Im Gastblog berichten die Archäologinnen Lucia Clara Formato, Kayleigh Saunderson und Karina Grömer über die Bedeutung eines burgenländischen Gräberfelds aus den ersten Jahrzehnten nach Christus.

Im Oktober 2021 konnte an dieser Stelle bereits über laufende Forschungsprojekte am Österreichischen Archäologischen Institut berichtet werden. Im Fokus stand auch die archäologische Untersuchung des Potzneusiedler Gräberfelds im Burgenland. Ein Jahr und zahlreiche minutiöse Analysen später sind wir um wesentliche Erkenntnisse reicher. In den Gräbern der hier Bestatteten konnten sowohl zahlreiche überregionale als auch lokale Einflüsse nachgewiesen werden. Dies betrifft auch die in den Gräbern gefundenen Textilreste, die im Naturhistorischen Museum in Wien untersucht wurden.

Das Potzneusiedler Gräberfeld

Nahe der heutigen Ortschaft Potzneusiedl wurde 2011 im Zuge eines Windradbaus ein Gräberfeld archäologisch ausgegraben. Bereits bei der Entdeckung deutete sich die Besonderheit dieser Fundstelle an. Zahlreiche Bestattungen waren 2.000 Jahre unberührt im Boden geblieben. Die reichen Grabausstattungen – mit Fibeln (Gewandnadeln), Schmuck und Keramikgefäßen – sind einmalig.

Grab 99. Das Grab enthielt neben Keramikgefäßen (Nr. 527, 528 und 529) auch zwei Fibeln (Nr. 518 und 519) sowie eine fast komplette Gürtelgarnitur aus Buntmetall.
Foto: Österreichisches Bundesdenkmalamt/M. Czubak. Digitale Umzeichnung: St. Schwarz/L. Formato, ÖAW-ÖAI

Doch auch die zeitliche Stellung der Gräber ist bisher beispiellos: Erste Gräber sind in die Zeit der Eroberung der späteren Provinz Pannonien zu datieren, das heißt in die ersten Jahrzehnte nach Christus. Damit fallen diese in eine Zeit, als die ankommenden Römer – das Militär samt Zivilpersonen – in dieser Region auf die ursprünglich hier lebenden Menschen trafen.

Kontaktbereiche zwischen Kulturen

Die Potzneusiedler Siedler und Siedlerinnen dürften mit den römischen Neuankömmlingen ein friedliches Verhältnis gepflegt haben. Zumindest sind anhand der anthropologischen Untersuchungen, die auch Krankheiten und Verletzungen der Knochen im Blick hatten, keine Kampfhandlungen an den Verstorbenen nachzuweisen. In den Gräbern findet sich außerdem so manches Importstück aus dem Süden. Ein glasierter Gesichtsbecher stammt zum Beispiel aus Oberitalien.

Der glasierte Gesichtsbecher aus Grab 241 ist derzeit der einzige Fund dieser Art in Ostösterreich.
Foto: St. Schwarz/L. Formato, ÖAW-ÖAI

Die Potzneusiedler und Potzneusiedlerinnen bestatteten aber nach lokalen Bräuchen. Das ist erstens sehr gut an der Bestattungsart zu erkennen. In diesem Gräberfeld kommen im ersten Jahrhundert nach Christus nämlich fast ausschließlich Körpergräber vor – ein Brauch, der sehr ungewöhnlich für römische Traditionen wäre. Zu dieser Zeit war es nach römischer Sitte üblich, die Verstorbenen zu verbrennen, also Brandgräber anzulegen. Zweitens fällt auf, dass die Frauen in den Gräbern in regionaler Bekleidung beigesetzt wurden. Das zeigen uns die zahlreichen Fibeln aus den Gräbern.

Zusammenstellung einiger Fibeln aus den Potzneusiedler Gräbern (Grab 99 und 78).
Foto: St. Schwarz/L. Formato, ÖAW-ÖAI

Die Textilreste

Bei Textilien handelt es sich um ein seltenes Fundgut in der Archäologie – zum Glück wurden einige Fragmente aufgrund des Kontakts mit metallenen Grabbeigaben erhalten. Hierbei bilden die gelösten Metallsalze ein toxisches Umfeld für Mikroorganismen, womit organische Materialien unter bestimmten Bedingungen im Boden konserviert werden. In diesem Fall wurden die Textilien durch die Kupferlegierungen der Fibeln erhalten. Da einige Stoffreste an der Nadel anhaften, ist es sogar wahrscheinlich, dass es sich um Kleidungsreste handelt.

