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Sex und Essen: Das eine kann das Vorspiel des anderen sein.
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Es hat etwas Verbindendes, man genießt zusammen, und alle Sinne sind aktiv: Sexualität und gemeinsame Mahlzeiten spielen in Beziehungen eine ziemlich ähnliche Rolle, sagt die Psychotherapeutin und Diätologin Claudia Pauler. Wir haben sie gefragt, was Essensrituale über die Qualität einer Beziehung aussagen, ob sich Veganer und Fleischesserin zwangsläufig in die Haare kriegen und ob Essen wirklich der Sex der alten Leute ist. Außerdem gibt die Expertin Tipps, wie man wieder zu gesunden Ritualen findet, wenn das Kochen nur noch als ein einziger Stress empfunden wird.

STANDARD: Manche Paare sehen einander nicht einmal zum Essen, andere zelebrieren jede Mahlzeit: Sagt die Art, wie wir zusammen essen, etwas über die Qualität einer Beziehung aus?

Pauler: Nicht unbedingt, denn für jeden Menschen hat Essen einen unterschiedlichen Stellenwert. Für manche spielt es wirklich nur eine sehr geringe Rolle. Man könnte sagen, sie essen, um zu leben. Andere wiederum leben, um zu essen – sie können das Essen zelebrieren, es ist ein Hochgenuss für sie. Das ist etwas sehr Individuelles und sagt nicht unbedingt etwas über die Beziehung aus.

STANDARD: Welche Funktionen erfüllt das gemeinsame Essen in Beziehungen?

Pauler: Gemeinsame Mahlzeiten haben etwas Verbindendes. Man unterhält sich, schaut einander dabei in die Augen und fühlt sich einander nahe. Viele Paare erleben das Abendessen als wichtigen Fixpunkt, für viele ist es der einzige Zeitpunkt des Tages, wo sie zusammensitzen und sich austauschen. Essen hat aber auch etwas Fürsorgliches: Man kümmert sich um seine Partnerin, in dem man ihr ihr Lieblingsessen kocht, man tut dem Partner etwas Gutes, indem man ihm seine Lieblingsschokolade mitbringt. Zudem erfüllt Essen in Beziehungen ähnliche Funktionen wie Sex ...

STANDARD: Wie Sex?

Pauler: Ähnlich wie Sex kann uns auch Essen anregen, herausfordern und stimulieren. Essen und Sex lösen einen Botenstoff namens Dopamin aus, der im Volksmund als Glückhormon bekannt ist. Außerdem ist vieles, das bei einer gemeinsamen Mahlzeit wichtig ist, auch beim Sex entscheidend – nämlich sich hinzugeben, mit allen Sinnen zu genießen und die Situation zusammen auszukosten. Es gibt also einige Parallelen. Und das eine kann das Vorspiel des anderen sein.

STANDARD: "Essen ist der Sex der alten Leute", lautet ein Sprichwort. Wie viel Wahrheit steckt darin?

Pauler: Dabei geht man davon aus, dass Sex im Alter weniger wird und Essen mehr. Das stimmt nur bedingt. Richtig daran ist aber sicher, dass man sich im Alter mehr Zeit nehmen kann, um gemeinsam zu genießen. Kochen und Essen können etwas sehr Lustvolles haben. Und der Hunger nach menschlichem Kontakt kann mit einem anregenden Gespräch beim Essen schon voll gestillt werden. Dazu braucht es nicht unbedingt Sex.

STANDARD: Bei vielen Paaren – gerade mit Kindern – ist Essen und die Essensbeschaffung aber auch ein einziger Stress.

Pauler: Das liegt daran, dass es mit Verantwortung zu tun hat, für alle einzukaufen und zu kochen. Vielleicht gibt es auch ein Ungleichgewicht: Einer kocht öfter als der andere. In den meisten Beziehungen ist das die Frau. In ihr kommt dann vielleicht das Bedürfnis hoch, auch einmal versorgt werden zu wollen. Oft geht es gar nicht so sehr um das Kochen selbst. Es geht mehr um das Gefühl, das damit verbunden ist – das Gefühl, immer die Verantwortung zu tragen, den Wunsch, umsorgt zu werden.

