Es geht ums Geld. 430.000 Beschäftigte im Handel warten auf neue Kollektivverträge.

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Am Dienstag nahmen die Sozialpartner zum vierten Mal Anlauf für neue Kollektivverträge im Handel, und zum vierten Mal wurden sie ergebnislos abgebrochen – diesmal gegen 22 Uhr abends.

Die Gewerkschaft hatte bereits vorab klargestellt: Sollte es am Dienstag keine Einigung geben, seien weitere Betriebsversammlungen sicher und in der Folge Warnstreiks. Protestkundgebungen gingen bereits vergangene Woche über die Bühne.

Die Sozialpartner müssen über die Gehälter von 430.000 Angestellten entscheiden. Rund 70 Prozent von ihnen sind Frauen, knapp 37 Prozent arbeiten in Teilzeit. Die Vorstellungen der Gewerkschaft und Arbeitgeber liegen weit auseinander. Auf ein Plus von zehn Prozent pochten die Arbeitnehmer. Geboten wurden ihnen zuvor vier Prozent mehr in Verbindung mit Einmalzahlungen.

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Vor allem große Handelskonzerne machten Druck auf einen finalen Abschluss, auch um finanzielle Unsicherheiten aus dem Markt zu nehmen. Die Verhandlungen drohten im Verlauf des Abends zu scheitern, wurden jedoch erneut aufgenommen, um letztlich dann doch ergebnislos zu bleiben.

"Gegen eine Wand reden"

Er fühle sich, als würde er gegen eine Wand reden, sagt Rainer Trefelik, Chefverhandler der Arbeitgeber, im Gespräch mit dem STANDARD. Er ortet einen neuen Verhandlungsstil, der auf Konfrontation ausgerichtet sei. Man habe der Gewerkschaft ein Paket aus nachhaltiger Erhöhung und Teuerungsprämien vorgelegt, das in Summe auf eine Gehaltssteigerung von acht Prozent abziele. Wer dies ablehne, bewege sich offenbar in luftleerem Raum, kritisiert Trefelik. Aus seiner Sicht sei in Zeiten, die noch keiner in der Branche erlebt habe, eine Verschränkung der Module notwendig.

Die Gewerkschaft lehnt Einmalzahlungen weiterhin ab. "Die Arbeitgeberseite ist überzeugt, dass eine Einmalzahlung in der Zeit der hohen Teuerung ein gutes Instrument ist. Wir als Gewerkschaft sagen: 'Nein'!", stellt Chefverhandlerin Helga Fichtinger gegenüber dem Ö1-"Morgenjournal" klar. Die Gewerkschaft gab bei ihrer Lohnforderung etwas nach und verlangt nun 8,5 Prozent plus einen Mindestbetrag. Niedrige Einkommen würden sich damit zweistellig erhöhen. Im Schnitt würde das Gehaltsplus 9,37 Prozent ausmachen. Trefelik nennt dies ein Entgegenkommen im Mikrobereich. "Ein Kompromiss ist etwas anderes."

Die Gewerkschaft bietet einen neuerlichen Verhandlungstermin für den 29. November an. Andernfalls stehen Streiks am 2. und 3. Dezember im Raum.

Die Messlatten

Die Metaller einigten sich nach vier Runden und gut 20 Wirtschaftsgesprächen auf die Erhöhung der Istlöhne um im Schnitt 7,4 Prozent. 71 Stunden wurde dafür offiziell verhandelt. Traditionell liegen die Lohnanpassungen der rund 200.000 Metaller einige Prozentpunkte über denen der Handelsangestellten.

Fertig auf dem Tisch liegen heuer auch die Abschlüsse der Sozialwirtschaft. Ihre Löhne und Gehälter steigen um bis zu 10,2 Prozent und damit deutlich über der Inflation. Wie im Einzelhandel arbeiten in der Pflege, im Gesundheits- und Sozialbereich mit großer Mehrheit Frauen.

Das gilt auch für die Reinigungsdienste, deren Mitarbeiterinnen zusehends in andere Branchen abwandern. Die Gewerkschaft fordert für sie einen Mindestlohn von 2.000 Euro brutto. Geboten werden 1.815 Euro. Bei den Eisenbahnern, den Brauereien und den Ordensspitälern stehen die Zeichen derzeit auf Streik.

Die Spielräume

Als Richtschnur für die laufenden Verhandlungen dient eine Inflationsrate von 6,9 Prozent. Wie viel Spielraum der Handel für höhere Löhne und Gehälter hat, liegt in der Natur des Betrachters.

Der Arbeiterkammer zufolge haben viele Konzerne in den vergangenen Jahren sehr gut verdient. Die Gewerkschaft hat dabei vor allem große Lebensmittelketten im Blick, auf deren Gehaltszettel nahezu jeder dritte Handelsangestellte steht.

Aus Sicht der Arbeitgeber wächst der Druck auf die Branche seit Corona. Von multiplen Krisen ist die Rede, die den Handel auszehren. Zum einen kostet teure Energie reichlich Substanz. Zum anderen ist die hohe Inflation Gift für den Konsum. Nicht nur einkommensschwächere Haushalte schränken ihre Ausgaben ein.

Der Anteil der Personalkosten im Handel ist höher als jener der Industrie. Margen sind niedriger. Starker Wettbewerb schränkt die Möglichkeiten für Preiserhöhungen ein.

Die Baustellen

Arbeit im Handel ist kein Magnet. Mindestgehälter von monatlich 1.800 Euro brutto machen Jobs im Verkauf für viele Österreicher bisher zur zweiten Wahl. Fast 37 Prozent der Stellen basieren auf Teilzeitarbeit. Sie gibt Unternehmen Flexibilität für ihre Dienstpläne. Wer als Alleinerzieherin darauf angewiesen ist, gerät damit rasch an die finanziellen Grenzen, vor allem, wenn wie heuer die Lebenshaltungskosten davongaloppieren.

Höhere Verdienstmöglichkeiten könnten die Flucht aus dem Handel bremsen. Aus Sicht vieler Beschäftigter braucht es zudem Arbeitsbedingungen, die sich mit dem Familienleben besser vereinbaren lassen.

Am Limit sehen sich freilich auch zahlreiche Betriebe. Hilfen während der Corona-Krise liefen aus. Pleiten nehmen zu, Jobs wackeln. Tausende Geschäfte stehen vor der Schließung. Das hat nachhaltige Folgen für Ortskerne. Geben Nahversorger auf, geht Lebensqualität verloren.

Der Ausblick

Ein Kollektivvertrag hat Signalwirkung. Vor allem junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer orientieren sich bei ihrem Einstieg ins Berufsleben daran. Derzeit sind im Einzelhandel tausende Stellen unbesetzt, was den Arbeitsdruck auf das bestehende Personal nicht erst seit der Pandemie erhöht.

Auf widrige Zeiten muss sich der Handel auch wirtschaftlich einstellen. In Österreich zeichnet sich für ihn heuer ein reales Umsatzminus ab. Die Aussichten für 2023 sind gedämpft. Spürbaren Rückenwind erleben lediglich große Diskonter, die ungebrochen rasant expandieren.

Vorbei ist vorerst auch der Boom der Onlineriesen. Marktforscher in Österreich wie in Deutschland rechnen heuer mit um die Inflation bereinigten Umsatzrückgängen. Amazon etwa will weltweit an die 10.000 Jobs streichen. Zu schwer wiegt für den Konzern das Risiko der Inflation und Rezession. Die Aktie brach ein. Seine neue Devise: Kosten senken. (Verena Kainrath, 22.11.2022)