Ein zu deutlicher Hang zu deutschem Kräuterlikör hat einen Mediziner neuerlich vor das Strafgericht gebracht, da er betrunken Nachbarn bedrohte.

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Wien – Es ist auch bereits wieder 218 Jahre her, dass Friedrich Freiherr von Schiller seinen Wilhelm Tell erstmals etwas zum Thema Nachbarschaft sagen ließ. "Es kann der Frömmste nicht im Frieden bleiben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt", legte er dem Schweizer Nationalhelden nämlich in den Mund. Richterin Patrizia Kobinger-Böhm muss im Verfahren gegen einen 46-jährigen Mediziner entscheiden, wie böse der Angeklagte ist.

Bereits die Überprüfung der Generalien des in einem anderen Bundesland tätigen Zahnarztes offenbart Überraschendes. Der Angeklagte ist nämlich seit März 2021 vorbestraft: Da er seinem Sohn ein falsches Alibi verschafft hatte, wurde er wegen falscher Zeugenaussage zu sechs Monaten bedingt verurteilt. Danach wurde auch ein Berufsverbot geprüft, das der Mann aber abwenden konnte.

Mediziner steht vor Privatinsolvenz

In der Bredouille ist der Österreicher dennoch: "Ich stehe mit beiden Beinen im Leben, aber finanziell nicht so gut da", gibt der Angeklagte zu. Genauer: Er hat nach eigenen Angaben 500.000 Euro Schulden und steht vor der Privatinsolvenz. Zu den finanziellen Schwierigkeiten kamen körperliche, erzählt der Angeklagte der Richterin. Nach einem Freizeitunfall begannen Schmerzen auf die Zähne auszustrahlen. Und was macht ein Zahnarzt, der Zahnschmerzen bekommt? In diesem Fall trank er Jägermeister, bis er 1,6 Promille Alkoholgehalt im Blut hatte.

Das war am Nachmittag des 29. Augusts, dem Vorfallstag des ersten von Staatsanwalt Wolfram Bauer angeklagten Delikts. Der Zahnarzt traf auf dem Parkplatz ein Nachbarspaar, mit dem er im Clinch liegt. Und soll sie gefährlich bedroht haben. Der Angeklagte bedauert, sich ethanolbedingt nicht mehr erinnern zu können, hält aber ein Missverständnis für möglich. "Ich habe zu ihm gesagt ...", beginnt er, wird dann aber unsicher. "Ich weiß nicht, ob ich das hier jetzt sagen kann?", fragt er Kobinger-Böhm, die aber in ihrem Amt schon einiges gehört hat und ihn zum Weitersprechen auffordert. "Ich habe gesagt: 'Du bist als Arschloch geboren, du bist ein Arschloch, du wirst als Arschloch sterben!' Vielleicht hat er nur das 'sterben' verstanden", mutmaßt er.

Piepsender Gartenzaun

Der Grund der Auseinandersetzung bleibt etwas unklar. Einerseits sagt der Angeklagte, der Nachbar, ein 59-jähriger Pensionist, habe in dessen Zaun ein elektronisches Gerät eingebaut, das offenbar piepst, wenn sich jemand nähert, was ihn nerve. Andererseits vermutet er auch, dass ihn die Nachbarn angezeigt hätten, nachdem er einen Baum ohne Bewilligung entfernt habe.

Sechs Tage später gerieten die beiden wieder aneinander. Diesmal hatte der Arzt "nur" 0,7 Promille, als er vor dem Nachbarshaus stand, herumschrie, Morddrohungen ausstieß und gegen den Gartenzaun und zwei Autos trat. Selbst als die Polizei anrückte, beruhigte er sich nicht. "Er werde die Nachbarn umbringen, da es ihn nerve, dass die immer die Polizei rufen", notierten die Beamten in einem Aktenvermerk. "Leider ja", sagt der Angeklagte geknickt auf die Frage der Richterin, ob der Vorwurf stimme.

Er habe die Reparaturkosten für die Kraftfahrzeuge mittlerweile beglichen, beteuert er und besuche auch eine Psychotherapie, um sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Und er hat noch mehr gute Nachrichten für Richterin und Staatsanwalt: Er sei umgezogen und die vier neuen Nachbarn "sind lieb". Selbst die Strafe für die widerrechtliche Baumfällung in Höhe von 1.300 Euro habe er beglichen und eine Ersatzpflanzung vorgenommen.

Fäkalausdrücke des "Herrn Doktor"

Der 59-jährige Nachbar sagt als Zeuge aus, dass die Baumaffäre bereits früher stattgefunden habe, er und seine Frau den Mediziner aber nicht angezeigt hätten. Der glaubte das aber offenbar, was das Klima merklich verschlechterte. Beim Vorfall Ende August seien er und seine Gattin im Auto gesessen, "dann wurden wir vom Herrn Doktor mit Fäkalausdrücken bedacht", drückt der Zeuge sich besonders gewählt aus. Anschließend seien auch die Drohungen gefallen.

Noch ärger sei es am 4. September gewesen: Da habe der Arzt gedroht, er werde sich an allen Nachbarn rächen, das Ehepaar werde aber "als Erstes sterben". Er brauche dafür nur 30 Sekunden, da er eine Kalaschnikow habe. Der Angeklagte soll auch mit "russischen Freunden" gedroht haben, die das Nachbarspaar "verscharren" würden.

Er und seine Frau hätten daher Angst, berichtet der Zeuge. Und verrät noch, dass der Auszug des Angeklagten seiner Initiative zu verdanken sein: Man habe den Hauseigentümer, Bruder einer prominenten Politikerin, kontaktiert und auf das unleidliche Verhalten des Mieters hingewiesen, worauf dieser den Vertrag gekündigt habe, behauptet der Pensionist. Dass der Angeklagte den Schaden an den Autos bezahlt habe, bestätigen er und eine weitere Nachbarin.

Bedingte Strafe ausreichend

Ankläger Bauer artikuliert im Schlussplädoyer seine Vision für gedeihliches menschliches Zusammenleben: "Man würde sich wünschen, dass alle Beteiligten sich immer so höflich verhalten wie hier vor Gericht", erklärt er und fordert eine tat- und schuldangemessene Strafe. Kobinger-Böhm hält sechs Monate bedingt für eine derartige Konsequenz. Zwar habe der Mediziner die Taten während seiner offenen Probezeit begangen. "Aber ich bin trotzdem der Meinung, dass man mit einer bedingten Strafe im Mittelfeld des Strafrahmens das Auslangen finden kann", da der Angeklagte den Schaden gutgemacht und selbsttätig Hilfe gesucht habe. "Aber viel Spielraum haben Sie nicht mehr", warnt die Richterin vor neuerlicher Delinquenz.

Da der Zahnarzt ohne Verteidiger erschienen ist, hat er automatisch drei Tage Bedenkzeit, und das Urteil ist nicht rechtskräftig. "Ich bin zufrieden", kündigt der Angeklagte allerdings an, auf Nichtigkeit oder Berufung zu verzichten. Auch der Staatsanwalt gibt einen Rechtsmittelverzicht ab. (Michael Möseneder, 24.11.2022)