STANDARD: In vielen Beziehungen hat Essen zeitweise etwas sehr Pragmatisches. In den Gesprächen geht es viel um Fragen wie "Was kochen wir heute?" oder "Haben wir noch Milch zu Hause?". Ist das gefährlich?

Pauler: Wir fürchten uns oft zu Unrecht davor, dass etwas zum alltäglichen Einerlei wird, dass es mehr Pflichtgefühl ist als Genuss. Denn selbst wenn unser Menüplan sehr einseitig ist – wir kommen ja zur Ruhe beim Essen, sitzen zusammen, können uns entspannen. Es ist eine Zeit am Tag, in der wenig Aufregung passiert. Von der haben wir durch persönliche und globale Krisen ohnehin schon genug. Vielleicht kann es dann ja sogar hilfreich sein, dass das Leben zu Hause, die Mahlzeiten, auch einmal eintönig sind.

STANDARD: Es ist also okay, eine Zeitlang jeden Mittwoch nur Nudeln mit Tomatensauce zu essen?

Pauler: Absolut. Und dann sollte es wieder Phasen geben, in denen man beim Essen bewusst etwas Neues ausprobiert. Wo wieder ein bisschen Abwechslung in den Speiseplan kommt und Leidenschaft ins Essen.

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Glücksmomente in der Beziehung durch Essen? Ja, das geht, ist die Psychotherapeutin und Diätologin Claudia Pauler überzeugt.
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STANDARD: Wieso ist es so, dass Frischverliebte oft keinen Bissen hinunterbringen und Paare später in Beziehungen oft zunehmen?

Pauler: Jemanden neu kennenzulernen ist sehr aufregend. Durch das viele Dopamin, die vielen Glücksgefühle werden natürliche Bedürfnisse wie Hunger oder Sättigung oft unterdrückt. Man spürt sich selbst ein bisschen weniger als sonst. Das ist das eine. Das andere ist, dass man sich beim Essen vielleicht bewusst zurückhält, weil man gewissen Schönheitsidealen entsprechen will. Man will mit einer bestimmten Konfektionsgröße in den Club gehen. Diesbezüglich möchte ich mitgeben: Auch Models werden verlassen. Das Aussehen allein macht nicht den Unterschied.

STANDARD: Und warum das Zunehmen?

Pauler: Wenn man dann jemanden gefunden hat, ein Gefühl der Geborgenheit da ist, zählt vielleicht nicht mehr jedes Kilo. Man weiß: Mein Partner, meine Partnerin liebt mich, wie ich bin. Er mag meine Werte und nicht nur mein Aussehen. Dadurch bekommt man Sicherheit, muss keinem Ideal mehr nacheifern. Außerdem sind Paare oft mehr zu Hause als Singles. Man baut sich sein Nest, wird meist inaktiver. Das gemeinsame Essen wird zu einem Ritual und wird als Fürsorge erlebt. Da geht Liebe im sprichwörtlichen Sinn durch den Magen.

STANDARD: Wenn zwei Menschen eine Beziehung eingehen, bringen sie oft sehr unterschiedliche Esstraditionen mit. In der einen Familie wurde beispielsweise sehr früh mittaggegessen, in der anderen erst um 15 Uhr. Wie gelingt es da, eigene Traditionen zu etablieren?

Pauler: Offenheit, Neugierde und auch Wertschätzung sind wichtige Voraussetzungen. Klar kann man es im ersten Moment komisch finden, wie es der andere macht. Dann sollte man aber darüber nachdenken, ob das nicht vielleicht auch für einen selbst gut passt. Viele Traditionen übernehmen wir einfach, ohne groß darüber nachzudenken. Es kann ja auch etwas Spannendes haben, dass manche dieser Gewohnheiten einfach auf den Kopf gestellt werden, wenn man in eine neue Beziehung kommt. Es ist die Chance, sich gemeinsam etwas Neues zu schaffen und zum Beispiel zu sagen: Mittagessen um 15 Uhr war mir eigentlich immer schon zu spät. Für uns passt 13.30 Uhr.

STANDARD: In der Familie meines Mannes gab es zu Weihnachten immer Karpfen. Ich hasse Karpfen, aber er besteht darauf. Wie einigt man sich da? Jedes zweite Weihnachten Karpfen?