Um die genaueren technologischen Eigenschaften der Textilien zu dokumentieren, wurden die Potzneusiedler Textilreste mithilfe eines Digitalmikroskops analysiert. Dazu gehört auch die Kartierung der Mikrostratigrafie, wenn mehrere Schichten an organischem Material vorliegen, die weitere Interpretationen ermöglichen. Weiters ist es im Naturhistorischen Museum Wien auch möglich, die Fasern mit einem Rasterelektronenmikroskop noch viel genauer anzusehen. In manchen Fällen kann so auch bestimmt werden, aus welcher Tier- oder Pflanzenart die Fäden gesponnen wurden. Zum Beispiel ist eine Schuppenstruktur charakteristisch für viele tierische Fasern.

Auf einer Potzneusiedler Scheibenfibel wurden Reste verpuppter Larven gefunden. Anhand der Untersuchung unter dem Rasterelektronenmikroskop konnten diese als Buckelfliegen bestimmt werden. Diese waren sofort nach der Beerdigung an der Zersetzung der Leiche beteiligt. Ihre Anwesenheit zeigt, wie rasch die Mineralisierung und somit Konservierung organischer Materialien erfolgen kann, wenn die mikroklimatischen Umgebungsbedingungen perfekt passen.

Reste von Puparien der Buckelfliegen, aufgenommen mit dem Rasterelektronenmikroskop.
Foto: K. Saunderson

Die Untersuchungen ergaben, dass sowohl römische als auch "keltische" (latènezeitliche) Charakteristika bei den technologischen Eigenschaften der Textilien vorliegen. Das Textilhandwerk wurde also scheinbar nicht unmittelbar romanisiert. Das weist auf eine Phase des kulturellen Übergangs hin und konnte auch schon bei anderen Beigaben in den Potzneusiedler Gräbern festgestellt werden.

Wie könnten die Kleider der Potzneusiedler ausgesehen haben?

Die Fibeln wurden in den Frauengräbern paarig getragen, also eine an jeder Schulter. Ähnliches ist auch auf norisch-pannonischen Grabstelen aus der römischen Zeit dargestellt.

Steinrelief aus Dunaújváros, Ungarn, mit zwei Frauen in typisch pannonischer Kleidung (Bestand des Magyar Nemzeti Múzeum in Budapest).
Foto: O. Harl, Datenbank LUPA [http://lupa.at/]

Auf diesen tragen die Frauen meist ein locker drapiertes Schlauchkleid (Peplos), welches mit diesen Fibeln an den Schultern gehalten wird. Darunter tragen sie ein langärmliges Unterhemd und einen Rock, wobei es einige Variationen in der Kleidung gibt – vor allem bei den Kopfbedeckungen. Ein interessantes Detail, das bei den Potzneusiedler Textilien festgestellt wurde und auch auf Grabstelen gesehen werden kann, war, dass dieses Überkleid direkt an den Rändern des Stoffs gefibelt und manchmal auch direkt auf der Haut ohne Unterkleid getragen wurde.

Auch die häufig dargestellte Fältelung des Gewandes spiegelte sich bei den Funden wider. Außerdem konnte in den Potzneusiedler Gräbern eine eigene Variante der norisch-pannonischen Tracht festgestellt werden, wie wir sie auch auf Grabstelen dargestellt finden. Hier wurde das Untergewand mit einer Scheibenfibel an der Brust verschlossen.

Textil- (gelb gekennzeichnet) und Hautreste (rot) auf einer Fibel aus Grab 101.
Foto Fibel: St. Schwarz/L. Formato, ÖAW-ÖAI; Mikroskopfotos: K. Saunderson

Die Sitte, als Frau Kleidung zu tragen, die mit zwei Fibeln an den Schultern gehalten wird, geht weit zurück bis in die Urgeschichte (wir kennen auch Beispiele aus Hallstatt aus dem achten Jahrhundert vor Christus) und kann somit als vorrömische Tradition angesehen werden. Interessanterweise waren es die Frauen, die diese Traditionen noch weit bis in das zweite Jahrhundert nach Christus in den Provinzen Noricum und Pannonien beibehielten. Die Männer nahmen rasch römische Bekleidungsweisen wie das Tragen der bekannten Toga und sehr wahrscheinlich auch rascher die römische Kultur an. (Lucia Clara Formato, Kayleigh Saunderson, Karina Grömer, 24.11.2022)