Die Dynamik im Infektionsgeschehen in den vergangenen Wochen deute auf einen Übergang zur Endemie hin, sagen Fachleute.

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Vergleichsweise niedrige Corona-Infektionszahlen im September, dann eine steigende Welle im Oktober, die aber – wohl durch das warme Wetter – gleich wieder gebrochen wurde, und jetzt wieder steigende Zahlen: Dieses Auf und Ab der vergangenen Wochen sei "das Zeichen für das kommende Ende der Pandemie", sagt Christian Drosten, Direktor der Virologie an der Berliner Charité, in einem Interview mit der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit". Und auch hierzulande ist man zuversichtlich: "Man kann wohl in naher Zukunft von einem Übergang hin zu endemischen Wellen sprechen", sagt Virologin Dorothee von Laer von der Med-Uni Innsbruck.

Aber die Fachleute warnen auch: Der Winter könnte noch schwierig werden. Wie sich das Infektionsgeschehen in den kalten Monaten entwickelt, hängt vor allem davon ab, welche Variante sich in den kommenden Wochen durchsetzen. In Österreich machen aktuell drei Virusvarianten jeweils etwa 25 Prozent aller sequenzierten Proben aus: BF.7, BA.5 und BQ.1.1. Die Omikron-Variante BF.7 wäre laut Drosten der bessere Fall: "Diese Variante ist BA.5 sehr ähnlich, gegen das ein Großteil der Bevölkerung bereits immun ist. Es käme dann eine sanfte Winterwelle." BQ.1.1 hingegen kann dem Immunschutz von bereits Geimpften oder Genesenen besser entkommen. In Fachkreisen geht man deshalb davon aus, dass BQ1.1. auch in Österreich – so wie in anderen Ländern bereits – die dominierende Variante wird.

BA.5 geht kontinuierlich zurück, immerhin haben sich hierzulande hochgerechnet aus den Abwasserwerten rund zwei Millionen Menschen damit infiziert: "Da ist einfach nicht mehr viel möglich", betont Molekularbiologe Ulrich Elling von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Und BF.7 stagniert mittlerweile auch nach anfänglich moderaten Wachstumsraten, was darauf hinweist, dass der Wachstumsvorteil der BQ-Varianten größer ist.

Tatsächlich sind die BQ-Varianten derzeit auf dem Vormarsch, in Österreich sind das BQ.1 mit etwa zehn Prozent Verbreitung, BQ 1.1 mit rund 16 Prozent und BQ.1.10 mit etwa drei Prozent. Sie haben die gleichen oder ganz ähnliche Mutationen am Spike-Protein, aber diese in unterschiedlicher Reihenfolge gesammelt, deshalb die jeweiligen Zahlenkombinationen. Alle gemeinsam dürften sie gegenüber anderen Varianten den größten Wachstumsvorteil haben, weshalb sie sich derzeit auch am schnellsten ausbreiten.

Neuer Name basiert auf Scherz von Forschenden

Die Variante BQ.1.1 läuft auch oft unter dem Namen "Cerberus". Das ist der Höllenhund in der griechischen Mythologie, der mit gleich drei Köpfen (oder auch bis zu hundert, ihre Zahl variiert je nach Darstellung) den Eingang zur Unterwelt bewacht. Kein Wunder also, dass sich manche Sorgen machen, was diese neue Variante wieder bringen wird. Doch Molekularbiologe Elling beruhigt: "Der Name sagt nichts über die tatsächliche Gefährlichkeit dieser Mutation aus, es gibt derzeit keinerlei Hinweise, dass sie zu schwereren Krankheitsverläufen führen könnte."

Tatsächlich ist der Name als Scherz entstanden. In den Expertengremien der WHO zur Pandemie wird schon seit einiger Zeit darüber diskutiert, wie man neu entstehende Varianten in Zukunft nennen soll, das griechische Alphabet ist ja nicht unendlich. Seit Omikron werden Mutationen nur noch mit neuen Buchstaben- und Zahlenkombinationen benannt. "Das ist etwas mühsam, und so hat man sich in der Community der Forschenden Gedanken über Namensvorschläge gemacht. Die meisten orientieren sich an Figuren der griechischen Mythologie. Cerberus ist daraus entstanden, dass es drei Mutationen an einer bestimmten Stelle gibt und diese Bezeichnung ist dann durchgesickert", erzählt Elling.

