Bild nicht mehr verfügbar.

"Schwarzen Schwäne" werden unerwartete Ereignisse genannt, die die Finanzwelt erschüttern. Dieses Jahr zählte der Ausbruch des Ukraine-Kriegs dazu.
Foto: Getty Images

Zuerst die Covid-Krise, dann der Ukraine-Krieg samt der stärksten Inflationswelle seit einem halben Jahrhundert. An sogenannten schwarzen Schwänen mangelte es in der Finanzwelt in den vergangenen Jahren wahrlich nicht. Darunter verstehen Börsenprofis völlig unerwartete Ereignisse, von denen die Finanzwelt erschüttert wird. Die Anschläge vom 11. September 2001 zählten dazu, aber eben auch die Covid-Pandemie und der Ausbruch des Ukraine-Kriegs. Solche Ereignisse beeinflussen auch die künftige Entwicklung der Welt und damit der Börse. Denn die vom deutschen Kanzler Olaf Scholz wenige Tage nach Kriegsbeginn ausgerufene Zeitenwende hat nicht nur eine geopolitische, sondern auch eine starke wirtschaftliche Komponente.

Zeitenwende

Besonders in Europa wird in den nächsten Jahren kaum ein Stein auf dem anderen bleiben. Dem Kontinent muss rasch die Entwöhnung von billigem russischem Gas gelingen und gleichzeitig der klimapolitisch ohnedies notwendige Ausbau erneuerbarer Energieträger. Die jüngsten Entwicklungen zeigen, dass das nicht ohne Reibungsverluste abgehen wird. Die hochgeschnellten Strom- und Gaspreise setzen Haushalten ebenso zu wie Unternehmen – schnelle Anpassung an die neuen Gegebenheiten ist nötig. Zudem muss Europa für seine Sicherheit mehr Geld in der Hand nehmen. Wie zuvor als sicherheitspolitischer Trittbrettfahrer der USA wird der Kontinent künftig nicht mehr über die Runden kommen.

Beides wird starke Kapitalströme in Bewegung setzen und die Inflation in den nächsten Jahren tendenziell auf höherem Niveau halten. Einen ähnlichen Effekt haben die Demografie durch die sukzessive Pensionierung der Babyboomer und der Trend zur Deglobalisierung. Das führt dazu, dass die Notenbanken schwerere Geschütze in Form höherer Zinssätze als in der vergangenen Dekade auffahren müssen, um den Preisauftrieb im Zaum zu halten – also im Euroraum zumindest im Dunstkreis des Zielwerts der Europäischen Zentralbank (EZB) von zwei Prozent. Folgende Auswirkungen hat dies auf Wirtschaft und Finanzmärkte.

Bremsspuren in der Konjunktur

Konjunktur Eines scheint klar: Die Bremsspuren in der Konjunktur werden ziemlich deutlich ausfallen und etlichen Volkswirtschaften eine Rezession bescheren. Wie stark und vor allem wie lange der Rücksetzer ausfällt, hängt wesentlich von der weiteren Entwicklung der Inflation und der Reaktion der Notenbanken darauf ab. Grundsätzlich dürfte die laufende Teuerungswelle ihrem Höhepunkt bereits sehr nahe sein oder ihn bereits überschritten haben, was in den USA der Fall sein dürfte. Dort ging die Inflation im Oktober bereits den vierten Monat in Folge zurück.

Notenbanken Vorerst ist der Zinspfad der EZB und der US-Notenbank Fed nach oben gerichtet. Allerdings besteht die Hoffnung, dass die Fed wegen des nachlassenden Inflationsdrucks bald ihre aggressiven Zinsschritte einstellen könnte, bevor die Konjunktur allzu großen Schaden nimmt.

Finanzmärkte Die Zinserhöhungen haben im Jahr 2022 zu schweren Verwerfungen an den Aktien- und Anleihemärkten geführt. Es gibt aber Anzeichen, wonach sich dies im nächsten Jahr nicht wiederholen sollte.

Bild nicht mehr verfügbar.

Wie wird wohl die Zukunft aussehen? Das fragen sich Anlegerinnen und Investoren.
Foto: Getty Images

1. Aktien: Die üppigen Jahre sind Vergangenheit

Das Jahr 2023 sollte für Aktien weniger trüb ausfallen. Aber die Aussichten bleiben bescheiden.

