Al Rayyan – Die deutschen Fußball-Nationalspieler haben sich beim Mannschaftsfoto unmittelbar vor dem Anpfiff der WM-Partie gegen Japan und vor den Augen des anwesenden Fifa-Bosses Gianni Infantino demonstrativ die Hand vor den Mund gehalten. Die DFB-Auswahl sendete damit am Mittwoch sehr offensichtlich ein Zeichen an den Fußball-Weltverband, der in Katar die "One Love"-Kapitänsbinde von Manuel Neuer und sechs weiteren europäischen Mannschaftskapitänen verboten hatte.

"Wir wollten mit unserer Kapitänsbinde ein Zeichen setzen für Werte, die wir in der Nationalmannschaft leben: Vielfalt und gegenseitiger Respekt. Gemeinsam mit anderen Nationen laut sein. Es geht dabei nicht um eine politische Botschaft: Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Das sollte selbstverständlich sein. Ist es aber leider immer noch nicht. Deshalb ist uns diese Botschaft so wichtig", ließ der Deutsche Fußball-Bund (DFB) via Instagram wissen und fügte hinzu: "Uns die Binde zu verbieten, ist wie den Mund zu verbieten. Unsere Haltung steht."

Die Aktion bleibt ohne Folgen. Die FIFA-Disziplinarkommission wird nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur kein Verfahren einleiten. Neuer trug stattdessen am Mittwoch im Khalifa International Stadion in Al Rayyan die von der FIFA vorgegebene "No Discrimination"-Binde, die gegen Diskriminierung jeder Art stehen soll.

"Wir lassen uns vielleicht die Binde nehmen, aber wir lassen uns niemals unsere Stimme nehmen. Und unsere Werte", sagte Neuer nach dem bitteren 1:2 gegen Japan. "Wir stehen für Menschenrechte ein. Das wollten wir damit zeigen." Die Idee sei im Mannschaftskreis entstanden. "Wir wollten unbedingt was machen. Uns war klar, dass wir ein Zeichen setzen wollten", sagte Neuer. "Das ist ein Fingerzeig."

Die "OneLove"-Binde war dann im Stadion trotzdem zu sehen. Die deutsche Bundesinnenministerin Nancy Faeser trug die Armschleife. Die SPD-Politikerin zeigte die Binde, die sie zunächst unter ihrem pinken Blazer trug, im Verlauf der ersten Halbzeit, als sie den Blazer auszog. Gemeinsam mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf verfolgte Faeser die Partie. Vor dem Anpfiff waren beide auch mit Infantino zusammengetroffen.

"Die FIFA-Entscheidung ist ein großer Fehler und inakzeptabel. Es ist nicht in Ordnung, in solch einer Art und Weise in ein Turnier einzugreifen. Ich hoffe, dass rechtlich geklärt wird, ob es überhaupt zulässig ist, Sanktionen zu verhängen", sagte Faeser der ARD. Leise Kritik übte sie dennoch am DFB. "Ich hätte mir eine klarere Haltung gewünscht, aber es ist eine gemeinsame Entscheidung aller Verbände", sagte die 52-Jährige. Zugleich relativierte sie: "Der DFB ist nicht der Ursprung. Der Ursprung ist die FIFA."

Die deutsche Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Gespräch mit Fifa-Präsident Gianni Infantino.
Foto: Reuters/Smith

Die FIFA hatte sportliche Sanktionen angedroht für den Fall, dass die mehrfarbige "One Love"-Kapitänsbinde bei den WM-Spielen in Katar doch getragen wird. Der DFB verzichtet daher wie alle an der Kampagne teilnehmenden Nationen auf die geplante Aktion.

"Die FIFA arbeitet mit Einschüchterung und Druck, das muss man zunächst konstatieren", sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf in der ARD. "Ich stehe zu allem, was ich gesagt habe zum Thema Menschenrechte. Wir sind in der Opposition zur FIFA, das ist ganz wichtig, dass das hier deutlich wird. Wir müssen überlegen, welche Schlüsse wir daraus ziehen."

DFB-Direktor Oliver Bierhoff hatte in der Debatte wenige Stunden vor dem deutschen WM-Auftakt um mehr Verständnis aus der Heimat für die Spieler geworben. "Letztlich bekommen die Spieler immer wieder Kritik ab. Das tut natürlich an der einen oder anderen Stelle weh, weil man denkt: Wann ist es genug und wann kann ich mich auf die WM konzentrieren", sagte Bierhoff am Mittwoch in der ARD.

Die vielen kritischen Reaktionen aus Deutschland würden die Spieler sehr beschäftigen, berichtete der 54-Jährige. Schließlich sei man das Thema "schon vor einem Jahr sehr ernsthaft angegangen", betonte Bierhoff. Es habe vor der WM in Katar Gespräche mit Menschenrechtsorganisationen und Betroffenen gegeben, zudem sei ein Symposium veranstaltet und eine Million Euro für die Nepal-Hilfe gespendet worden. Dass die FIFA die Aktion für eine gute Sache unterbunden habe, sei "ein herber Schlag" gewesen.

Für den in Utrecht in den Niederlanden ansässigen Hersteller der um 4,99 Euro erhältlichen "One Love"-Kapitänsbinden war das hilfreich. Er vermeldete, dass sie aktuell ausverkauft seien. 10.000 Stück seien, die meisten davon in den vergangenen zwei Wochen, verschickt worden. Weitere 10.000 sollen nun produziert werden. (APA, 23.11.2022)

Reaktionen

The Guardian (England):
"Deutschland sagt, wie es ist. Die Deutschen sind zwar langsam in das Spiel gestartet, waren aber schnell bei ihrem Statement vor dem Anpfiff."

The Mirror: (England):
"Eine mächtige Geste und ein klares Statement."

Gazzetta dello Sport (Italien):
"Keine Regenbogenbinde für den deutschen Kapitän, aber eine starke Geste gemeinsam mit seinen Mitspielern."

De Telegraf (Niederlande):
"Deutschland macht nach dem Verbot der 'One Love'-Binde eine plakative Aussage in Richtung der FIFA."

A Bola (Portugal):
"Auch ohne Armbinde leisten wir Widerstand. Deutschland hält an dem Protest gegen die FIFA fest."

B.T. (Dänemark):
"Deutschland sendet eine klare Botschaft mit dem offiziellen Mannschaftsfoto."