Anne Connelly findet: "Viele Frauen nehmen ihre Finanzen oft erst spät in die Hand."
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Frauen veranlagen ihr Geld weiterhin weniger häufig als Männer, achten bei der Jobwahl weniger auf Einkommensperspektiven und werden für vergleichbare Aufgaben schlechter bezahlt. Immer wieder führt das zu Einbußen bei ihrer finanziellen Unabhängigkeit. Hier will Anne Connelly ansetzen und hat 2017 herMoney gegründet, mittlerweile Deutschlands größte Frauen-Finanzwebsite. Sie soll Frauen dabei helfen, sich einen Weg durch den Finanzdschungel zu bahnen und gibt Tipps für Karriere und Vorsorge.

STANDARD: Es heißt oft, Altersarmut ist weiblich. Ist das auch eine Generationenfrage? Heute arbeiten viel mehr Frauen als in der Generation meiner Oma. Die Ausbildung von Frauen hat sich stark verändert ...

Connelly: Wir stellen fest, dass es schon viel Bewegung gibt. Das wird auch getrieben durch Social Media und Angebote wie unsere Finanzplattform, die dazu führen, dass vor allem jüngere Frauen eine Sensibilität für die eigene Vorsorge entwickeln. Die Frauen heute sind besser ausgebildet, die Chancen am Arbeitsmarkt sind zu Beginn ja oft auch pari mit den Männern. Das Problem, das Frauen haben, ist, dass sie Mütter werden – dann geht die Schere auf. Auch weil die Kinderbetreuung in vielen Gebieten immer noch fehlt. Damit entscheidet sich oft, wie es beruflich weitergehen kann. Das ist der Wendepunkt im finanziellen Leben vieler Frauen.

STANDARD: Es ist unumstritten, dass es bei der Kinderbetreuung vor allem im ländlichen Raum Verbesserungspotenzial gibt. In der Diskussion fehlt aber der Aspekt, dass man als Mutter oder Elternteil sein Kind aufwachsen sehen möchte und es nicht nur in Betreuung geben will.

Connelly: Da gibt es persönliche Präferenzen. Wir haben viele gesellschaftliche Schichten, und nicht immer steht die Betreuung daheim im Nutzen des Kindes. In einigen Fällen ist es für die Entwicklung des Kindes sicher besser, in einen Kindergarten zu gehen. Es geht hier auch um Chancengleichheit. Eine Frau, die finanziell gut gestellt ist, kann es sich leisten, zwei Jahre zu Hause zu bleiben. Das kann sich nicht jede aussuchen, und weil das Angebot so gering ist, gibt es keine Wahlfreiheit. Die Frau, die daheimbleiben muss, weil Betreuungsplätze fehlen, hat einen finanziellen Nachteil. Frauen, die arbeiten gehen, werden von der Gesellschaft oft noch immer schief angesehen, nach dem Motto "Du bleibst nicht bei deinem Kind", ebenso aber die, die sich für das Daheimbleiben entscheiden. Diese Debatte gibt es etwa in Frankreich nicht. Dort ist es völlig normal, dass Frauen mit Kindern Vollzeit arbeiten, ebenso in Schweden. Es gibt ja auch Männer, die sich aktiv in die Erziehung einbringen wollen. Die werden auch abgestraft, nach dem Motto "Da machst du dann ja keine Karriere mehr".

STANDARD: Frauen geben in Umfragen oft an, dass der Mangel an Finanzwissen sie vom Investieren abhält. Warum ist das so? Zu verstehen, wie ein Fonds funktioniert, ist keine Rocket-Science. Man muss auch beim Auto nicht jedes technische Detail verstehen, um eines zu fahren.

Connelly: Autofahren machen Männer und Frauen aber gleichberechtigt. Es ist selbstverständlich geworden, dass auch Frauen den Führerschein machen. Mobil zu sein wird erwartet. Beim Geld ist das eben nicht so. Da wird es noch nicht erwartet, dass sich die Frauen selber darum kümmern. In der Schule heißt es teilweise immer noch, dass Mädels nicht so gut in Mathe sind. Es kommt auch darauf an, wie die familiäre Prägung war. Wird über Geld in Familien nicht geredet und finanzielle Gleichberechtigung nicht vorgelebt, funktioniert das später auch nicht, und Rollenmuster haben eine größere Chance. Mädels wurden in Zeitschriften bisher auf Beauty und Trends konditioniert. Bei Instagram und Social Media hat das ja auch so begonnen: hübsch sein, schön sein. Wie den Look verbessern, und nicht wie sorge ich richtig vor? Der Unsicherheitsfaktor ist groß. Frauen lieben den Social Proof, die Bestätigung von außen. Zu uns kommen oft Frauen, die sagen, sie haben schon dieses gelesen und jenes angeschaut – sie sind sich aber immer noch nicht sicher, ob sie genug wissen, um jetzt loszulegen.

STANDARD: Was sagt man diesen Frauen?

Connelly: Wir sagen: So, Mädels, ihr habt genug gelesen, ihr habt genug gelernt, jetzt macht ihr das auch und eröffnet ein Depot. Oft ist das erstmals ein Schreck – hinterher sind sie froh. Aber Frauen brauchen oft die Bestätigung im außen, um sicher zu sein.