Seit etwas mehr als einem Jahr befinden sich die internationalen Aktienmärkte bereits im Rückwärtsgang. Die Schockwellen des Ukraine-Kriegs, enorme Anstiege der Energiepreise, die hohe Inflation und steigende Zinsen bescherten den zuletzt erfolgsverwöhnten Investoren und Anlegerinnen schmerzende Kursverluste. Wohl wird der Abwärtstrend nicht ewig anhalten, dennoch sollten sich Börseninteressierte mit einer unbequemen Prognose arrangieren: Die enormen Kurssteigerungen der vergangenen Jahre sind vorerst passé. In den nächsten Jahren werden an den Aktienmärkten wohl kleinere Brötchen gebacken.

Bei dem niederländischen Vermögensverwalter Robeco erwarten die Fachleute, "dass die Anlageerträge in den nächsten fünf Jahren unter ihrem langfristigen historischen Durchschnitt bleiben werden". Konkret sollen demnach Aktien aus Industrieländern für Investierende aus dem Euroraum bis 2027 im Durchschnitt magere vier Prozent Jahresertrag erwirtschaften. Zum Vergleich: In den vergangenen fünf Jahren waren es im Mittel mehr als elf Prozent pro Jahr, also fast das Dreifache. Die Robeco-Börsenprofis verweisen auf die 1970er-Jahre, die die "verheerenden Auswirkungen" einer so hohen Inflation auf Anlageportfolios gezeigt hätten. Damals dauerte es an der Wall Street fast eine Dekade, bevor das Hoch des Jahres 1973 übertroffen wurde.

Inflation bis fünf Prozent

Grundsätzlich gilt in solchen Phasen die Daumenregel: Die meisten Aktien verkraften eine Inflation bis fünf Prozent halbwegs gut, erst darüber gibt es Probleme. Zudem ist im besonders zinssensiblen Technologiebereich, zuvor viele Jahre lang das Zugpferd der Börsen schlechthin, weiterhin erhöhte Vorsicht angebracht. aha

2. Anleihen: Neuer Auftrieb für Renditen

Jahrelang stahlen Aktien Schuldpapieren an der Börse die Show. Nun schwingt das Pendel zurück.

An den Anleihenmärkten kehrt die Normalität zurück. Vorbei sind die Zeiten, in denen Emittenten sicherer Staatsanleihen wie Deutschland oder Österreich wegen der Negativzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) durch Schuldenmachen Geld verdienen konnten. Wegen der hohen Inflation musste die Notenbank die Geldpolitik straffen, sodass die Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen – gewissermaßen Klassenprimus europäischer Staatsanleihen – innerhalb eines Jahres von weniger als minus 0,3 Prozent auf rund zwei Prozent im November emporgeschossen ist. Zunächst war diese Anpassung mit schmerzhaften Kursverlusten bei Schuldverschreibungen verbunden, allerdings bietet sich nun für investierende Personen ein anderes Bild: Jetzt kann man auch mit Anleihen über die jährlichen Zinszahlungen wieder stetige Erträge generieren, ohne dafür übermäßig viel Risiko nehmen zu müssen.

Positive Realrenditen

"Die Anleihenmärkte sind heute für Anleger deutlich attraktiver, als sie es in den letzten Jahren oder gar Jahrzehnten waren", sagt Raymond Sagayam, der bei Pictet Asset Management den Anleihenbereich leitet. Auch nach Ansicht von Chris Iggo, Leiter der Veranlagung bei dem Vermögensverwalter AXA Investment Managers, bietet das derzeitige Niveau eine Gelegenheit, die Anleihenbestände aufzustocken.

Wenn die Inflation im Euroraum im nächsten Jahr wie erwartet merklich zurückkommt, sind vor allem mit Unternehmensanleihen wieder positive Realrenditen, also Erträge nach Abzug der Inflation, zu erzielen. Bei Staatsanleihen aus der Eurozone sollte die EZB bald festlegen, wann und wie sie ihre billionenschweren Bestände wieder abschichtet. Dies wird den Renditen tendenziell Auftrieb verleihen.

3. Rohstoffe: Ist jetzt die Zeit für Rohstoffe?

Trotz der jüngsten Preisrücksetzer ist der Ausblick für Rohstoffe langfristig aussichtsreich.

