Die Balz der Großtrappen gehört mit zum Spektakulärsten, das die Vogelwelt in unseren Breiten – etwa auf der Pannonischen Platte oder bei Andau im Burgenland – zu bieten hat: Ab Ende März kehren die bis zu 16 Kilogramm schweren Männchen (die damit zu den schwersten flugfähigen Lebewesen der Erde zählen) ihr weißes Untergefieder hervor, blähen den Kehlsack auf und verwandeln sich von einem eigenwillig daherstolzierenden Vogel in einen voluminösen weiß-braunen Federball, dessen Teile sich rhythmisch zu bewegen beginnen.

HPnaturfilm

Die halb so schweren Weibchen dieser polygamen Vogelart sollen dadurch – no na – beeindruckt werden. Die Hennen wollen es von den Hähnen aber vielfach noch genauer wissen und führen eine indiskrete Fleischbeschau durch: Sie inspizieren die Kloake – also das Geschlechtsorgan – der Männchen, um zu sehen, ob es sauber ist, also frei von Parasiten.

Sex mit den Saubereren

Wie aber kriegen die Hähne ihre Intimzone sauber? Bereits vor knapp zehn Jahren vermutete einem Team von Ornithologinnen und Ornithologen in Spanien, wo 70 Prozent aller Großtrappen weltweit leben, dass die Männchen Ölkäfer fressen dürften, die zu den giftigsten Insekten Europas zählen. Die Käfer produzieren das Toxin Cantharidin, das die Großtrappen in kleineren Dosen recht gut vertragen, ihre Parasiten hingegen nicht. Womöglich hat die Ölkäferdiät aber nicht nur reinigende Folgen: Cantharidin ist auch ein Hauptbestandteil der Spanischen Fliege, eines Potenzmittels, das aus zerriebenen Exemplaren einer Ölkäferunterart hergestellt wird.

Nun hat diese spanische Forschergruppe um Azucena Gonzalez-Coloma und Luis Bautista-Sopelana im Fachblatt "Frontiers in Ecology and Evolution" noch einmal nachgelegt: Deren neue Recherchen legen nahe, dass die Großtrappen auch noch gezielt zwei Unkrautarten fressen, deren Wirkstoffe Krankheitserreger abtöten können. Solche Formen der Selbstmedikation sind bei vielen Tierarten – Primaten, Bären, Hirschen, Elchen, Honigbienen oder Fruchtfliegen – gut dokumentiert, selten allerdings bei Vogelspezies.

Die Lösung in der Losung

Für ihre Studie sammelten die Biologinnen und Biologen insgesamt 623 Exkremente von weiblichen und männlichen Großtrappen ein, davon 178 während der Paarungszeit im April. Unter dem Mikroskop ermittelten sie erkennbare Überreste (Gewebe von Stängeln, Blättern und Blüten) von insgesamt 90 Pflanzenarten, die bekanntermaßen auf dem Speiseplan der Trappen stehen. Die Analysen zeigten aber auch, dass zwei Pflanzen von den Großtrappen häufiger gefressen werden, als aufgrund ihres Vorkommens zu erwarten wäre: Klatschmohn (Papaver rhoeas) und Natternkopf (Echium plantagineum).

Vor allem in der Balz- und Paarungszeit fressen die Großtrappen Klatschmohn und den Natternkopf.
Franz Josef Kovacs

"Großtrappen wählen diese beiden Pflanzenarten vor allem in der Paarungszeit im April aus, wenn ihr Energieaufwand am größten ist", sagt Bautista-Sopelana: "Und die Männchen, die in diesen Monaten einen Großteil ihrer Zeit und ihres Energiebudgets für die sexuelle Zurschaustellung aufwenden, bevorzugen sie mehr als die Weibchen." Von diesen beiden Arten wird die erste von Rindern gemieden. In der traditionellen Medizin werden sie als Schmerzmittel, Beruhigungsmittel und zur Stärkung des Immunsystems verwendet. Die zweite ist für Menschen und Rinder giftig, wenn sie in großen Mengen verzehrt wird.

Alkaloide gegen Parasiten

Die beiden Unkrautarten sind auch ernährungsphysiologisch wertvoll: Die Samen des Klatschmohns sind reich an Fettsäuren, während die Samen des Violetten Natternkopfs reich an Speiseölen sind. Chemische Analysen offenbarten zudem flüchtige ätherische Öle und Alkaloide, die von vielen Pflanzen zur Abwehr von Pflanzenfressern produziert werden: Der Klatschmohn etwa weist viele bioaktive Alkaloide wie Rhoeadin, Rhoeagenin, Epiberberin und Canadin auf.

Anschließend testete das Team die Aktivität der isolierten Wirkstoffe gegen drei häufige Vogelparasiten: den Einzeller Trichomonas gallinae, der unter anderem für das Grünfinkensterben sorgte, den parasitärer Wurm Meloidogyne javanica und den Pilz Aspergillus niger. Die Ergebnisse bestätigten, dass Extrakte aus beiden Pflanzen Protozoen und Nematoden in vitro hochwirksam hemmen bzw. abtöten, während Purpurvipernkraut auch mäßig aktiv gegen Pilze ist.

Mehrfacher Nutzen für die Tiere

Die Heil- beziehungsweise Giftpflanzen dürften aber nicht nur bei der sexuellen Selektion von Bedeutung sein. Die Männchen müssen während der Paarungszeit besonders ausdauernd sein, was vermutlich dazu führt, dass ihre Immunabwehr auf dem Nullpunkt ist – und da hilft traditionelle Medizin. Die Weibchen wiederum leben (und kacken) im Normalfall ihr ganzes Leben lang auf jenem Gebiet, auf dem sie geschlüpft sind. Das erhöht natürlich die Gefahr, sich immer wieder mit den gleichen Parasiten zu infizieren.

Beide Geschlechter von Großtrappen würden folglich davon profitieren, wenn sie in der Balz- und Paarungszeit, in der bei den polygamen Tieren sexuell übertragbare Krankheiten häufig sind, nach Heilpflanzen suchen, so Azucena Gonzalez-Coloma resümierend. Es seien aber noch weitere Forschungen durchzuführen, um die neuen Ergebnisse zu bestätigen. (Klaus Taschwer, 26.11.2022)