Die EU-Energieministerinnen und -minister suchten in Brüssel nach einem Kompromiss, um die hohen Gaspreise zu senken.

Foto: APA/AFP/Kenzo Tribouillard

Harald Mahrer wusste es schon in aller Früh: "Es geht nichts weiter", sagte der Präsident der österreichischen Bundeswirtschaftskammer, noch bevor die EU-Energieminister im Ratsgebäude in Brüssel ihre Debatten zur Einführung von Maßnahmen für eine Begrenzung exzessiver Gaspreise begannen.

Anstatt sich auf konkrete Schritte zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in Europa zu konzentrieren, drohe "eine Blockbildung" bei den Mitgliedsstaaten, bedauerte Mahrer.

Damit traf er den Nagel im Grunde auf den Kopf. Der Vielfachpräsident (auch im Aufsichtsgremium der Nationalbank) war extra in die EU-Hauptstadt angereist, um auf das seiner Meinung nach dringendste Problem hinter den nationalen Streitigkeiten über die stark gestiegenen Energiepreise hinzuweisen. In Europa drohe industrielle Abwanderung, wenn es so weitergehe. In vielen zentralen Bereichen könnte die Wettbewerbsfähigkeit mit dem Rest der Welt verlorengehen, wenn die EU-Staaten nicht rasch mit gemeinsamen Schritten reagierten.

Gelinge das nicht, prophezeite der Kammerchef, dann müsste die Regierung in Österreich ein nationales Rettungsprogramm fahren – so wie die deutsche unter Kanzler Olaf Scholz. Er will "seiner" Wirtschaft und den Konsumenten in Sachen Energie in den kommenden Jahren mit nicht weniger als 200 Milliarden Euro unter die Arme greifen.

Mahrer dazu: Weil die österreichische Wirtschaft besonders eng mit der deutschen verflochten sei, sei das quasi überlebenswichtig.

Deckel ist nicht Deckel

Von solchen Überlegungen waren die EU-Energieminister, von denen viele zugleich auch Klimaministerinnen sind, wie Leonore Gewessler oder der Deutsche Robert Habeck, weit entfernt. Sie mussten sich bei dem mittlerweile dritten Sonderministerrat zum Thema "Aktion gegen hohe Energiepreise" mit ihren nationalen Streitigkeiten um den sogenannten Gaspreisdeckel herumschlagen.

Die EU-Kommission hatte am Dienstag einen neuen Vorschlag erarbeitet, der die gegensätzlichen Positionen von zwei Staatengruppen, die sich als loser Block gegenüberstehen, zusammenbringen sollte.

Die Zentralbehörde will keinen absoluten "Deckel" auf Gaspreise festlegen in dem Sinn, dass die Staaten mithilfe von Subventionen direkt für günstige Verbraucherpreise für Haushalte und Industrie sorgen. Für dieses Modell setzt sich eine Gruppe von Ländern rund um Frankreich und Spanien ein. Sie wollen verhindern, dass eine Megawattstunde im Endverbrauch bestimmte Höhen übersteigt.

Bedenken aufgrund von Versorgungslücken

Dagegen wandte sich vor allem Deutschland, gefolgt von Österreich, Ungarn, Bulgarien und den Niederlanden. Sie befürchten, dass zu starke Markteingriffe dazu führen würden, dass Händler von teurem Flüssiggas Europa dann schlicht nicht mehr beliefern würden – und damit eine große Versorgungslücke entstünde.

Die Kommission teilt tendenziell die Bedenken der Deutschen. Sie schlug deshalb vor, dass man nur einen "Preiskontrollmechanismus" im Großhandel einführt. Erst bei einem (hohen) Preis von 275 Euro pro Megawattstunde im Referenzmarkt für LNG-Gas in den Niederlanden, und wenn dieser Preis zwei Wochen lang 58 Euro über der globalen Benchmark liegt, soll eingegriffen werden: Dann würde ein automatischer Mechanismus den Großhandel mit Gas aussetzen, bis zur Marktberuhigung.

Der Gruppe der Anhänger starker staatlicher Intervention, neben Frankreich auch Spanien, Italien, Griechenland u. a., reicht das bei Weitem nicht. Sie wollen Maßnahmen, die bereits viel früher, bei wesentlich niedrigeren Preisniveaus, einsetzen, und einen eigenen EU-Fonds einrichten. Recht bald war im Ministerrat daher klar, dass eine Einigung noch illusorisch war.

Mit leeren Händen

Unstrittig waren nur Begleitmaßnahmen zur Beschleunigung der Erzeugung von erneuerbarer Energie durch Beschleunigung der Genehmigungsverfahren. Und der "Solidaritätsplan", der EU-Länder dazu zwingt, sich im Fall schwerer Gasversorgungskrisen solidarisch beizustehen. Diese beiden EU-Vorgaben wurden in einem "politischen Beschluss" fixiert.

Formell sollen sie bei einem weiteren Sonderministerrat der Energieminister im Dezember umgesetzt werden. Dann steht erneut das Thema "Gaspreisdeckel" respektive "Marktkorrekturmechanismus" auf der Tagesordnung: so wie er ist.

Das bestätigte Gewessler nach der Sitzung: Es habe nur "eine politische Einigung" gegeben, keine Entscheidung. Man sei "hinter den Erwartungen", mit "leeren Händen", frage sich, wozu man sich überhaupt zum Sonderrat getroffen habe. (Thomas Mayer aus Brüssel, 24.11.2022)