildung lerne, die Waffen nur entweder oder zu verwenden.

Man habe A. im Zuge der Festnahme auch nicht geschlagen, wie der später behauptete, was ihm auch die Anklagepunkte der falschen Beweisaussage und der Verleumdung einbrachte. Tatsächlich beteuern selbst die beiden Bekannten des Angeklagten, die bei dem Einsatz mit ihm in der Wohnung waren, keinerlei Übergriffe gesehen zu haben. Die Richterin blättert im Akt und hält dem Angeklagten dann auch vor, dass er bei seiner Zeugenaussage angeboten habe, wenn ihm die Beamten "ein bissl Geld zahlen, vergesse ich die Sache". – "Ich habe gemeint, wenn sie mir Schmerzensgeld zahlen", erläutert der Angeklagte.

Freiheitsentzug nicht sinnvoll

Bei einem Strafmaß bis zu fünf Jahren für die Verleumdung entscheidet Hohenecker sich für eine Strafe im Ausmaß von 20 Monaten bedingt, zusätzlich erhält A. die Weisung, weiter Bewährungshilfe in Anspruch zu nehmen. Der Angeklagte habe alle angeklagten Delikte begangen, ist sie überzeugt. Aber: "Ich glaube tatsächlich, dass eine Freiheitsentziehung bei Ihnen nicht sinnvoll ist", begründet sie die rechtskräftige Entscheidung mit der Krankheitseinsicht und der Therapiewilligkeit des Angeklagten. "Vielen Dank, Frau Richterin, es tut mir wirklich leid", bedankt der sich am Ende. (Michael Möseneder, 22.11.2022)