STANDARD: Ein großes Thema sind ja Versicherungen. Ist es so, dass Frauen tendenziell zu viele Bereiche absichern, und fehlt dadurch der Spielraum, um in die Altersvorsorge investieren zu können?

Connelly: Wir wissen, dass deutlich weniger Frauen als Männer eine Berufsunfähigkeitsversicherung haben. Diese benötigen sie aber, weil durch den Overload und die psychische Belastung es zu vermehrten Ausfällen kommt. Hier haben Frauen auf alle Fälle Defizite. Dafür kaufen Frauen gerne Zahnzusatzversicherungen. Wir sagen daher auch: Bitte konzentriert euch auf die wesentlichen Versicherungen und Absicherungen.

STANDARD: Woran mangelt es in Summe? Das Angebot an Finanzwissen – speziell für Frauen – ist stark gewachsen. Kaum ein Frauenmagazin, das Themen der Vorsorge nicht aufgreifen. Es gibt Finanzseiten, Plattformen, Bücher ... Auch das Bewusstsein müsste da sein. Jedes Jahr werden Gender-Pay-Gap, Equal Pay Day groß gespielt ...

Connelly: Es passiert ja eh, dass Frauen ihre Finanzen in die Hand nehmen. Die Frage ist immer, wo man im Leben steht. Viele, die über 50 Jahre sind, haben oft das Gefühl, es ist eh schon zu spät – was aber nicht stimmt. Viele verdrängen das Thema, weil sie nicht ins Handeln kommen. Der finale Push kommt oft bei Scheidungen oder Schicksalsschlägen. Wenn die Frauen dann aufwachen, fangen sie an zu rennen.

STANDARD: Nehmen wir an, eine Frau hat ihren Notgroschen auf der Seite. Was ist der nächste Schritt, der dann folgen sollte?

Connelly: Dann sollte man sich um den Aufbau des Vermögens kümmern. Das geht am besten mit Produkten aus dem Aktienbereich, also Fonds oder ETFs. Diese Produkte sind leicht zugänglich, flexibel und kostengünstig. Man kann hier schon mit kleinen Beträgen starten. Wir sagen oft: Im Restaurant gibt man oft an einem Abend mehr Geld aus, also kann man es auch in einen ETF anlegen.

STANDARD: Trotz der vielen Infos auch in Banken-Apps, die eine gute Übersicht über die eigenen Finanzen bieten, wird die Überschuldung immer größer und beginnt oft schon in jungen Jahren.

Connelly: So leicht es einem mittlerweile gemacht wird, sich über die Finanzen zu informieren, so leicht wird einem auch die Verschuldung gemacht – etwa über Klarna. Überall kann man Kredite aufnehmen. Die Verfügbarkeit und die Verführungen haben zugenommen. Zeitgleich fehlt oft das Bewusstsein, wie schnell die Konsumschulden teuer werden. Das sieht man bei jungen Leuten, es gibt sogar Tiktok-Kanäle mit Challenges, wie hoch die Klarna-Schulden sind. Die Niedrigzinsphase hat das begünstigt.

STANDARD: Ist es irgendwann zu spät, um mit der Vorsorge zu beginnen?

Connelly: Ich bin Optimistin. Von daher sage ich, irgendwas geht immer. Ist man aber über 60 und in Pension, wird es schon eng. Da kann man nur eine ganz ehrliche Bestandsaufnahme machen und schauen, wo man steht. Hat man finanzielle Nöte, ist gesundheitlich aber noch fit, muss man vielleicht noch einen Job annehmen oder das Haus verkaufen und in eine kleine Wohnung wechseln. Wichtig ist immer, darauf zu achten, dass die elementaren Bedürfnisse gedeckt sind.

STANDARD: Was war die Motivation für die Gründung von herMoney?

Connelly: Als in Deutschland die Scheidungsgesetze geändert wurden. Damit haben sich die Unterhaltsansprüche geändert, und das hat viele Frauen hart getroffen. So kam 2017 die Idee zur Plattform. Die Frauen sind in den vergangenen Jahren definitiv neugierig geworden. Sie wollen die Finanzwelt verstehen und holen sich Beratung und Hilfe.

STANDARD: Was sind die größten finanziellen Fehler, die Frauen in Partnerschaften begehen können?

Connelly: Sich in Eheverträge drängen zu lassen und Geschäftspapiere, die man nicht versteht, mit zu unterschreiben. Frauen sollten bei solchen Entscheidungen eigene Anwälte haben. In der Beziehung ist das regelmäßige Gespräch über Geld wichtig. Vor allem, wenn sich die Situation verändert: Wie wird es sein, wenn man Kinder hat? Wer kümmert sich dann um was? Wer steckt zurück? Wie kompensiert man Ausfälle?

STANDARD: Wie funktioniert ein Finanzcheck? Wie oft sollte ich den machen?

Connelly: Zumindest einmal im Jahr sollte man seine Finanzen überprüfen und sich fragen: Passt die Sparquote noch? Passen die Versicherungen noch? Sollte man Begünstigte ändern? Passt das alles noch zu meiner aktuellen Situation? Was kann ich investieren? Passt mein Depot noch? Diese Fragen sollte man sich stellen. Dann zeigt sich, wo man anpassen sollte. Die Finanzwelt ist zudem flexibel. Man kann auch mal weniger in Fonds einzahlen, Prämien aussetzen oder Umschichtungen vornehmen. (PORTFOLIO, Bettina Pfluger, 20.12.2022)