Der Parasit Toxoplasma gondii verändert das Verhalten von Wölfen nachhaltig.
Foto: Jacob W. Frank/AP

Es klingt ein bisschen wie ein gruseliger Science-Fiction-Film. Ein Parasit befällt einen Träger und verwandelt diesen in einen gewaltbereiten Rädelsführer. Der fiktive Stoff, der diversen Filmen und TV-Serien zugrunde liegt, ist allerdings nicht komplett aus der Luft gegriffen. Eine neue Untersuchung zeigt, dass Wölfe, die mit dem Parasiten Toxoplasma gondii infiziert sind, deutlich wahrscheinlicher zum Leittier im Rudel werden und generell mehr Risiko eingehen, um ihr Revier zu verteidigen oder zu vergrößern.

T. gondii ist bei Tieren und selbst bei Menschen kein Unbekannter. Ein Befall bei Nagetieren, aber auch Schimpansen führt bei diesen zu riskanterem und teilweise unverständlichem Verhalten. So zeigten frühere Studien, dass diese eher von Duftspuren natürlicher Fressfeinde wie Katzen und Großkatzen angezogen werden und gezielt deren markierte Reviere aufsuchen. Auf der Habenseite wurden infizierte Ratten von Artgenossinnen eher als Sexualpartner auserkoren. Beim Menschen gibt es wiederum Studien, die ein aggressives und suizidales Verhalten mit dem Nachweis von T. gondii in Gehirnzellen nachweisen konnten.

Parasit als Risiko-Booster für Wölfe

Neueste Erkenntnisse aus dem Yellowstone-Nationalpark im Nordwesten der USA scheinen die verhaltensverändernde Wirkung des Parasiten zu bestätigen. Im Fokus der Untersuchung standen Wölfe, die seit 1995 dort angesiedelt wurden und heute wieder einen gesunden Bestand vorweisen können. Die Ergebnisse von 229 untersuchten Wölfen, denen Blutproben entnommen wurden, waren eindeutig. Tiere, die mit T. gondii befallen waren, verließen um den Faktor 11 verstärkt ihr Rudel, um sich ein eigenes Revier zu erobern. Die Wahrscheinlichkeit, zum Leitwolf in einem Rudel aufzusteigen, war gar um das 46-Fache höher als bei nichtinfizierten Tieren.

Sustainable Human

Der Studie zufolge, die im Fachmagazin "Communications Biology" veröffentlicht wurde, ist die Infektionsrate der Wölfe eng an das Vorkommen von Pumas in der Region gekoppelt. Diese gelten als Überträger des Parasiten – entweder durch direkten Kontakt mit den Wölfen oder ausgeschiedene Parasitenzellen. Infizierte Beute kann für die Übertragung eher ausgeschlossen werden. Die verhaltensändernde Wirkung des Parasiten sorgt dafür, dass die Wölfe eher ausschwärmen und sich in Gebieten niederlassen, die bereits von Pumas besetzt sind. Dadurch infizieren sich auch weitere Tiere im Rudel eher, was quasi eine Kettenreaktion auslöst.

Auch Verhalten von Wölfinnen verändert sich

Im Detail geben die Daten interessante Einblicke in die Verhaltensänderung. So verlassen 50 Prozent der infizierten männlichen Wölfe innerhalb von sechs Monaten ihr angestammtes Rudel, während sich nichtinfizierte Tiere dafür 21 Monate Zeit lassen. Bei Wölfinnen ist der Unterschied ebenfalls stark ausgeprägt. 25 Prozent geben die Sicherheit des bestehenden Rudels bereits nach 30 Monaten auf, während die nichtinfizierten Tiere diesen Wert erst nach 48 Monaten erreichen. Die Gruppe zu verlassen gilt als riskanteres Verhalten, da es auch mit einer höheren Morbidität der Einzeltiere einhergeht.

Gleichzeitig spielt die Entscheidung bei der Etablierung und Verbreitung von Wolfspopulationen eine große Rolle, da die Tiere nur durch mutige Einzelgänger und Einzelgängerinnen neue Gebiete erschließen können. Wenig überraschend setzen sich die Ausreißer bei der Gründung eines Rudels leichter durch und dominieren so auch häufiger die Reproduktion.

Höheres Testosteronlevel

Als mögliche Erklärung verweisen die Forschenden auf die früheren Studien, die bei Wirtstieren und Menschen nach einem Befall mit T. gondii ein höheres Testosteronlevel und dadurch bedingt ein größeres Aggressionspotenzial feststellen konnten. Gehen infizierte Tiere entsprechend in Rangordnungskämpfe, dürften sie eher als Gewinner vom Feld gehen.

Befallene Tiere werden deutlich wahrscheinlicher zu Alphamännchen im Rudel.
Foto: National Park Service/AP

Inwiefern der Parasit sich langfristig auf die Population der Wölfe im Yellowstone-Park auswirken wird, ist den Forschenden zufolge aber unklar. Denn der Befall mit T. gondii besitzt nicht nur positive Aspekte. So kann eine akute Infektion mit der vom Parasiten verursachten Toxoplasmose bei trächtigen Wölfen zu Aborten, hoher Welpensterblichkeit und anderen Gesundheitsproblemen führen.

Dazu kommt, dass das riskantere Verhalten von Wölfen – wie etwa die Gruppe zu verlassen, oder sich in Puma-dominierte Gebiete zu wagen – ebenfalls zu einer höheren oder früheren Sterblichkeit einzelner Individuen führt. Die Vor- und Nachteile, die sich durch einen Befall mit dem Parasiten ergeben, dürften sich folglich die Waage halten, folgern die Forschenden. (Martin Stepanek, 24.11.2022)