Nach guten zwei Jahren ist der Aufwärtstrend im Bereich der Rohstoffe heuer im Sommer abgebrochen. Die sich abzeichnende Rezession in etlichen Volkswirtschaften hat seither für einen deutlichen Sinkflug der meisten Preise gesorgt. Kein Wunder, werden weniger Güter erzeugt und weniger Dienstleistungen in Anspruch genommen, verringert sich auch die Nachfrage nach vielen Rohstoffen. Ist der Rohstoffsuperzyklus, den viele Finanzmarktauguren ausgerufen hatten, damit bereits am Ende? Dies erscheint unwahrscheinlich. Denn im vergangenen Jahrzehnt wurde vergleichsweise wenig in den Rohstoffsektor investiert. Daher ist das Angebot tendenziell knapp – was während einer Erholung der Weltwirtschaft wieder auf steigendes Angebot stoßen und für Preisauftrieb sorgen sollte.

Klimawandel als Preistreiber

Auf Sicht der nächsten fünf Jahre erwartet der Vermögensverwalter Robeco, dass Rohstoffe einen jährlichen Durchschnittsertrag von vier Prozent einspielen sollten. Einer der Haupttreiber ist der Klimawandel – um diesen zu stoppen, ist ein massiver Einsatz von Metallen notwendig, rechnen die Robeco-Fachleute vor: Ein Offshore-Windpark benötig neunmal so viel Metall wie ein Gaskraftwerk. Ähnlich ist es bei Elektrofahrzeugen, die sechsmal mehr Metall benötigen als herkömmliche Autos. Bei Agrarrohstoffen wie Getreide sollten die sehr hohen Preise für Düngemittel das Angebot mittelfristig begrenzen.

Die meisten Menschen investieren freilich in den Rohstoff Gold, meist als Münzen oder Barren. Nach einem Preishoch nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs befindet sich das Edelmetall aber in einem Abwärtstrend. Die deutlich gestiegenen US-Zinsen setzen dem Goldpreis zu – und werden es wohl auch noch bis ins nächste Jahr tun.

4. Währungen: Der Euro sollte wieder Fuß fassen

Im Jahr 2022 hat der US-Dollar seine Muskeln spielen lassen. Das wird sich kaum wiederholen.

Viel Bewegung gab es im Jahresverlauf 2022 am Devisenmarkt. Auslöser waren unterschiedlich schnelle und starke Reaktionen der Zentralbanken auf die Inflationswelle. Der US-Dollar ließ die Muskeln spielen, da die US-Notenbank Fed wesentlich hemdsärmeliger die Geldpolitik straffte als andere Häuser, was der Währung einen relativen Zinsvorteil am Devisenmarkt verschaffte. Allerdings dürfte diese Phase ihrem Ende schon nah sein. Es zeichnet sich ab, dass die Fed als eine der ersten Notenbanken wegen nachlassenden Inflationsdrucks ihren Zinsstraffungszyklus beenden wird.

Damit wird auch der Auftrieb für den Dollar abreißen, sollten in anderen Währungsräumen wie der Eurozone die Europäischen Zentralbank (EZB) zeitlich hinterherhinken und weiterhin die Zinsen angehoben werden. Ein stärkerer Euro dämpft zwar die importierte Inflation, ist aber für Investierende aus der Währungsunion eher nachteilig. Alle Anlagen aus dem Dollarraum – also Wall-Street-Aktien, US-Anleihen oder auch das in Dollar gehandelte Gold – würden dadurch Wechselkursverluste erleiden.

Wegweisendes Jahr für Bitcoin

Für Kryptowährungen wie Bitcoin wird das nächste Jahr ein wegweisendes werden. Sie müssen sich nämlich in einem veränderten Umfeld behaupten, was heuer schlecht gelungen ist – vielmehr sorgten Negativmeldungen von Branchenfirmen für Aufsehen. Denn höhere Zinsen graben die Nachfrage ab. Viele investieren doch lieber in sichere verzinste Staatsanleihen als in spekulative Kryptowährungen. Zudem wirkt in einer Energiekrise der enorme Stromverbrauch des Bitcoin-Netzwerks nicht mehr zeitgemäß. Nun müssen Kryptowährungen mit diesen veränderten Rahmenbedingungen zurechtkommen.
(Alexander Hahn, 20.12.2022)