Eine der Foto-Ikonen der "Great Depression": die mittellose 32-jährige Erbsenpflückerin Florence Thompson im Jahr 1936 mit zwei ihrer sechs Kinder in Kalifornien. Die Wirtschaftskrise hatte, wie sich nun zeigt, auch biologische Langzeitfolgen für die damals Geborenen.
Foto: Dorothea Lange, George Eastman House Collection / Wikimedia Commons / gemeinfrei

Die Zeit im Bauch der Mutter kann große Auswirkungen auf das weitere Leben des werdenden Menschen haben. Dass sich etwa starker Alkoholkonsum fatal auf die Hirnentwicklung des Fötus auswirken kann, ist seit langem bekannt. Es können aber auch andere Umwelteinflüsse Folgen haben. Für Furore sorgte im Jahr 2008 eine Studie, die zeigte, dass Menschen, die während einer Hungersnot in den Niederlanden am Ende des Zweiten Weltkriegs gezeugt wurden, im späteren Leben signifikant höhere Raten an Stoffwechselerkrankungen aufwiesen.

Das führte zu der Vermutung, dass die Unterernährung der Mütter die Art und Weise dauerhaft prägte, wie der Körper der Neugeborenen im Laufe ihres weiteren Lebens Nahrung verarbeitete. Molekularbiologische Spuren erhärteten die Hypothese. Zwar hatte sich nichts an den Genen selbst verändert, wohl aber an bestimmten chemischen Strukturen des Genoms – konkret: an jenen molekularbiologischen Markern, die für die Expression beziehungsweise Aktivität der Gene sorgen.

Boom der Epigenetik

Diese Studie sorgte prompt für einen Boom dieses neuen Forschungsfelds: Epigenetik war plötzlich in aller Munde. Weitere Untersuchungen folgten, die solche Effekte mehr oder weniger erfolgreich unter die Lupe nahmen. Auch die Vererbung solcher epigenetischen Muster wurde wieder heftig debattiert. Bis heute konnten allerdings nur wenige Untersuchungen solche epigenetischen Veränderungen beim Menschen auch nur in der ersten Generation nachweisen.

Das liegt mitunter daran, dass es natürlich unethisch wäre, Mütter absichtlich schädlichen Ereignissen wie Hunger auszusetzen, um zu sehen, wie die Genexpression geformt wird. Forscherinnen und Forscher blicken also auf historische Hungersnöte oder andere Katastrophen zurück, um festzustellen, ob diese Ereignisse die Biologie der Menschen später im Leben beeinflusst haben.

Langfristige Auswirkungen

Die jüngste Studie, die zeigt, wie sehr sich kollektive Krisensituationen auf die in dieser Zeit Geborenen auswirken, stammt aus den USA. Analysiert wurden die Zellen von Menschen, die während der "Great Depression" geboren worden waren, die von 1929 bis 1939 dauerte und auf deren Höhepunkt etwa ein Viertel der arbeitsfähigen US-Bevölkerung arbeitslos war. Hauptergebnis des Fachartikels im Journal "PNAS": Die Zellen wiesen Anzeichen einer beschleunigten Alterung auf.

Das Besondere an der Untersuchung, die von der Ökonomin Lauren Schmitz (University of Wisconsin–Madison) und Valentina Duque (American University, Washington, D. C.) durchgeführt wurde, ist das Alter der Personen, bei denen diese epigenetischen Veränderungen entdeckt wurden. Diese Menschen waren zum Zeitpunkt der Analyse ihrer Zellen jenseits der 70 oder 80 Jahre alt. Der Umweltepigenetiker Patrick Allard (UCLA), der an der Studie nicht beteiligt war, hält diese Tatsache für "umwerfend", wie er gegenüber dem Fachblatt "Nature" sagte: Die Studie werde ihren Weg in die Lehrbücher finden.

Biologische Erklärungen

Wie aber erklärt sich die Wissenschaft diese auch politisch relevanten Ergebnisse auf biologischer Ebene? In den frühesten Entwicklungsstadien ist ein Embryo ein Zellpaket mit viel Potenzial, das genetische Anweisungen für den Aufbau aller Komponenten des Körpers enthält. Im Laufe der Zeit fügen die Zellen jedoch chemische Modifikatoren, sogenannte epigenetische Markierungen, zu ihrer DNA hinzu. Diese bestimmen, wie diese Zellen und ihre Nachkommen die Anweisungen ausführen. Die Markierungen werden durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, darunter fallen Hormone, Ernährung und das Umfeld des Menschen.

Durch den Vergleich von Alterungsmarkern bei rund 800 Menschen, die in den 1930er-Jahren geboren wurden, stellte das Autorinnenduo fest: Diejenigen, die in den von der Rezession am stärksten betroffenen US-Bundesstaaten geboren wurden (also etwa Kalifornien), wiesen ein Muster von Markern auf, das ihre Zellen älter aussehen ließ, als sie sein sollten. Bei Menschen, die in Bundesstaaten geboren wurden, denen es in den 1930er-Jahren besser ging, waren die Auswirkungen weniger stark.

Aktuelle Bedeutung der Studie

Unklar bleibt allerdings, ob Ernährung, Stress oder ein anderer Faktor für die beschleunigte Alterung verantwortlich war. Nichtsdestotrotz macht die Studie deutlich, wie sehr die frühe Entwicklung für die Gesundheit und die Krankheitsfolgen im späteren Leben von Bedeutung ist. Und die Untersuchung hat auch hohe Aktualität, zum einen natürlich wegen aktueller Krisensituationen in vielen Gegenden der Welt.

Zum anderen erscheint auch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA, das Recht auf Abtreibung auf Bundesebene aufzuheben, noch einmal als besonders problematisch, wie Schmitz meint. Viele Studien würden nämlich klar zeigen, dass Frauen, denen nach einer ungewollten Schwangerschaft eine Abtreibung verweigert wird, sehr viel eher in finanzielle Not geraten als Frauen, die Zugang zu einer Abtreibung haben. (Klaus Taschwer, 23.11.2022)