Pauler: Die Frage ist, ob es nicht auch mehr "und" anstatt "oder" sein kann. Ich würde in diesem Fall dazu raten, dass man beides zubereitet – den Karpfen und das, was Sie gerne essen möchten. Der Partner und die Kinder lernen dann beide Traditionen kennen und können irgendwann entscheiden: Will ich das mit dem Karpfen weiterführen?

STANDARD: Muss es zu Weihnachten allen schmecken?

Pauler: Es gibt natürlich das Bestreben, es allen recht zu machen, das Bestreben nach Harmonie. Gerade zu Weihnachten denkt man, man muss ein fünfgängiges Menü auftischen. Ich frage mich nur, ob das nicht vielleicht auch von dem Fest selbst ablenkt. Vielleicht sind einfache Sachen verbindender als die tollsten Speisen? Es geht doch darum, gemeinsam an einem Tisch zu sitzen, froh zu sein, gemeinsam da zu sein. Das wiegt doch viel mehr als das, was am Tisch steht. Und manchmal kann auch ein verkohlter Karpfen später zur Anekdote werden.

STANDARD: Gibt es Paare, die sich wegen unterschiedlicher Essgewohnheiten trennen? Sagen wir, eine ist vegan und die andere passionierte Fleischesserin?

Pauler: Wenn es immer Thema ist, wenn der eine den anderen bekehren möchte, dann sind Konflikte vorprogrammiert. Dann fehlt aber generell der Respekt und die Wertschätzung, würde ich meinen, und das würde sich wahrscheinlich auch in anderen Konflikten zeigen. Konflikte am Esstisch können vielleicht ein Hinweis sein, dass es woanders auch nicht mehr passt. Über Gemüse und Fleisch lässt sich nur leichter sprechen als über das Gefühl, nicht gesehen zu werden.

STANDARD: Es gibt auch Geschichten, wo einer wegen dem anderen plötzlich zum Beispiel anfängt, nach einer bestimmten Diät zu essen wie Low Carb. Wie gesund ist das – also für die Beziehung?

Pauler: Wenn jemand eine spezielle Ernährungsweise verfolgt, ist es oft so, dass seine ganze Aufmerksamkeit dort ist. Da kann sich der Partner oder die Partnerin schon vernachlässigt fühlen. Und das gemeinsame Abendessen, das es immer gab, fällt auf einmal aus – wird aber durch nichts ersetzt. Manche Paare fangen aber auch zusammen eine Diät oder eine spezielle Ernährungsweise an, und das kann eine Beziehung auch bereichern. Man ist ein Team.

STANDARD: Wenn der schöne Umgang mit Essen in einer Beziehung verloren gegangen ist, wie kommt man dort wieder hin? Wie schafft man es wieder, Notwendigkeit und Genuss zu verbinden?

Pauler: Zum Beispiel indem man einen Termin vereinbart, um gemeinsam zu kochen. Man kann natürlich auch essen gehen. Aber der Termin ist wichtig, denn zwischen Tür und Angel ist die Ruhe nicht gegeben. Was auch hilfreich ist: schon beim Kochen die Sinne anzuregen. Es darf ruhig würziger sein, um die Würze in der Beziehung zu erhalten. Es kann auch guttun, einander zu verführen, indem man einander füttert – mit Erdbeeren zum Beispiel. Essen kann auch Teil des körperlichen Kontakts, der Nähe sein.

STANDARD: Stimmt es wirklich, dass gewisse Lebensmittel aphrodisierend wirken, oder ist das ein großer Mythos? Anders gefragt: Kann man mit Austern sein Sexleben retten?

Pauler: Zumindest hat es einen Placeboeffekt, würde ich meinen. Wenn ich Austern kaufe und der Meinung bin, dass sie aphrodisierend wirken, hat das allein schon einen Effekt. Der Fokus geht in die Richtung, die Stimmung verändert sich im besten Fall ins Positive. Es gibt Lebensmittel, die uns in Wallung bringen, Alkohol, der enthemmt, und verführerische Gerüche – all das kann die Lust auf jeden Fall verstärken. (Lisa Breit, 26.11.2022)