Keine bedenklichen Auswirkungen

Tatsache ist, dass die Zahlen derzeit wieder steigen – und zwar stärker als die täglichen Neuinfektionszahlen zeigen, da immer weniger getestet wird. Das sieht man an Daten aus den Abwässern. Wie steil die Kurve werden wird, ist aber noch nicht klar. Man weiß nur so viel: In Wien steigen die Zahlen am stärksten, was wohl auch auf das in der Bundeshauptstadt zuletzt schlechtere Wetter zurückzuführen sein dürfte. Immerhin herrscht hier schon seit Ende Oktober der Hochnebel vor, wodurch die Menschen mehr Zeit in Innenräumen verbringen. Die Zahlen steigen auch vermehrt unter Kindern und Jugendlichen, die Älteren dürften aber bald folgen.

Nichts von dem sei aber ungewöhnlich, betont Elling: "Wir haben immer gewusst, dass das passieren wird, es ist absolut keine Überraschung." Es gibt sogar eine gute Nachricht in diesem Zusammenhang: Zuletzt wurde vermutet, dass die BQ-Varianten sich sehr stark ausbreiten würden, weil sich in Zellmodellen eine sehr gut Immunflucht abzeichnete. "Jetzt haben wir aber erste Real-Life-Daten und die zeigen, dass man nach einer BA.5-Infektion doch eine deutlich bessere Immunität gegen die neuen Unterformen hat, als zuletzt vermutet wurde." Das lässt darauf hoffen, dass die nächste Kurve nicht so steil ausfallen wird.

Daten aus Frankreich zeichnen ein ähnliches Bild. In der Region Île-de-France, also rund um die Hauptstadt Paris, dominieren schon länger die BQ-Varianten. Aber eine hohe Welle gab es dort bisher nicht, die Infektionszahlen gingen eher auf und ab und steigen auch aktuell nur leicht an. Solange dem Virus also nichts wirklich Neues einfällt, sieht Elling die Situation deshalb eher entspannt.

Auch Virologin von Laer sieht das ähnlich. Man stehe in Österreich zwar am Beginn einer "etwas höheren, aber nicht bedrohlichen" Winterwelle. Dennoch sei die Pandemie "im Sinne davon, dass Intensivstationen überlastet werden", langsam vorbei. In den kommenden Wintern werde sich dann schon die Frage stellen: Macht Influenza oder Corona die höhere Welle? "Corona wird dann ein weiterer saisonaler, wenngleich etwas schwererer respiratorischer Infekt sein", sagt von Laer und rät weiter zu Vorsicht: "Wenn dann zwei Wellen so hoch sind, sollte das Tragen von Masken etwas ganz Normales werden."

Anlaufstellen für Long-Covid-Betroffene

Trotzdem hinterlässt die Pandemie, auch wenn sie langsam in eine Endemie übergeht, Spuren. Schätzungen zufolge leiden rund zehn Prozent an Spätfolgen einer Corona-Infektion, genaue Zahlen zu Long Covid fehlen – auch weil das Krankheitsbild so komplex ist.

Damit Betroffene die optimale Behandlung erhalten, habe man im Gesundheitsministerium gemeinsam mit den Bundesländern und der Sozialversicherung einen Versorgungspfad festgelegt: "Erste Anlaufstelle für die Betroffenen sind Hausärzte und Hausärztinnen. Wir versorgen sie bereits via Webtool laufend mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Denn nur wenn sie bestmöglich informiert sind, lässt sich die Behandlung verbessern", schreibt Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) auf Twitter. Man arbeite daran, weitere Anlaufstellen zu schaffen und Infos zu verbessern. (Pia Kruckenhauser, Magdalena Pötsch, 25.11.2022)