Künstliche Intelligenz hilft, Erdbeobachtungsdaten zu analysieren. Kooperiert wird mit der Raumfahrtagentur Esa.
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Künstliche Intelligenz (KI) ist heute auf breiter Basis in der Praxis angekommen. Die dafür eingesetzten Programme und Algorithmen lernen dabei, in großen Datenmengen bestimmte Muster wiederzuerkennen. In der bildgebenden Diagnostik erkennen sie etwa Tumoren oder andere Phänomene auf den Aufnahmen. In der Industrie helfen sie bei der Qualitätskontrolle und bei einer vorausschauenden Wartung. Jeder Handybesitzer, der eine automatische Gesichtserkennung einschaltet, nutzt damit auch KI.

Überlastete Spezies

Trotz der hohen Durchdringung ist die Entwicklung der Algorithmen in den meisten Organisationen nur wenigen Fachleuten vorbehalten. Datenwissenschafterinnen und Datenwissenschafter wurden zur gesuchten – und oft überlasteten – Spezies. An ihnen liegt es, die Systeme aufzusetzen, egal ob diese komplexe Rechtstexte oder Sensordaten auswerten. Ob sie Know-how in den Praxisfeldern haben, in denen ihre Systeme ein gesetzt werden, ist meist kein relevantes Kriterium.

Im Start-up MLReef möchte man diese Art der KI-Entwicklung verändern. Gründer und Geschäftsführer Camillo Pachmann entwickelt mit seinem Team eine kollaborative Entwicklungsplattform, über die Data-Scientists, Fachexperten aus der Praxis, aber auch das Management zusammenarbeiten. Der Druck, der auf den Datenspezialisten lastet, soll reduziert, die Kommunikation mit Fachleuten und Anwendern verbessert und systematisiert werden. "Alle Beteiligten sollen ihr Wissen einbringen und die Prozesse besser verstehen lernen", sagt Pachmann. "Die Entwicklung soll gemeinschaftlicher und demokratischer werden." Letztlich soll damit auch eine zentrale Gefahr gebannt werden – nämlich dass das System am eigentlich zu lösenden Problem vorbeientwickelt wird.

Mehrfach-Unternehmer

2015 erfasste die Welle der künstlichen Intelligenz immer mehr Organisationen und Branchen. Pachmann, der davor schon mehrere Technologie-Start-ups gegründet hatte, sah auch hier eine Chance. Die ersten Jahre des Engagements bezeichnet er als "Findungsphase": "Wir wickelten Machine-Learning-Projekte für Kunden ab. Unsere Lernkurve war enorm." 2019 wurde MLReef in der heutigen Form aus der Taufe gehoben. Unterstützung und Investitionen kamen vom Inkubator Accent des Landes Nieder österreich und der Finanzierungs gesellschaft Tecnet.

Damals tauchte international immer öfter der Begriff MLOps auf. Analog zum gut eingeführten Begriff DevOps, der Best-Practice-Werkzeuge für Softwareentwicklung zusammenfasst, geht es hier um Methoden für eine kollaborative und hochqualitative Entwicklung von KI-Modellen. "Unternehmen in den USA sind dabei Vorreiter. In Europa konnte diese Praxis bis heute aber kaum Fuß fassen", sagt Pachmann. Das zeigt sich auch im Markt. Kollaborative KI-Entwicklungs plattformen sind dort bereits Multimilliarden-Dollar-Firmen.

MLReef will die gesamte Wertschöpfungskette eines KI-Systems abbilden. Das reicht von der Problemdefinition über die Beschaffung und Aufbereitung der zentral verwalteten Daten bis zum experimentellen Training von diversen Algorithmus-Varianten, um eine optimale Lösung zu finden. Am Ende folgen die Validierung des Systems und die Anwendung in der Praxis.

Individueller Zugang

Jeder Mitentwickler bekommt dabei einen Zugang zur Plattform, die seiner Funktion entspricht. Datenwissenschafter haben naturgemäß die volle Macht über den Code, während Fachleuten und Anwendern vereinfachte Funktionalitäten zur Verfügung stehen. Sie arbeiten mit vorgefertigten Programmmodulen, die wie Bausteine aneinandergefügt und ausgeführt werden können. Pachmann und Team arbeiten etwa noch daran, dass die Plattform Projekte in jeder Organisationsgröße stemmen und noch mehr interne Kommunikationsmöglichkeiten bieten kann. Auch ein Managementzugang soll entstehen, der relevante Information in Dashboards aufbereitet.

Wie viele Digital-Start-ups arbeitet MLReef mit einem Team, das über die ganze Welt verstreut ist. Sechs Vollzeitmitarbeitende, Freelancer und Consultants arbeiten alle "remote". Die Kunden kommen aus verschiedensten Bereichen. Einmal geht es um die Entwicklung einer künstlichen Intelligenz, die Inhalte in Verträgen erkennt, ein anderes Mal um Brustkrebsfrüherkennung.

Satellitendatenauswertung für alle

MLReef kooperiert zudem mit dem auf Satellitendatenauswertung spezialisierten Phi-Lab der Raumfahrtagentur Esa, zu der auch das Klimaschutzministerium jährlich finanzielle Beiträge leistet. "Wir haben etwa einen Hackathon über unsere Plattform organisiert. Teilnehmende aus ganz Europa haben dabei verschiedene Projekte aus dem Bereich der Erdbeobachtung umgesetzt – von der Analyse der Korallenbleiche bis zur Untersuchung des Waldzustands", sagt Pachmann.

In einer Institution, in der es ein stetiges Kommen und Gehen von Postdocs und Studierenden gibt, bietet so eine Plattform einen weiteren Vorteil: Die Modelle bleiben dort auffindbar und können immer wieder neu aufgegriffen werden. (Alois Pumhösel, 25.11.2022)