Smartphones können derzeit sehr leicht sichergestellt werden. Staatsanwaltschaften haben damit Zugriff auf eine Fülle an Daten, was Anwältinnen und Anwälte kritisieren.

Foto: Matthias Cremer

Fingerabdrücke und Briefe waren gestern. Heute sind es vermehrt Smartphones und die darauf gespeicherten Daten, die in Strafverfahren den Ausschlag geben. Ermittlerinnen und Ermittler haben dabei einen entscheidenden Vorteil: Handys, die oftmals einen regelrechten Datenschatz verbergen, gelten als "Gegenstände" und können relativ einfach sichergestellt werden. Die Rechtsanwaltskammer ortet deshalb rechtsstaatliche Bedenken und legte einen detaillierten Reformvorschlag vor. Dieser stößt jedoch nicht allerorten auf Zustimmung und ist politisch umstritten.

Kritik an Rechtslage

Die Anwältinnen und Anwälte kritisieren die derzeitige Praxis, wie Handys, Laptops und Co bei Ermittlungen sichergestellt und ausgewertet werden können. Erforderlich ist weder eine gerichtliche Bewilligung noch ein dringender Tatverdacht. Die Strafprozessordnung stamme in diesem Punkt aus der "digitalen Steinzeit", sagt Anwaltspräsident Armenak Utudjian. Konkret aus dem Jahr 2004, drei Jahre vor Präsentation des ersten iPhones.

Der Gesetzesvorschlag

Diese Ansicht teilt auch Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes, die im Auftrag der Kammer einen Gesetzesvorschlag erarbeitet hat. Demnach sollen für die Sicherstellung und Auswertung von Handydaten und Co künftig dieselben strengen Regeln gelten wie für die direkte Überwachung von Nachrichten oder Telefonaten. So soll dafür etwa eine richterliche Bewilligung notwendig sein. Die Straftat müsse zudem mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sein. Auch reiche ein Anfangsverdacht nicht mehr aus, es müsse dringender Tatverdacht vorliegen. Betroffene sollen außerdem darüber informiert werden, welche Daten konkret ausgewertet werden. Darüber hinaus brauche es klare Regeln für Zufallsfunde. Nicht zuletzt soll die Akteneinsicht von Mitbeschuldigten eingeschränkt werden können. Das soll bewirken, dass weniger Akten öffentlich werden.

Erschwerte Arbeit

Der Gesetzesvorschlag würde den Staatsanwaltschaften ihre Arbeit erschweren. "Wir sind gesprächsbereit, in manchen Punkten wären Änderungen zeitgerecht, bei anderen sind wir skeptisch", sagt Bernd Ziska, Vizepräsident der Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, im STANDARD-Gespräch. So kann er etwa den Wunsch nach mehr Transparenz gegenüber Beschuldigten "nachvollziehen". Lasse man Sicherstellungen und Zufallsfunde aber etwa nur bei Delikten ab einem Jahr Freiheitsstrafe zu, wären gefährliche Drohung, Stalking oder Verleumdung nicht erfasst. Auch Barbara Ille, Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, sieht den Reformvorschlag deshalb kritisch. In sehr vielen Fällen spielen gefährliche Drohungen und Stalking via Handychats eine wichtige Rolle. "Die Beweislage ist jetzt schon schlecht", sagt Ille dem STANDARD. "Es wäre bedauerlich, wenn wir künftig noch weniger Beweise zur Verfügung hätten."

Türkis-grüner Tausch?

Den Gesetzesvorschlag will das Justizministerium nicht kommentieren, weil dieser "bisher nicht an das Ministerium herangetragen wurde", heißt es auf STANDARD-Anfrage. Die Regierung plant unabhängig davon, die Rechte von Beschuldigten auszubauen. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker stellt einen möglichen türkis-grünen Abtausch in den Raum: die Einschränkung von Handy-Sicherstellungen gegen die von den Grünen geforderte Erweiterung des Korruptionsstrafrechts. Dem dürften die Grünen dem Vernehmen nach wenig abgewinnen können. Nach STANDARD-Informationen soll die Ausweitung der Beschuldigtenrechte im Zusammenhang mit den Verhandlungen über die neue Bundesstaatsanwaltschaft besprochen werden.

Parteien gespalten

Während der Vorschlag bei ÖVP, FPÖ und Neos auf Zustimmung stößt, sind SPÖ und Grüne skeptisch. Stocker halte diesen "für insgesamt richtig". FPÖ-Justizsprecher Harald Stefan spricht sich für höhere Hürden bei der Abnahme von Geräten aus. Auch Neos-Vizeklubchef Nikolaus Scherak ist der Ansicht, dass es zeitgerechte Änderungen der Strafprozessordnung braucht. Für SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim bringe der Vorstoß "große Risiken", dass in Kriminalfällen schwerer ermittelt werden könne. Die grüne Justizsprecherin Agnes Sirkka Prammer will "auf keinen Fall" Ermittlungen erschweren.

Aktuelle Ermittlungen

Utudjian unterstrich, dass die Forderungen der Anwälte in "keinem Zusammenhang" mit aktuellen Ermittlungen stünden. Anders sieht das Oliver Scheiber, Vorsteher des Bezirksgerichts Meidling. Auf Twitter schreibt der Strafrichter, dass sich die Rechtsanwaltskammer gerade jetzt, "wo Wirtschaftsverbrechen und politische Korruption aktuell sind" wegen Handyauswertungen und Zufallsfunden sorge. Diese Auswertungen seien "seit jeher üblich bei Suchtmittelbrechen, bei Einbrüchen, bei Kinderpornografie". Da sei das "nie ein Problem" gewesen. Zerbes wiederum betonte, dass eine solche Neuregelung bei den Geräteabnahmen in ÖVP und Kanzleramt im Vorjahr für keinen großen Unterschied gesorgt hätten – weil es sich um Straftaten handelt, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind. (Sandra Schieder, Jakob Pflügl, 22.11.2022)