Selbst das Laden von Handys wird durch den Beschuss der Energieinfrastruktur immer schwieriger.

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Am Mittwoch heulten in der gesamten Ukraine erneut die Sirenen, um vor Luftangriffen zu warnen. Russland feuerte zahlreiche Raketen ab, die vor allem im Süden und Osten des Landes einschlugen. Doch auch in der Hauptstadt Kiew meldete Bürgermeister Witali Klitschko einen Angriff auf die kritische Infrastruktur, die Wasserversorgung wurde unterbrochen. Die Hauptstadtregion war ohne Strom, mindestens drei Menschen starben. Auch in der westlichen Stadt Lwiw gingen laut Bürgermeister Andrij Sadowyj die Lichter aus. In einem vor allem symbolischen Akt stufte das Europäische Parlament in Straßburg Russland als staatlichen Unterstützer von Terrorismus ein.

Frage: Seit Wochen bombardieren die russischen Streitkräfte gezielt ukrainische Energieinfrastruktur – was wurde zerstört?

Antwort: Gesicherte Informationen sind schwer zu erhalten. Die Ukraine hat natürlich kein Interesse daran, Moskau mitzuteilen, welche Kraftwerke, Umspannwerke und Stromleitungen noch intakt sind. Doch dringen immer wieder Informationshäppchen nach außen: So soll die ganze Hauptstadtregion nach dem jüngsten Beschuss am Mittwoch ohne Strom sein. Und im Oktober wurde bekannt, dass fünf Wärmekraftwerke beschädigt wurden. Anschließende Reparaturen waren erfolgreich – bis Mitte November der nächste russische Raketenbeschuss folgte. Es ist unklar, wie stark die Kraftwerke nun beschädigt sind.

Frage: Welche Ziele nehmen die Russen genau ins Visier?

Antwort: Tatsächlich sind es selten die Kraftwerke selbst, die unter Beschuss geraten. Vielmehr schlagen die russischen Raketen vor allem in Umspannwerke oder Überlandleitungen ein. Dadurch zerstört Moskau die Verbindung von Stromproduzenten zu einzelnen Betrieben und Haushalten.

Frage: Wie ist die Lage um das Atomkraftwerk Saporischschja?

Antwort: Vor dem russischen Einmarsch speiste das AKW Saporischschja ein Viertel des gesamten Stroms der Ukraine in das Netz ein. Seit Anfang März ist das größte Atomkraftwerk Europas von russischen Truppen besetzt. Seitdem gerät es regelmäßig unter Beschuss. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Rafael Grossi, warnte vor einem "Spiel mit dem Feuer". Am Mittwoch traf Grossi eine russische Delegation in Istanbul und beriet unter anderem mit dem Leiter der Atomenergiebehörde Rosatom über eine mehrfach geforderte Sicherheitszone rund um das AKW.

Frage: Welche Auswirkungen haben die Bombardierungen auf die Gesundheitsversorgung der Menschen?

Antwort: Nicht nur die Energieversorgung, sondern auch Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen wurden von russischen Raketen getroffen. In einer Entbindungsklinik in der Region Saporischschja soll nach ukrainischen Angaben deshalb am Mittwoch ein Baby gestorben sein. Der Europa-Direktor der Weltgesundheitsorganisation WHO, Hans Kluge, sprach Anfang der Woche von rund 700 verifizierten russischen Angriffen auf medizinische Infrastruktur. Im Winter gehe es deshalb "um das Überleben".

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Frage: Wie kann man sich Winter in der Ukraine vorstellen? Wie tief können die Temperaturen fallen?

Antwort: Den einen Winter gibt es in der Ukraine nicht, hat das riesige Land doch mehrere Klimazonen. Diese reichen von der Bergregion rund um die Karpaten über die Steppengebiete im Osten bis zum relativ milde Küstenklima der südlichen Schwarzmeerküste. Prinzipiell kann es in gewissen Gebieten bis zu minus 20 Grad Celsius geben, doch sind ohne Strom und Heizung auch Temperaturen um die null Grad katastrophal. Der Kiewer Bürgermeister Witali Klitschko warnte im Interview mit der Bild-Zeitung vor dem "schlimmsten Winter seit dem Zweiten Weltkrieg".

Frage: Welche Maßnahmen ergreifen die Behörden, um die Menschen zu schützen?

Antwort: Durch gezielte Stromabschaltungen versuchen vor allem die Behörden in urbanen Gebieten, die Infrastruktur zu entlasten. Die Menschen können online einsehen, wann ihre Adresse vom Netz genommen wird, um einzuplanen, wann sie Handys laden oder warm duschen gehen. Zudem sollen 4000 Wärmestuben im ganzen Land geschaffen werden, in denen es neben Heizung auch Strom und Internetanschlüsse gibt, wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag ankündigte.

Frage: Odessa liegt zwar abseits von den umkämpften Gebieten, doch gibt es auch in der Hafenstadt nicht immer Strom. Wie sieht die Versorgung vor Ort aus?

Antwort: Seit vergangener Woche wird der Strom immer wieder abgeschaltet. Die Gasversorgung ist aber noch immer gewährleistet. Damit können die Menschen in Odessa Wasser zum Waschen wärmen. Gas und Wasser gibt es also noch, aber die Heizungen funktionieren meistens nicht mehr, denn die brauchen auch Strom. Die Stadtverwaltung hat bereits die von Selenskyj angekündigten Wärmestuben eingerichtet, die mit Notstromaggregaten betrieben werden.

Frage: In Cherson wird der Bevölkerung angeboten, dass man sie evakuiert, weil die russischen Besatzer die Infrastruktur stark beschädigt haben. Wie viele Menschen sind noch in der Stadt?

Antwort: Das ist unmöglich zu beziffern, da Cherson erst vor kurzem befreit werden konnte. Die Lage ist noch sehr unübersichtlich, und es sind nicht nur Menschen in ukrainische Gebiete geflüchtet, sondern viele wurden auch nach Russland verschleppt. (Bianca Blei, Klaus Stimeder aus Odessa, 23.11.2022)